Geschrieben am 15. September 2012 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops – heute auf dem Hackblock von Joachim Feldmann (JF) Max Landorffs „Die Stunde des Reglers“ und Petros Markaris‘ „Zahltag“; Stefan Linster (SL) hat sich Ewart Huttons „Die Guten und die Bösen“ vorgenommen und Thomas Wörtche (TW) eine schöne, von Alexandra Rügler in 3D-illustrierte Ausgabe von Patricia Highsmith‘ „Der talentierte Mr. Ripley“.

Kollateralschaden Nazi

(JF) Gabriel Tretjak ist „der Regler“. Für eine finanzkräftige Kundschaft beseitigt er diskret und elegant alle Widrigkeiten, die das Leben so mit sich bringen kann. Mal muss ein unliebsamer Konkurrent unschädlich gemacht werden, mal geht es darum, ganze Biografien umzuschreiben. Doch so souverän, wie Tretjak die Probleme anderer löst, so überfordert scheint er, wenn es um seine eigenen Angelegenheiten geht. Zudem haben Eingriffe in die Wirklichkeit auch für einen geschickten Manipulator gelegentlich unliebsame Konsequenzen.

Der Regler ist die Erfindung zweier unter Pseudonym schreibender Journalisten, die offenbar im Thrillergeschäft eine Marktlücke witterten. Und der Erfolg des ersten Bandes scheint ihnen recht zu geben. Nun liegt mit „Die Stunde des Reglers“ das zweite Abenteuer des ambivalenten Helden vor. Wer Spannungskolportagen schätzt, die einschlägigen Schmöker skandinavischer Herkunft aber als zu langatmig und moralinsauer empfindet, bekommt hier das richtige Lesefutter vorgesetzt.

„Max Landorff“ versteht aber nicht nur in dieser Hinsicht sein Handwerk. Damit kein Leser vorschnell auf die Idee kommt, hier vergnüge er sich unterhalb seines Niveaus, geht das Autorenteam gleich zu Anfang in die Vollen. Die neue Klientin des Reglers ist Physikerin am Europäischen Kernforschungszentrum CERN und betreibt Experimente, die vielleicht geeignet sind, das Zeit-Raum-Kontinuum durcheinander zu bringen. „Fass die Vergangenheit nicht an“, lautet die Warnung, die der Wissenschaftlerin immer wieder zugestellt wird. Dass die Absender zudem über intimste Kenntnisse ihrer Person verfügen, lässt die Angelegenheit ziemlich bedrohlich erscheinen.

Wer nun meint, Grundkenntnisse in experimenteller Physik seien notwendig, um dem Romangeschehen zu folgen, irrt natürlich. Schon bald führt der Plot auf vertrautes Terrain, nämlich in die deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945. Dass die Verbrechen der Nazis dabei zur Gruselfolklore mutieren, wurde offenbar als genrespezifischer Kollateralschaden in Kauf genommen.

Max Landorff: Die Stunde des Reglers. Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2012. 351 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Grenzlandjustiz hinter den Wäldern

(SL) Was bleibt einem fähigen Kripobeamten schon, wenn er ins Nirgendwo, genau gesagt mitten in die Wildnis von Mid Wales strafversetzt wurde? Er sucht sich seine Fälle, wenn er nicht gleich über sie stolpert.

So stößt Detektive Sergeant Glyn Capaldi eines Abends auf eine mysteriöse Vermisstensache, bei der ihm die Beteiligten, scheinbar harmlose Sportsfreunde und angesehene Bewohner des ihm zugeteilten Kaffs, alle Bären des Bezirks aufzubinden versuchen. Trotz mangelnder Protektion von oben forscht er weiter und findet heraus, dass über die Jahre in der Gegend weit mehr Menschen, meist junge Frauen, verschwunden sind. Da Capaldi nicht nur ein Auswärtiger, sondern auch noch mit italienischer Abstammung geschlagen ist, und vor allem, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, mauert die verschworene Dorfgemeinde samt Ehefrauen beharrlich, bis der DS weitere Beweise ermittelt und nach und nach ein durch Wegsehen, Lügen und Vertuschen erst mögliches Geflecht aus Allmachtsgebaren, übelsten Perversionen und Missbrauch aufdeckt.

E. Hutton lässt seinen Ich-Erzähler Capaldi eine höchst spannende Geschichte durchleben, welche einem zwar irgendwie bekannt vorkommt, weil sie sich schon mal so ähnlich in irgendeinem US-County abgespielt haben könnte, hier aber europäisch geerdet, sozusagen als Idealbesetzung im verschroben-verschlossenen Wales stattfindet. Man leidet förmlich mit bei seinem Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit, den er gegen alle, auch hierarchische Widerstände ficht, wenn er den falsch verstandenen Gemeinsinn, die Wagenburg der Hinterwäldler zu durchbrechen versucht, bisweilen Feuer mit Feuer bekämpfen und auf die gefährlichen Methoden seiner Feinde zurückgreifen muss, bis am Ende etliche Böse, nur ganz wenig Gute und überwiegend graue Seelen übrig bleiben. Obwohl mir die zugegeben überraschende Auflösung irgendwie – im Ernst, ich weiß wirklich nicht genau warum, vielleicht nur durch den Spannungsabfall – zu schwächeln scheint, kann ich DS Capaldis „Grenzlandepos“ nur empfehlen, vor allem, weil dieser einsame Held in Huttons Erstling durch ein paar Kniffe des Autors so ungemein vertraut und einnehmend wirkt und man noch mehr von ihm lesen möchte.

Ewart Hutton: Die Guten und die Bösen. (Good People, 2012). Roman. Aus dem Englischen von Teja Schwaner. München: Heyne 2012. 432 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformation zum Buch.

Lebendiges Genre

(JF) Für Selbsttötungen ist Kommissar Kostas Charitos von der Athener Mordkommission eigentlich nicht zuständig. Und doch bringt er es nicht fertig, die kleine Wohnung, in der sich vier Rentnerinnen aus Verzweiflung das Leben genommen haben, sofort wieder zu verlassen. Obwohl ihm danach wäre.

Die Finanzkrise hat Griechenland fest im Griff. Junge Leute haben keine Perspektive und die älteren müssen den Gürtel erheblich enger schnallen. Auch Charitos’ eigene Familie ist betroffen. Seine Tochter spielt mit dem Gedanken, für das UN-Flüchtlingskommissariat nach Afrika zu gehen. Zuhause hat die studierte Juristin keinerlei Aussichten auf eine feste Anstellung.

Dafür geht es auf der Dienststelle bemerkenswert ruhig zu. Doch bevor die Langeweile gar zu drückend wird, schlägt der „nationale Steuereintreiber“ zu. Der selbsternannte Sanierer der griechischen Staatsfinanzen greift zu drastischen Mitteln, um säumige Steuerzahler zur Begleichung ihrer Schulden zu motivieren. Wer die in einer brieflichen Warnung gesetzte Zahlungsfrist nicht einhält, wird umgebracht. Und schon bald hat Charitos es mit mehreren Leichen zu tun. Geheim bleibt die Sache nicht, denn der Mörder nutzt die modernen Kommunikationstechniken des Internets. Schnell bringt er eine regelrechte Fangemeinde hinter sich, während die Überweisungen ausstehender Steuern rapide zunehmen. Für den Bauunternehmer Polatoglou ist die Sache klar: Dahinter kann nur die deutsche Kanzlerin stecken, schließlich habe sie Methoden dieser Art während ihrer Jugend in der DDR gelernt. Er selbst hat auch sofort reagiert und 300.000 Euro bezahlt. Nicht weil er einsieht, dass Steuerhinterziehung ein Unrecht sei, sondern schlicht um sein Leben zu retten.

In einer Zwickmühle hingegen befindet sich der Staatsapparat. Die unerwarteten Einnahmen sind hochwillkommen, doch darf man deshalb einem Mörder freie Hand lassen?

Diese verblüffende Grundkonstellation nutzt Petros Markaris für einen bemerkenswerten Kriminalroman, in dem sich beißende Kritik an den Verhältnissen mit der Ironie der Verzweiflung paart. Denn eine realistische Lösung für die griechische Misere hat auch der Autor, geschweige denn sein Protagonist, nicht zur Hand.

Somit bleibt auch die Ermittlung des Täters, zu der es zwangsläufig kommt, obwohl der Autor seinen Kommissar lange im Dunkeln tappen lässt, natürlich unbefriedigend. Literarisch allerdings gelingt Petros Markaris mit „Zahltag“ erneut der Nachweis, dass der gesellschaftskritische Kriminalroman ein ausgesprochen lebendiges Genre ist.

Petros Markaris: Zahltag. Ein Fall für Kostas Charitos. Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Zürich: Diogenes 2012. 420 Seiten. 22,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Mehrdimensional grotesk

(TW) Zu dem ersten Ripley-Roman von Patricia Highsmith muss man – glaube ich – an dieser Stelle nichts mehr sagen, Paul Ingendaay erklärt ihn im Nachwort, und wer das nicht alles glauben mag, was da steht, kann sich auch die Antithese anschauen (hier und hier).

Aber darum geht es nicht, sondern um die wunderbaren 3D-Illustrationen (Brille liegt dem Buch bei) von Alexandra Rügler, deren zweidimensionale Tuschversionen schon bizarr und geheimnisdräuend aussehen. Mit der dritten Dimension, so einfach ist manches, kommt eben noch eine weitere Ebene der Uneindeutigkeit, der Unsicherheit, der Verfremdung ins Spiel – gerade da, wo die Dreidimensionalität Seh-Räume aufschließt und erfahrbar macht.

Ob und wie das mit dem Ripley-Text zu hat, bleibt der Interpretation der Künstlerin vorbehalten. Ästhetisch auf jeden Fall ein ganz und erheblicher Mehrwert und eine sorgfältig und sehr schön gemachte Buchausgabe.

Patricia Highsmith: Der talentierte Mr. Ripley (The Talented Mr. Ripley, 1955). Roman. Deutsch von Melanie Walz mit 3D-Illustrationen von Alexandra Rügler. Frankfurt: Edition Büchergilde 2012. 315 Seiten. 24,99. Verlagsinformationen zum Buch.

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