Geschrieben am 18. Mai 2013 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – à point, saignant, bien cuit. Heute am Hackbrett: Joachim Feldmann (JF) – Rainer Wittkamp: „Schneckenkönig“ & Wolfgang Schweiger: „Tödliches Landleben“; Christian Koch (CK) – Tove Alsterdal: „Tödliche Hoffnung“; Klaus Kamberger (KK) – Wiley Cash: „Fürchtet Euch“ und Alf Mayer (AM) – Eva Maria Staal: „Die Waffenhändlerin“.

416_rgbOn Trombone …

(JF) Es gab mal einen „Tatort“-Kommissar aus Bayern, den es ins Saarland verschlagen hatte. Zuhause spielte er in einer Blaskapelle, also saß er, wenn ihn nach Feierabend das Heimweh packte, gerne in seinem Zimmer und übte auf der Tuba. Er schien sich dann aber fix akklimatisiert zu haben, denn das schöne Instrument tauchte immer seltener auf. Inzwischen hat man leider ihn auch samt seinem saarländischen Kollegen in den vorzeitigen Ruhestand geschickt.

Dafür gibt es jetzt Martin Nettelbeck, Kommissar in Berlin und ein Freund der Posaune. Erfunden hat den jazzliebenden Amateurmusiker nebst passendem Sidekick der Fernsehmann Rainer Wittkamp. Und da die Sache in Serie gehen soll, dient der erste gemeinsame Fall des Duos vor allem dem gegenseitigen Kennenlernen.

Ein Mann aus Ghana, der als Prediger einer evangelikalen Religionsgemeinschaft mit Berliner Hauptquartier tätig war, wird ermordet aufgefunden. Schnell stoßen die Kriminalisten auf Verbindungen zu einer Neo-Nazi-Organisation und es wird ermittelt, dass die Fetzen fliegen.

Der Leser hingegen muss nur noch raten, wer denn der „Schneckenkönig“ ist, mit dessen trauriger Biografie er in kursiv gesetzten Zwischenkapiteln vertraut gemacht wird. Von Pflegeeltern misshandelt, in der Schule gedemütigt, bei der Bundeswehr erniedrigt – hier wächst jemand heran, den es nach Genugtuung dürstet. Und der sich aufgrund einer körperlichen Anomalie – sämtliche Organe sind sozusagen spiegelverkehrt angeordnet, daher der seltsame Name – für etwas Besonderes hält.

Mehr soll hier nicht verraten werden, auch wenn das Rätsel um seine Identität mit ein wenig Aufmerksamkeit spätestens nach der Hälfte des Romans im Ausschlussverfahren gelöst sein dürfte. Übrigens würde Wittkamps angenehm routiniert erzähltes Debüt ganz gut ohne einen größenwahnsinnigen Freak als Täterfigur funktionieren, ist doch das eigentliche Mordmotiv von erschreckender Banalität. Aber leider scheinen Psycho-Sperenzchen dieser Art inzwischen zum Standardinventar jedes dritten Kriminalromans zu gehören.

Eher selten sind hingegen posaunespielende Kommissare. Zu einem Wiedersehen mit Martin Nettelbeck würden wir deshalb nicht nein sagen. Schließlich mochten wir auch schon den bayerischen Kommissar mit der Tuba.

Rainer Wittkamp: Schneckenkönig. Roman. Dortmund: Grafit 2013. 255 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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RZ_Alsterdal_Hoffnung.inddSklavenhandel

(CK) Im Januar 2012 sollte beim Eichborn Verlag der Roman „Schwarzer Strand“ erscheinen. Ein halbes Jahr zuvor meldete Eichborn dann aber Insolvenz an. Nach mehrmonatigem Hickhack übernahm dann Bastei Lübbe den Verlag mit der Fliege. Und knapp 14 Monate später liegt bei Lübbe nun Tove Alsterdals Debütroman unter dem Titel „Tödliche Hoffnung“ vor. Eine exzellente Entscheidung!

Die Story ist schnell wiedergegeben, alles andere soll erlesen werden: Ally reist von New York nach Paris, um ihren verschwundenen Ehemann, den Journalisten Patrick zu suchen. Dieser recherchierte an einer großen Story, die den Menschenhandel von Afrika nach Europa betraf. Ally geht Patricks Spuren somit doppelt nach. Sie sucht ihn verzweifelt, zunehmend erfährt sie aber auch immer mehr Details über Patricks letzten Job. Erstaunlich, dass die Thematik Menschenhandel so selten im Genre Kriminalroman (und überhaupt in Europa) auftaucht. Führt die moderne Sklaverei doch einen harten Kampf gegen den Drogenhandel um einen der vorderen Plätze im weltweiten Ranking des illegalen Geldverdienens.

Genau hier liegt die große Stärke von „Tödliche Hoffnung“. Über das Persönliche hinaus wagt die Autorin den Blick aufs Ganze, und da zieht sie die Leserschaft gnadenlos mit. Da ist auch wenig Hoffnung zu erlesen, wie sollte das auch sein bei diesem Thema!

Es ist ja bekannterweise nicht nur der Menschenschmuggel über eine Grenze, der den modernen Sklavenhändlern immensen Gewinn bringt. Immer häufiger werden die Flüchtlinge danach in Leibeigenschaft gehalten, um jahrelang horrende Profite zu erzielen.

So oder so, ein beeindruckendes Debüt der schwedischen Autorin. In Schweden ist bereits der zweite (gottlob) eigenständige Kriminalroman der Autorin erschienen. Ein Lichtblick am ausglühenden Sternenhimmel des Skandinavienkrimibooms …

Tove Alsterdal: Tödliche Hoffnung. (Kvinnorna pa stranden 2009). Roman. Deutsch von Ursel Allenstein. Köln: Bastei Lübbe 2013. 381 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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u1_978-3-596-19443-8Die Bürde des „Literarischen“

(KK) Dass man in Schreibwerkstätten etwas lernen kann, ist unbestritten. Scott Turow mit seinen nicht nur erfolgreichen, sondern richtig guten Romanen ist der beste Beweis. Dass man es als Schreibwerkstatt-Lehrer aber zugleich scheinbar richtig und am Ende doch falsch machen kann, zeigt uns jetzt der im heimischen West Virginia „Creative Writing“ lehrende Wiley Cash mit „Fürchtet euch“, seinem Erstling. Er „kann“ es scheinbar: erzählen aus verschiedenen Perspektiven (hier sind es drei), schnelle Schnittwechsel (dem Kino abgeguckt), Charaktere zeichnen. Nur – eine Geschichte erzählen kann er nicht.

Was hilft der beste Plot, wenn vor lauter Bemühen, ihn dann auch „literarisch“ zu verarbeiten, das Ganze dann auseinanderfließt wie ein Marshmallow in der zu heißen Pfanne? Wie gesagt: Der Plot ist gar nicht mal schlecht. Ein Hinterwaldkaff im US-Mittelwesten duckt sich unter der Knute eines besessenen Predigers, der vorgibt, das überall lauernde Böse mit Gottes Hilfe und unter Sub-Assistenz giftiger Klapperschlangen exorzieren zu können. Das fordert Opfer. Macht nichts, sagt der Gottesmann. Denn selbst wenn die Chose mal tödlich endet, war es halt Gottes Wille, so oder so.

Wie wird die Dorfgemeinschaft mit so etwas fertig? Wer bremst den kaum zu bremsenden Exorzisten? Befreit sich die Gemeinde aus ihrer Befangenheit? Das zieht sich nun. Da helfen alle Abwechslungen (drei Erzähler) und Abschweifungen (Details zuhauf, deren Erkenntniswert allerdings gen Null tendiert) und Rückblenden (bis in den Bürgerkrieg, weil die eine Erzählerin einen Opa hatte, und der war damals bei den Konföderierten – oder den Republikanern? – egal) nicht weiter, im Gegenteil: Die Geschichte bleibt trotz allem erschreckend eindimensional. Hundert lange Seiten braucht Cash allein schon für die Exposition, und zweihundertfünfzig Seiten lang tritt er dann auf der Stelle.

„Ein Roman von geradezu hypnotischer Stärke – zutiefst erschütternd und großartig erzählt“, zitiert der Verlag auf dem Buchumschlag die New York Times. Womit mal wieder bewiesen wäre: Man muss nicht alles glauben. Trotzdem ist die NYT natürlich eine gute Zeitung, keine Frage.

Wiley Cash: Fürchtet euch. (No Land More Kind Than Home, 2012). Roman. Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2013. 348 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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1366320349Terroristen und Kartoffelbrei

(JF) Es ist schon spät, als Hauptkommissar Andreas Gruber vom Dienst nach Hause kommt. Bevor er sich an den gedeckten Küchentisch setzt, wo seine Frau ihm schon bald Hackbraten und Kartoffelpüree servieren wird, genehmigt er sich einen kräftigen Schluck Bier direkt aus der Flasche, dann legt seine Dienstwaffe in einer Schublade des Garderobenschranks ab. Nach dem Abendbrot wird er sich die Zähne putzen und zu Bett gehen.

Doch so erfreulich unspektakulär geht es selten zu im Alltag dieses Ermittlers, der gemeinsam mit seiner Kollegin Ulrike Bischoff im Chiemgau Verbrecher jagt. In seinem fünften Einsatz wird das von Wolfgang Schweiger erfundene Duo mit den Nachwehen des deutschen Linksterrorismus der siebziger Jahre konfrontiert.

Nach ihrer Haftentlassung taucht Anna König, einst mit Sprengstoff und Schusswaffen im Kampf gegen den Kapitalismus aktiv, in der ländlichen Idylle auf, um einen karriereorientierten Lokalpolitiker, der in jungen Jahren heftig in sie verliebt war, zu erpressen. Und wie es der Zufall will, begegnen ihr ausgerechnet hier just jene zwei ehemaligen Gefährten, denen sie ihre Verhaftung zu verdanken hat. Mit einer neuen Identität versehen, betreiben die beiden einen Reiterhof. Und Anna hat nur noch einen Gedanken: Rache. Doch dazu kommt es nicht. Die ehemalige Terroristin verschwindet, Bischoff und Gruber beginnen zu ermitteln, das LKA schaltet sich ein, und plötzlich tauchen ein paar ebenso skrupellose wie gewaltbereite Gesellen auf, die es aus ganz anderen Gründen auf Anna König und ihre Ex-Komplizen abgesehen haben.

So weit, so unplausibel. Mit „Tödliches Landleben“ ist Wolfgang Schweiger eine bemerkenswerte Räuberpistole gelungen. Offenbar war der Autor so begeistert von seiner Idee, den Roman in einem actiongesättigten Showdown enden zu lassen, dass für die Entwicklung eines nachvollziehbaren Plots nicht mehr viel Energie übrig war. Für seine Figuren, falls es sich nicht um die beiden Ermittler handelt, scheint er noch weniger Interesse aufzubringen.

Anna König und die beiden Verräter vom Reiterhof bleiben ebenso farb- und gesichtslos wie ihr auf Seite 137 erstmals erwähnter Gegenspieler. All das ist sehr schade, denn Schweiger gehört zu jenen Krimiautoren, über deren Sprache man sich nicht ärgern muss. Doch angesichts dieses Romans möchte gerne dem mit genreüblicher Arroganz ausgestatteten LKA-Beamten zustimmen, der die lokalen Kriminalisten mit folgenden Worten zurechtweist: „Nun, Sie und Ihre Kollegin fahren wieder zurück nach Traunstein, beschäftigen sich weiter mit dubiosen Todesfällen im Altersheim und dergleichen und überlassen uns die weiteren Ermittlungen, ganz einfach.“

Wolfgang Schweiger: Tödliches Landleben. Roman. Bielefeld: Pendragon 2013. 253 Seiten. 10,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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9783716026885Eine Welt ohne Unschuld

(AM) Sie ist 25, als Jimmy Liu, ein Kanadier chinesischer Abstammung sie anwirbt, er habe „anspruchsvollere“ Arbeit für sie. „Jimmy handelt mit Waffen. Mit echten, meine ich: mit Artilleriegeschützen, Mörsergranaten, Stinger-Raketen, aber auch mit M 22 Sturmgewehren, den chinesischen Kalaschnikows. Die sind billiger als das AK-47-Original, aber genauso zuverlässig“, verrät der Prolog.

Die unter Pseudonym schreibende Autorin war eine erfolgreiche Salesmanagerin. Mit 39 stieg sie aus und schrieb sich ihre Erlebnisse von der Seele. Weit weg von hiesiger Befindlichkeits- und Bekennerprosa führt sie uns in eine fremde, kaltschnäuzige Welt. Einfach mitten hinein. Szenen. Situationen. Unterkühlt und im Präsens erzählt. Sie liebt die kurzen Sätze, kommt ohne Umschweife zur Sache. Eine Zimperliese ist sie nicht. Immer wieder gibt es Episoden, um die jeder Spannungsautor sie beneiden würde, und immer wieder Passagen purer Poesie. Den matter-of-fact-Ton hält sie das ganze kalt-abgründige Buch über durch, Hemingway mit seinem Wortabspeck-Programm wäre stolz auf solch eine Schülerin.

„Versuch die Leichenhalle“ hieß das Buch im niederländischen Original, „Try the Morgue“ in der amerikanischen Fassung. Über etliche Tage sucht sie tatsächlich einmal in den Leichenhallen von Islamabad nach ihrem Boss, ehe er verletzt aufgefunden wird.
Schon gleich im Prolog verliert Maria ihre Unschuld. Nach wenigen Zeilen Einführung kniet sie neben dem Trans-Sahara Highway im glühend heißen Sand, ein M22 im Anschlag. Jimmy stemmt ihr sein Knie in den Rücken. „Wegen des Rückschlags“, sagt er, und: „Just shoot.“ Rückstoß und Krach sind erheblich. Wortlos legt sie die Waffe ab.

„Ernster als je zuvor sieht Jimmy mich an.
Dann spricht er es aus. In dem gleichen ruhigen Tonfall, den ich von meinem Vater kannte, seit ich mit sechszehn zum ersten Mal über Nacht weggeblieben und erst am Morgen nach Hause gekommen war, sagt er: ‚Jetzt weißt du, wie das ist.‘“

Und ja, tatsächlich, auch wir wissen nach der Lektüre einiges mehr über die kaltschnäuzige Welt des internationalen Waffenhandels mit den großen und den kleinen Haien. „Jemand wie Jimmy ist Gold wert. Neben ihm kommt man sich immer vor, als hätte man einen Heiligenschein“, steht da nebenbei in einer Episode, die in Peking spielt. Wenige Zeilen weiter wird eine Sporttasche mit einem Baby übergeben … Ein wirklich cooles Buch. Zimperliche und Brigitte-Leserinnen seien gewarnt.

Eva Maria Staal: Die Waffenhändlerin. (Probeer het mortuarium, Nieuw Amsterdam 2007). Aus dem Niederländischen übersetzt von Ilja Braun. Zürich-Hamburg: Arche Literatur Verlag 2013. 250 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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