Geschrieben am 18. Oktober 2014 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – kurz, konzentriert und auf den Punkt

Heute choppen Joachim Feldmann (JF) Mark Sullivans „Der Monddrache“ und Wolf Haas’ „Brennerova“ sowie Thomas Wörtche (TW) Werner Koppenfels’ Anthologie „Aus den Kerkern Europas“ und Arthur Conan Doyles „Spurensicherung“.

Mark_Sullivan_Der MonddracheHaarsträubend und a bisserl frivol

(JF) Nicht nur  angesichts der derzeitigen politischen Entwicklung in der arabischen Welt erscheint das Meisterstück des gelernten Diebs Robin Monarch als eine Heldentat von eher zweifelhaftem Wert. Bevor nämlich die sogenannte „Koalition der Willigen“ sich unter Führung der Vereinigten Staaten daran machte, den Diktator Saddam Hussein mit militärischer Gewalt zu Fall zu bringen, stahl der Wunderknabe die Kriegspläne des Irak. So will es zumindest die Legende, die sich Mark Sullivan für seinen Serienhelden ausgedacht hat. Und nun muss der ehemalige CIA-Agent, der es vom Straßenkind aus Buenos Aires zum hochdotierten Freelancer, spezialisiert auf Problemlösungen mit unorthodoxen Mitteln, gebracht hat, seinem früheren Arbeitgeber wieder einmal zur Hilfe kommen.

Auf einen Schlag nämlich hat eine islamistische Terrororganisation mit dem seltsamen Namen „Söhne der Prophezeiung“ die Außenminister der USA, Indiens und Chinas entführt. Die bislang unbekannten Dschihadisten verlangen nicht nur ein exorbitantes Lösegeld, sondern auch die Freilassung aller politischen Gefangenen in den drei Staaten. Eine weltweite Anschlagsserie soll der Forderung zusätzlich Nachdruck verleihen. Es bleibt also nicht viel Zeit für Monarch und seine Kollegen aus China und Indien, den Terroristen das Handwerk zu legen. Nun darf eine Welt, deren Probleme von entsprechend ausgestatteten Superhelden im Alleingang gelöst werden können, nicht allzu komplex strukturiert sein. Also muss eine Verschwörungstheorie her.

Mark Sullivan macht kein Geheimnis daraus, wer wirklich hinter den „Söhnen der Prophezeiung“ steckt, nämlich der chinesische Ober-Mafioso Long Chan-Juan, genannt der Monddrache, dem allein die durch die Terroranschläge verursachten Kursverluste an den Börsen Millionen einbringen. Doch er ist nicht allein. Um zu erfahren, wer außerdem von den Taten der (natürlich nichtsahnenden) Islamisten profitieren will, muss man den knapp 450 Seiten starken Schmöker bis zum Ende lesen. Und das ist für alle Freunde aktionsgeladener Spannungsliteratur ein großes Vergnügen. Sullivan erzählt die haarsträubende Geschichte mit einem exzellenten Gespür für Plot und Timing, überraschende Wendungen inklusive. Dass der Roman angesichts aktueller Bedrohungen ein wenig frivol wirkt, trägt vielleicht sogar zu seinem Reiz bei. Das war bei James Bond schließlich auch nicht anders.

Mark Sullivan: Der Monddrache. Ein Robin-Monarch-Thriller (Outlaw, 2013). Aus dem Amerikanischen von Irmengard Gabler. 447 Seiten. Frankfurt am Main. Fischer Taschenbuch 2014. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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Wolf_Haas_BrennerovaProdesse et delectare

(JF) Die Konstellation ist beinahe klassisch: eine schöne junge Frau. Ein ehemaliger Polizist, der auch schon mal als Privatermittler tätig war. Ein Auftrag. Die Schwester der schönen jungen Frau ist verschwunden, und der Detektiv soll sie finden. Doch um ihn dazu zu bringen, bedarf es einer List. Schließlich befindet sich der Mann im Ruhestand. Ungefährlich ist die Sache auch nicht. Im Zuhälter- und Mädchenhändlermilieu geht es rau zu, und gelegentlich wird zu drakonischen Maßnahmen gegriffen. Also passiert so einiges, bevor der Ermittler bemerkt, dass er ein weiteres Mal einem Schwindel aufgesessen ist. Am Ende sind einige Leute tot und andere überraschend wohlhabend. Der Ermittler weiß davon, beschließt aber, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Das heißt, so ganz sicher scheint er nicht zu sein.

Denn da ist wieder so eine schöne junge Frau. Mit einem solchen Plot könnte man allerhand anfangen. So manches nachtfinstere Detektivepos funktioniert nach diesem oder einem ähnlichen Muster. Doch wir befinden uns in einem Roman, dessen Erzähler mit Wortneuschöpfungen wie „Frauentränenumfaller“ aufwartet, dafür aber gern mal auf finite Verben verzichtet, ohne dass dies einem Mangel an Bildung geschuldet wäre. Schließlich kommt ein Tätowierer vor, der mit Kenntnissen des Altgriechischen brillieren kann, und die Herkunft des Attributs „drakonisch“ wird auch erklärt. Man wird also nicht dümmer beim Lesen. Und wer den (einst einzigartigen, inzwischen ab und an kopierten) Stil dieses Autors schätzt, dem manche das Potenzial einer gefährlichen Droge unterstellen, amüsiert sich bestens. So wird das ehrwürdige Prinzip des „prodesse et delectare“ (Horaz), das einst so großen Romanciers wie Henry Fielding („Tom Jones“, „Joseph Andrews“) als Motto diente, in der österreichischen Literatur des 21. Jahrhunderts auf wunderbare Weise wieder lebendig.

Wolf Haas: Brennerova. Roman. 239 Seiten. Hamburg: Hoffmann & Campe 2014. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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Werner_Von_Koppenfels_Aus den Kerkern EuropasAus Turm und Kerker

(TW) Der Unterschied zwischen Literatur und dem ganzen literaturanalogen Zeug, das uns heute von literaturfernen Produzenten für literaturferne Leser um die Ohren gehauen wird, ist: Literatur kann gefährlich sein und notfalls zum Tode führen. Oder in Knast und Kerker. An letzteren Orten endet sie keinesfalls, sondern macht sich und ihr Schicksal zum Thema. Ironisch, wütend, deprimiert, hoffnungsvoll, verzweifelt … Affekte und Reflexion geraten in neue Beziehungen.

Der Herausgeber Werner von Koppenfels nennt sie „verbale Konzentrationsübungen der besonderen Art“. Sie sind auch nicht unbedingt „sprachgewordene Agonie“ der Eingekerkerten (name dropping spare ich mir, es sind fast alle von Campanella über Erich Mühsam bis Joseph Brodsky dabei), aber Koppenfels irrt, wenn er mit poésie pure gar nicht erst rechnet. Da ist es dann doch schade, dass er sich auf die üblichen Verdächtigen beschränkt und einen Lyriker etwa wie Miklós Radnóti nicht auf dem Schirm hat. Der trug seine poésie pure noch am Leibe, als man seine Leiche ein Jahr nach Kriegsende, 1946, aus einem Massengrab bergen musste. Insofern bin ich skeptisch, was Koppenfels These betrifft, aber für die Anthologisierung solcher einschlägiger Texte, die die Themen Verbrechen und Literatur aus einem speziellen Blickwinkel betrachten, sehr dankbar.

Werner von Koppenfels, Hg: Aus den Kerkern Europas. Poetische Kassiber von François Villon bis Ezra Pound. München: C.H. Beck textura 2014. 134 Seiten. 14,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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Arthur_Conan_Doyle_SpurensicherungGeisterfotos

(TW) Sir Arthur Conan Doyle ist schon eine interessante Figur. Die mäßige Qualität seiner Prosa und seine keineswegs komplexe, eher einfache, auf ein paar Leitbegriffe reduzierbare Gedankenwelt wie auch der narrative Algorithmus der Sherlock-Holmes-Geschichten sind der Faszination an dem Phänomen Conan Doyle nicht abträglich. Der Mann, der Ratio und Deduktion in seinen Fiktionen feierte, war ein ebenso emphatischer Obskurant. Er beschäftigte sich, ganz im Geiste seiner modernen Zeiten, mit dem Medium der Fotografie. Und versuchte gleichzeitig und völlig ernsthaft, Geister und andere Gestalten aus dem Jenseits fotografisch festzuhalten, sie sozusagen zu realisieren.

„Virtuelle Evidenz und strategischer Realismus“ nennt deswegen Bernd Stiegler sein exzellentes Nachwort zu der mit vielen Fotos ausgestatteten Ausgabe von Conan Doyles gesammelten Schriften zu Fotografie – ein Steinbruch an Material  und Ideen, an dessen vielen Perspektiven und Problemstellungen man lange zu denken haben wird. Mir gefällt es, dass nicht nur ein kapitaler Gründungstext der Kriminalliteratur, „Die Morde in der Rue Morgue“ schon die Parodie des Genres mitliefert, sondern auch ein dito  kapitaler Gründervater wie Conan Doyle per se eine hochdialektische und bizarre Angelegenheit ist. Wichtiges Buch!

Arthur Conan Doyle: Spurensicherungen. Schriften zur Photographie. Hg. von Bernd Stiegler. Deutsch von Laura Su Bischoff. München: Wilhelm Fink (photogramme) 2014. 412 Seiten. 44,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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