Geschrieben am 16. Juni 2012 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops – kurz, auf den Punkt und schmerzhaft, wenn nötig.

Heute choppen Judith Momo Henke (JMH) einen Roman von Ann Rosman, Thomas Wörtche (TW) eine Comic-Adaption von Christian De Metter nach Armitage Trail. Kirsten Reimers  (KR) nimmt sich Christine Lehmann vor, Joachim Feldmann (JF) erfreut sich an Florian Scheibe.

Ann Rosman: Die Tote auf dem Opferstein

 (JMH) Es wäre fast zu schön gewesen: Eine Kommissarin lebt auf ihrem Segelboot und ermittelt in der idyllischen Kulisse der schwedischen Schären. Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten ist sie frei wie ein Vogel, könnte an- und ablegen, wo immer sie will, von einem Fall zum nächsten die Küste rauf und runter schippern, interessanten Menschen begegnen und danach als einsame Wölfin wieder in den Sonnenaufgang segeln. Fans blutiger Morde vor skandinavischer Urlaubskulisse hätten es geliebt. Leider nutzt die 1973 geborene schwedische Autorin Ann Rosman die Unabhängigkeit nicht, die sie sich und ihrer Protagonistin Karin Adler mit der ursprünglichen Konstellation eröffnet hat.

Adler, auf dem Buchcover als „Schwedens beste Ermittlerin gepriesen“, holt sich in ihrem zweiten Fall „Die Tote auf dem Opferstein“ mit dem hübsch-harmlosen Johan gleich den nächsten Mann (und damit die Sesshaftigkeit) an Bord und vergisst darüber streckenweise die kopflose Leiche, die auf dem Oferstein der Insel Marstrand gefunden wurde. Wer die Frau war bleibt lange ungeklärt, fest steht nur: Die Rollenspielerin, die sich nach einer der drei Nornen in der nordischen Mythologie Skuld nannte, wurde enthauptet. Zeitgleich entdeckt eine alte Dame auf ihrem Gartenzaun einen aufgespießten Schädel. Doch Kopf und Körper gehören nicht zusammen. Hier könnte es spannend werden, würde sich Rosman auf die Krimihandlung konzentrieren. Stattdessen wendet sie sich mal dem Liebesgeplänkel der Kommissarin, mal dem Burnout einer Inselbewohnerin zu und degradiert Adlers ermittelnde Kollegen zu lächerlichen Pausenclowns, deren immer gleiche Späße auf die Dauer nur noch nerven.

So wird die vom Umschlagtext angekündigte „Hexenjagd im Sommerparadies“ zu einem Sonntagnachmittagsspaziergang durch eine zweidimensionale Kulisse. Fazit: Blutarm und konstruiert – da retten auch abgehackte Köpfe und mittelalterliche Foltermethoden nichts.

Ann Rosman: Die Tote auf dem Opferstein (Själakistan, 2010). Deutsch von Katrin Frey. Berlin: Rütten & Loening 2012. 458 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Webseite der Autorin.

Blutrot und regennass …

(TW) Obwohl Armitage Trails Roman „Scarface“ aus dem Jahr 1929 nicht gerade ein literarisches Meisterstück war, ist er doch wegen seiner mythenbildenden Funktion immer noch irgendwie präsent. Die Hauptfigur, der Gangster Tony Camonte, war eine stilisierte Al-Capone-Figur; der Mobster als Psychopath. Stilisiert dann auch die Verfilmung von Howard Hawks (am Drehbuch waren Ben Hecht und W.R. Burnett beteiligt), genauso wie die megalomane Neuinterpretation von Brian de Palma mit einer irren Perfomance von Al Pacino. Dazu noch ein paar andere Comic-Adaptionen – und jetzt also die Fassung des französischen Comic-Künstlers und Adaptionsspezialisten Christian De Metter, dem wir u. a. auch eine Comic-Fassung von „Shutter Island“ nach Dennis Lehane verdanken.

Natürlich ist an der Geschichte vom toughen Straßenkind, das sich zum Gangsterboss hochmordet und am Ende wegen Frauen, bizarrer Ehrbegriffe und allgemeiner Durchgeknalltheit den suicide by cops sucht, nicht viel Originalität zu holen. Immerhin, De Metter entzaubert in einer schönen Miniatur einen der berühmten Topoi über das Gangstertum in Chicago und dessen soziale Funktion (Armenspeisung etc.) als reinen Kitsch: Camonte ist nett zu Kids aus der Unterschicht, derweil seine Jungs (offscreen) einen Feind foltern, wobei das Wohltätigkeitsgetue als akustischer Schutzwall dienst. Das ist perfide gut gemacht.

Weil aber die Story als Story nicht sehr viel hergibt (außer man findet die x-Variante des Capone-Motivs spannend) – als Antidot könnte man zum Beispiel immer mal wieder die wirklich aspektreiche Kulturgeschichte der Prohibition, Thomas Welskopps „Amerikas große Ernüchterung“ lesen –, macht die pure Ästhetik die Qualität des Comics aus. De Metter richtet eine Farbenorgie an, giftgrün und schwefelgelb, verhangen nacht-blau, fahles Licht, rotes Blut, regenglitzernde Stadtlandschaften, strenge Panels, Schatten und Interieur, Weichzeichner, Tableaus, Schnitt und Gegenschnitt. Der Erzählgestus ist lakonisch und alle Filmfreunde finden genügend Zitate, um sich eingeweiht zu fühlen. Comic-Kunst pur, die an dieser Stelle mit diesem arg historischen Stoff glücklicherweise auf ihren ästhetischen Qualitäten basiert und nicht in irgendwelchen Diskursen herumirrt. Große Klasse!

 Armitage Trail/Christian De Metter: Scarface (Scarface, 1930, 1992, 2011) Graphic Novel. Deutsch von Resel Rebiersch. München: Schreiber & Leser noir 2012. 106 Seiten. 21,80. Euro. Verlagsinformationen zum Buch und Leseprobe.

 

Unter Geisterjägern

(KR) Ein Mysterium! Ermordet liegt der Parapsychologe Gabriel Rosenfeld in einem von innen verschlossenen Raum im Institut für Grenzwissenschaften. Das Herz wurde ihm herausgeschnitten – doch das war nicht die Todesursache. Was zunächst wie ein höchst klassischer Krimiplot scheint, entpuppt sich als etwas ganz anderes: Statt wie ein Locked-Room-Mystery ein logisches und rationales Krimirätsel zu bieten, bekommt die Story einen gehörigen Drall ins Paranormale.

Christine Lehmann spielt mit allerlei aktuellen Trends der Literatur- und Filmindustrie: Vampire, Nachzehrer, Voodoo, Spuk, Hellseherei, Psi-Phänomene, Telekinese und, und, und. Über allem droht der allmächtige Mentalterrorist, der allein durch seine Geisteskraft Erdbeben hervorruft, Flugzeuge abstürzen lässt und verstörende Tweets via Twitter versendet. Mittendrin Schwabenreporterin Lisa Nerz, die zu ihrem Erstaunen auch über Psi-Kräfte verfügt. – Oder?

Wie schon in „Malefizkrott“ greift Lehmann aktuelle Ereignisse und Strömungen in Gesellschaft wie Medien auf und verzwirbelt sie in gestochen scharfer Sprache und zwingender Logik zu einem klugen Krimiplot. Da bleiben auch der Seitenhieb auf die Rätselralley à la Dan Brown und das Geheimnis um den schwingenden Kronenleuchter in Schloss Neuschwanenstein nicht außen vor. Leicht ins Surreale übersteigert, bleibt Lehmann dennoch bodenständig und zeigt unter anderem die Manipulierbarkeit der Medien und deren Manipulationen, wenn es um den nächsten heißen Scoop geht.

Das Einflechten von Weltereignissen und Aufregern ist wunderbar gemacht, aber es hat – nachdem es bereits in „Malefizkrott“ das zugrundeliegende Konzept war – dieses Mal ein bisschen was von dem Abgehen bestimmter Themenpunkte: Während des Lesens läuft im Hinterkopf eine Liste mit, auf der die einzelnen Punkte nach und nach abgehakt werden. Nichtsdestotrotz ist der Roman faszinierend, fesselnd und sinnlich, denn Christine Lehmann schafft es wie keine Zweite, dass man beim Lesen mit Lisa Nerz in das merkwürdige Denksystem der Parapsychologie eintaucht und gleichzeitig das Konzept von außen kritisch hinterfragt. Und nicht einmal der Katzencontent kommt dabei zu kurz.

 Christine Lehmann: Totensteige. Roman. Hamburg: Ariadne/Argument Verlag 2012. 537 Seiten. 12,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Webseite der Autorin.

 

Realitätsverlust

(JF) Sie ist kontaktfreudig und spontan, er mürrisch und introvertiert. Sie darf sich als junge Wissenschaftlerin auf eine akademische Karriere freuen, während er seit einigen Jahren ohne Erfolg versucht, einen Roman zu schreiben. Eine harmonische Beziehung sieht anders aus. Das ändert sich auch während eines gemeinsamen Sizilien-Aufenthalts nicht. Während sich Svenja ihren architekturhistorischen Forschungen ergibt, durchlebt der Ich-Erzähler in Florian Scheibes Debütroman „Weiße Stunde“ am Computer eine Schreibkrise nach der anderen. Bis Svenja nach einem Streit während der Besichtigung eines alten Hauses spurlos verschwindet. Ohne nach ihr zu suchen, kehrt der Erzähler in die Ferienwohnung zurück. Zwar kommt ihm in den Sinn, dass er besser die Polizei verständigen sollte, doch dieser Gedanke wird rasch verworfen.

Stattdessen konzentriert er sich auf seine Sinneseindrücke. Und er arbeitet. Mit Svenja scheint auch die Schreibblockade verschwunden zu sein. Befeuert wird dieser plötzliche Kreativitätsschub durch einen immer stärkeren Alkoholkonsum. Dazu kommt die Angst. Svenja hat Freunde auf der Insel, die ihre Abwesenheit bemerken könnten. Also geht er doch noch zur Polizei, wo er sich naturgemäß in Widersprüche verwickelt und letztendlich selbst unter Mordverdacht gerät.

Das ist das Material, aus dem man Psychothriller macht. Doch Florian Scheible scheint es mehr um die Darstellung einer problematischen Schriftstellerexistenz zu gehen. Unklar bleibt, an was für einem Roman der Protagonist eigentlich arbeitet. Haben wir es vielleicht mit einem Wiedergänger des erfolglosen Romanciers Jack Torrance aus Stephen Kings „The Shining“ zu tun, der immer wieder denselben Satz zu Papier bringt? Die Frage bleibt offen.

Beantworten allerdings lässt sich die Frage nach der Qualität dieses Romans. „Die weiße Stunde“ ist eine eindrucksvoll erzählte, sprachlich virtuose Studie über Wahn und Realitätsverlust.

Florian Scheibe: Weiße Stunde. Roman. 205 Seiten. Wien: Luftschacht 2012. 20,40 Euro. Zum Verlag. Zur Webseite des Autors.

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