Bloody Chops II
Kriminalromane in kleine Häppchen zerlegt – heute von Kirsten Reimers (KR), Frank Rumpel (rum), Klaus Kamberger (KK), Doris Wieser (DW) und Anna Veronica Wutschel (AVW).
(KR) Das Morden im Walde – Ein abgelegenes Hochtal, ein geheimnisvoller Fremder und eine finstere Rache. Thomas Willmanns Debüt „Das finstere Tal“ liest sich, als hätten Ludwig Ganghofer und Sergio Leone gemeinsam einen ganzen Abend lang Filme von Quentin Tarantino gesehen. Großartig, gewalttätig und wunderbar trashig.
Kirsten Reimers
Thomas Willmann: Das finstere Tal. Roman. München: Liebeskind 2010. 315 Seiten. 19,80 Euro. (siehe auch hier)
(rum) Nachdem der Luchterhand-Verlag im vorigen Jahr Gerard Donovan mit seinem klasse Roman „Winter in Maine“ auf dem deutschen Markt einführte, schiebt er nun dessen Debüt „Ein bitterkalter Nachmittag“ nach. In einem nicht näher bezeichneten Kriegsgebiet haben Soldaten eine Stadt überfallen und treiben Gefangene auf einem Feld zusammen. Es schneit, es ist kalt, einer gräbt ein großes Loch. Der da in der Grube steht, ist der Bäcker. Am Rand der Grube steht der Lehrer. Die Rollen scheinen klar verteilt, während die beiden über Kriege, über Gut und Böse und über das Philosophische im Leben diskutieren. Donovans Geschichte ist, obwohl Verlauf und Ausgang klar zu sein scheinen, hoch spannend, weil er nicht Stellung bezieht, keine Moral anbietet und immer wieder Szenen mit halsbrecherischer Komik versieht, die unter solchen Vorzeichen umso bizarrer wirken. Donovan erzählt in starken Bildern von der schmalen Linie, jenseits der ein Mensch aus Eigeninteresse zum Monster wird. Um welchen kriegerischen Konflikt es da geht, spielt keine Rolle.
Frank Rumpel
Gerard Donovan: Ein bitterkalter Nachmittag. (Schopenhauer’s Telescope. 2003). Deutsch von Thomas Gunkel. München: Luchterhand Verlag. 336 Seiten. 19,99 Euro.
(rum) Einen „Baden-Württemberg-Krimi“ hat der Verlag den zweiten Roman „Erblast“ von Thomas Hoeth – der für sein Vorjahresdebüt „Herbstbotin“ den Stuttgarter Krimipreis bekam – genannt, um ihn noch irgendwie im Regionalkrimi-Zirkus unterzubringen. Der mag es ja so kleinteilig wie möglich, um den Wiedererkennungswert möglichst groß zu halten. Thomas Hoeth passt mit seinen Romanen nicht so recht in die Sparte, zumal sein Stuttgart keineswegs die Hauptrolle hat. In „Erblast“ erzählt er eine verwickelte Geschichte um einen Pharmaunternehmer und dessen Frau, die mit der Suche nach ihrem Vater ein Verbrechen aufdeckt, das alle Beteiligten für gut verborgen hielten. Es geht um Vergewaltigung und Mord, um nicht zu tilgende Schuld, um Mitwisserschaft, Abhängigkeiten und gekauften Erfolg. Während sich in Hoeths Debüt gelegentlich noch schrill wirkende Szenen fanden, hat er hier zu einem ruhigeren, sacht sarkastischem Ton gefunden, um eine bittere Kriminalgeschichte zu erzählen, die sich Stuttgart als Bühne nimmt, aber auch überall anders spielen könnte.
Frank Rumpel
Thomas Hoeth: Erblast. Roman. Tübingen: Silberburg Verlag 2010. 280 Seiten. 9,90 Euro.
Auch hier fängt alles an wie gehabt: Der (womöglich korrupte) Bulle vom LAPD hat gleich den Tunnelblick und verfolgt nur die eine Spur. Also muss geschwind ein cleverer FBI-Agent her, besser noch: eine Agentin, jung, hübsch, tough, damit kein Unglück geschieht. Klar doch: Ein bisschen aus der Spur muss so eine heutzutage schon sein (wenn auch nicht so schräg wie etwa eine Lisbeth Salander), aber auch wieder nicht so sehr, dass sie mal richtig entgleist; höchstens immer nur ein bisschen. Dann gibt es noch die üblichen aalglatten Anwälte, die nur am Recht herumbiegen können. Und die üblichen Vorgesetzten mit ihren interessengeleiteten Hintergedanken, die einem von oben in die Arbeit pfuschen/funken. Alles in allem also die gewohnten Versatzstücke des postmodernen Krimis. Fehlt nur noch: Alles bitteschön in Serie, mit Strömen von Blut und Sperma, herumfliegenden Gliedmaßen etc. pp. Die fehlen hier tatsächlich (zumindest weitgehend). Und das ist schon mal gut so.
Fazit: Man kann auch mit den wohlfeilen Klischees und ohne Monströsitäten eine gute Story mit Kindesentführungen (eine plus zwei nebenher) und diese begleitenden Mordtaten (drei) im Hollywood-Milieu (auch wieder leicht klischeeanfällig) schreiben, und das dann noch mit einem unerwarteten Schluss: Kann man wirklich aus guten Motiven morden und kidnappen?
Zum Lesevergnügen trägt nicht zuletzt eine wohltuend gelungene Übersetzung von Rainer Schumacher bei (mit ein paar klitzekleinen Aussetzern, Schwamm drüber). So etwas ist man, mit Verlaub, bei Produkten aus dem Hause Bastei-Lübbe gar nicht gewohnt. Da kann einer nämlich nicht nur Englisch, sondern auch Deutsch! Bei ihm „zuckt“ einer nämlich noch „mit den Schultern“ und nicht nur „die“ (man zuckt ja auch nicht das Lid, oder?). Und regelrecht drücken möchte man ihn für ein endlich mal wieder nichtreflexives und somit nichtautoerotisches „Sie lieben einander“ (wo bekanntlich andere – die meisten? – immer nur sich selber …)
Klaus Kamberger
Michael MacConnell: Glassplitter (Splinter, 2008). Thriller. Deutsch von Rainer Schumacher. Köln: Bastei-Lübbe 2010. 381 Seiten. 8,99 Euro.
(KR) In einer surreal verschobenen Welt, die einer eigenwilligen Traumlogik folgt, wird Charles Unwin, der kleine Schreiber einer großen Agentur, zum Detektiv befördert. Warum? Mit welchem Auftrag? Das ist ungewiss, aber vermutlich soll er Travis T. Sivart aufspüren, den besten Detektiv der Agentur, der seit einigen Tagen verschwunden ist.
Eine bizarre Suche beginnt, die Unwin nicht nur in Sivarts Vergangenheit, sondern auch zu dem Wanderzirkus, der nicht mehr weiterzieht, in die Träume eines ermordeten Wächters und in die absonderlichen drei Archive der Agentur führt, die das Geheimnis des aus den Fugen geratenen Gleichgewichts bergen.
Ein erwachsen-versponnener Roman, bildgewaltig und mit großer Freude am Absurden – ein bisschen wie „Brazil“ von Terry Gilliam, ein Anklang an den „Prozess“ von Franz Kafka, und doch sehr, sehr eigen. Berückend.
Kirsten Reimers
Jedediah Berry: Handbuch für Detektive (The Manual of Detection, 2009). Roman. Deutsch von Judith Schwaab. München: C. H. Beck 2010. 381 Seiten. 19,95 Euro.
Jedediah Berry beim Beck Verlag
(AVW) Wo James Patterson draufsteht, darf zuweilen Maxine Paetro schreiben. So geschehen auch in „Das 8. Geständnis“, in dem sie eine interessante Lesestütze mit einbaut. Da tauchen wie willkürlich kursiv gesetzte Wörter auf und liefern den spezifischen Women’s-Murder-Club-Duktus gleich mit. Überhaupt geht es bei den Mädels wieder äußerst turbulent zu: Ein mobiles Drogenlabor fliegt in die Luft, einem gütigen, allseits beliebten Obdachlosen wird brutal das Leben ausgehaucht, eine ehemalige Schönheitskönigin soll ihre Eltern zu Tode geprügelt haben, und eine Handvoll Superreicher stirbt auf mysteriöse Weise. Viel los also in San Francisco, doch fraglos bleibt ausreichend Zeit für stürmische Liebeswirren. Obwohl ganz dick aufgetragen, bleibt auch der 8. Fall um Lindsay Boxer ein schwacher Sex-&-Crime-Märchentanten-Potboiler.
Anna Veronica Wutschel
James Patterson mit Maxine Paetro: Das 8. Geständnis (The 8th Confession, 2009). Deutsch von Leo Strohm. Limes 2010. 349 Seiten. 19,95 Euro.
(DW) Ramón und Nelson, ein acht- und ein zwölfjähriger Junge aus Bogotá, beschließen ihr Elternhaus zu verlassen, und begeben sich auf einen Fußmarsch nach Medellín. Dort lernen sie Don Luis kennen, der sie in die Unterwelt der Sicarios einführt.
Wer sich schockieren lassen will, dem bietet „Porträt des Killers als junger Mann“ die beste Gelegenheit dazu, aber nur, wenn man das Buch ernst nimmt und seinen überwältigenden Realismus ohne Filter auf sich wirken lässt. Diesen Sommer ging das besonders gut, da meine Romanlektüre von Zeitungsberichten über minderjährige Drogendealer in Berlin flankiert wurde. Da möchte man dann schon mal sagen dürfen: Leute, ich hab nichts gegen bewusstseinserweiternde Substanzen, aber das Blut, das daran klebt, wollt ihr euch das wirklich mitreinziehen…?
Arturo Alape (1938–2006), Maler, Schriftsteller, Journalist und Historiker, legt mit „Porträt des Killers als junger Mann“ einen knallharten Kriminalroman über die jugendlichen Killerbanden Kolumbiens vor und reiht sich damit neben Jorge Franco („Rosario Tijeras“, 2002), Fernando Vallejo („Die Madonna der Mörder“, 2000) und Óscar Collazo („Morir con papá, 1997) in ein noch junges Genre ein, das in Fachkreisen als novela sicaresca bezeichnet wird.
Doris Wieser
Arturo Alape: Porträt des Killers als junger Mann (Sangre ajena, 2000). Roman. Deutsch von Erich Hackl. Köln: Edition Köln 2010. 173 Seiten. 9,95 Euro.