Geschrieben am 29. November 2014 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – frisch vom Hackblock

Heute am Beil Joachim Feldmann (JF) – über Cilla & Rolf Börjling: „Die dritte Stimme“ und Simone Buchholz: „Bullenpeitsche“ – und Alf Mayer (AM) – über Andreas Försters Sachbuch „Geheimsache NSU“.

Die dritte Stimme von Rolf BoerjlindBrüste, div.

(JF) An ihren Brüsten sollt ihr sie erkennen, die bösen Frauen. Mal „schwer und üppig“, mal nur „etwas“ zu groß, aber immer markant. Die eine handelt mit geklauten Drogen, die andere hat ein kleines Vermögen mit sexuellen Dienstleistungen gemacht. Nicht mit ihren eigenen, wohlgemerkt. Beide spielen nur Nebenrollen in diesem Kriminalroman aus schwedischer Produktion, doch ihr Vorkommen ist symptomatisch. Schließlich hat das Autorenpaar Cilla und Rolf Börjlind für sein zweites Werk kräftig in die gute alte Klischeekiste gegriffen. Da ist der Kriminalkommissar außer Dienst, der mit dem Namen eines englischen Blauschimmelkäses geschlagen ist.

Die Springflut von Cilla BoerjlindEinst hat ihm ein Kollege übel mitgespielt, und jetzt will er Rache. Persönliche Motive treiben auch eine eigenwillige junge Ermittlerin, die dem alten Haudegen nicht gerade wohlgesonnen ist. Wer wissen will, warum, muss den ersten Band der Reihe („Die Springflut“, 2013) lesen. Jetzt ist es auf jeden Fall Zeit, dass die beiden sich zusammenraufen. Denn es gilt, gleich mehrere Verbrechen, darunter einige Morde, aufzuklären. Was aber haben die abscheulichen Zustände in einigen privat betriebenen Pflegeheimen, im Zollamt verschwundene Drogen und ein französischer Pornoproduzent miteinander zu tun? Das fragen sich auch die Ermittler gelegentlich, damit nur kein Leser den Faden verliert. Aber keine Angst, auf den letzten 50 Seiten dieses ziegeldicken literarischen Standarderzeugnisses wird alles aufgeklärt. Man darf also „Die dritte Stimme“ getrost all jenen empfehlen, die Liza Marklund für eine große Erzählerin halten, Stieg Larsson für sein Stilempfinden bewundern und von Jussi Adler Olsens Erfindungsreichtum beeindruckt sind.

Cilla & Rolf Börjling: Die dritte Stimme. Kriminalroman (Den tredje rösten. 2013). Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt. 539 Seiten. München. btb 2014. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autoren.

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buchholz_bullenpeitscheDepressiver Hund, rauchend

(JF) Dem organisierten Verbrechen beizukommen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Diese für Fiktion und Realität gleichermaßen geltende Binsenweisheit trifft vor allem dann zu, wenn die Gangster über gute Kontakte zu den Strafverfolgungsbehörden verfügen. Zumal eine bürgerliche Fassade unabdingbar ist, wenn der Profit aus Drogenhandel, Glücksspiel und illegaler Prostitution erfolgreich in Bürogebäude, Luxuswohnungen und Einkaufszentren investiert werden soll.

Deshalb verblüfft es umso mehr, wenn der Anwalt eines umtriebigen Immobilienspekulanten, der immerhin als Zeuge eines Polizistenmordes vernommen werden soll, bereitwillig von einem mafiösen Einschüchterungsversuch berichtet und sogar einen der beteiligten Schurken identifiziert. Oder wenn der korrupte Oberstaatsanwalt so laut am Fenster stehend telefoniert, dass die Heldin gar nicht anders kann, als mitzuhören, was die Auflösung des Falles ungemein beschleunigt.

Diese Heldin, das ist Staatsanwältin Chastity Riley, die gemeinsam mit einem Team aufrechter Kriminalisten in ihrem fünften Fall ermittelt. Das allein wäre ziemlich öde, hätte Simone Buchholz ihrer Figur nicht eine unverwechselbare Erzählstimme verliehen. Atemloses Präsens, ein lässiger Hauptsatzstil, der die Ellipse nicht scheut, und originelle Wortkombinationen sorgen dafür, dass die als Kriminalroman daherkommenden Großstadtmärchen der Hamburger Autorin zur kurzweiligen Lektüre werden. Die eigentliche Schlüsselrolle in diesem Fall spielt übrigens ein depressiver Hund, mit dem die Heldin gelegentlich ihre Zigaretten teilt. Warum dem so ist, lässt sich hier nur sehr schlecht erklären. Das muss man selbst lesen.

Simone Buchholz: Bullenpeitsche. Kriminalroman. 224 Seiten. München. Droemer 2013. 12,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autorin.

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KLM_142_LAY_Foerster.inddAkutes Staatsversagen

(AM) Bücher zu verlegen, das hat für Hubert Klöpfer „auch mit Aufklärung“ zu tun. Der 1991 in Tübingen gegründete Verlag gehört zur Gilde unserer besten unabhängigen Verlage. Das Verlagsprogramm versteht sich, frei nach Hannah Arendt, als Sammlung von „Büchern fürs Denken & Lesen ohne Geländer“.
Selbst mit Geländer bliebe schwindelerregend, was der vom Journalisten Andreas Förster herausgegebene Band in Sachen „Geheimsache NSU“ zusammenträgt und an immer noch offenen Fragen aufwirft. Vielleicht ist es der Blick vom Baden-Württembergischen her in Richtung Berlin, Thüringen, Sachsen und andere Bundesländer, der diese „vorübergehende Bestandsaufnahme“ so lesenswert macht. Zehn Autoren befassen sich in 15 Beiträgen mit der NSU, dem sogenannten „nationalsozialistischen Untergrund“, der kommoder Weise ja nur aus drei Leuten bestanden haben soll. Die Dreier-Terrorzelle mit den beiden Killern praktischerweise schon tot und die Hauptangeklagte schweigend, das wäre für die Geheimdienste wohl die beste Lösung – und das ist sie auch für weite Teile der offiziellen Medien. Dabei gibt die Aufklärungsarbeit der Behörden selbst Anlass für überaus kritische Fragen zu den Ermittlungen, warum sonst wird der gesamte Komplex immer noch als hochbrisante Geheim- und Verschlusssache gehandhabt?

Andreas Förster (Foto: © privat/Quelle: Klöpfer & Meyer

Andreas Förster (Foto: © privat/Quelle: Klöpfer & Meyer

Kein Thrillerautor würde es wagen, solche Schoten zu fabrizieren, wie sie bei der „Aufklärung“ der NSU-Morde und der Verfolgung der Täter zutagetreten. Ja klar, wir alle haben schon so viel über diese Morde und Pannen gelesen, Spiegel-TV, stern und Spiegel und Stephan Aust haben uns das alles süffig aufbereitet. Dennoch bleiben Fragen. Fragen über Fragen. Die Autoren von „Geheimsache NSU“ haben sich drei Jahre mit dem Thema beschäftigt, haben die verschiedenen Untersuchungsausschüsse beobachtet sowie den laufenden Münchner Prozess, haben Hunderte von Ermittlungsakten ausgewertet, haben Zugang zu „sehr gut unterrichteten Kreisen“. Eines ist klar in dieser Sache: Die Geheimdienste mauern, was das klandestine Zeug hält. Die Nichtaufklärung der NSU-Morde lässt an einen „Tiefen Staat“ denken.

„Für die Demokratie und ihre Souveräne ist es unerträglich, wenn staatspolitisch gravierende Realitäten und Wahrheiten von Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Medien weiter verschleiert oder weggeredet werden. Dann ist die Diagnose dramatisch, mit politisch fataler Konsequenz: akutes Staatsversagen“, warnt Rainer Nübel in seinem Beitrag „Dissidenz im Dienst“.
Vielleicht sollte besser doch ein Geländer bei dieser Lektüre in der Nähe sein.

Andreas Förster (Hg.): Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur. Klöpfer & Meyer. Tübingen 2014.315 Seiten. 22,00 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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