Geschrieben am 18. Juni 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– bluttriefend heute aus Romanen & Comics von Thomas Wörtche (TW), Joachim Feldmann (JF) und Kirsten Reimers (KR)

Wunderbar rhythmisch erzählt und gezeichnet

(TW) Bei dem Hype um die Parker-Romane von Donald E. Westlake alias Richard Stark vergisst man gerne die nicht minder großartigen Romane, die vom genialen, aber meist erfolglosen Dieb John Dortmunder und seinen jeweils neuen, sehr komischen Katastrophen erzählen.

Der erste Dortmunder-Roman erschien 1970, „The Hot Rock“ (auf deutsch damals: „Finger weg vom heißen Eis“, 1991 bei Ullstein, eine Verfilmung unter dem Titel „Vier schräge Vögel“ mit Robert Redford als Dort´ gab es 1972, immerhin von Peter Yates) und jetzt hat der französische Comic-Zeichner und Szenarist Christian Lacroix aka Lax seine Version vorgelegt. Die wunderbar rhythmisch erzählte und gezeichnete Geschichte vom großen Coup um einen Gigasmaragd, den man eigentlich nur aus einer Ausstellung zu stehlen braucht. Ganz einfach.

Natürlich geht der Bruch schief, der Smaragd ist weg und um ihn wiederzubekommen, müssen Dortmunder und sein Team aufrüsten. Zum Schluss spielen Lokomotiven, Hubschrauber und Düsenflugzeuge eine Rolle, denn was still und einfach anfängt, gerät zum Riesenschlamassel. Lax reduziert die Vorlage auf ein paar gut gesetzte running gags, auf wunderbare, kleine Seitenlinien (der von-Tür-zu-Tür-Verkauf von Lexika, zum Beispiel) und feines Zeitcolorit, NYC 1969.  Das ist extrem unterhaltsam und witzig, intelligent und keinen Moment unterkomplex. Aber auch nicht nutzlos ambitioniert oder überkomplex. Eine der Vorlage völlig angemessene Umsetzung. Man müsste alle Dortmunder-Romane noch mal machen, dazu hat schon neulich Mike Wuliger an dieser Stelle aufgerufen.

http://www.youtube.com/watch?v=DoMs7Wby36M

Lax/Donald Westlake: Hot Rock (Pierre qui roule, 2008). Deutsch von Resel Rebiersch. München: S&L noir 2011. 89 Seiten. 17,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch

Sherlock Holmes, indisch …

(JF) Wie der großes Sherlock Holmes ist der indische Privatdetektiv Vish Puri ein scharfsinniger Meister der Tarnung. Äußerlich dürfte der Liebhaber scharf gewürzter Speisen allerdings mehr Ähnlichkeit mit seinem New Yorker Kollegen Neo Wolfe haben, doch anders als dieser verlässt Vish Puri sein Domizil nicht ungern. Gewöhnlich lässt er sich in einer klimatisierten Limousine zu seinen Einsatzorten chauffieren.

Puris ganzes kombinatorisches Geschick ist im Fall des Wissenschaftlers Dr. Jiha gefordert. Der als „Guru-Knacker“ berühmte Rationalist entlarvt mit Wonne Scharlatane, die mit ihren angeblichen übersinnlichen Fähigkeiten ihren Lebensunterhalt bestreiten. Da wundert es wenig, dass er sich in dieser Berufsgruppe nicht unbedingt Freunde gemacht hat. Als Jiha dann ausgerechnet bei der Lachtherapie im Park von der Rachegöttin Kali erstochen wird – so sieht es zumindest aus –, fällt der Verdacht auf seinen Erzfeind, den einflussreichen Guru Maharaj Swami. Ein guter Grund für Vish Puri, dessen florierendes Esoterik-Unternehmen genauer unter die Lupe zu nehmen. Doch die Lösung des Falles gestaltet sich, zum Vergnügen des Lesers, um einiges komplizierter.

Tarquin Hall, ein in Delhi und London lebender britischer Schriftsteller, hat diesen Ermittler klassischen Zuschnitts erfunden. Wer traditionelle Handlungsmuster liebt und gleichzeitig etwas über den Alltag der indischen Mittel- und Oberschicht erfahren möchte, findet hier die passende Lektüre. Er muss allerdings auch mit Sätzen wie diesem fertig werden: „Als seine aloo paranthas vor ihn gestellt wurden, starrte er missmutig auf den Teller und knurrte: ‚Wo ist das aachar?’“ Die Marotte des Autors, viele indische Ausdrücke im Original zu belassen, mag die Authentizität des Romans steigern, die Freude an der Lektüre wird durch das ständige Blättern im 14-seitigen (!) Glossar am Ende des Buches nicht unbedingt gefördert.

Tarquin Hall: Der lachende Tote. Ein neuer Fall für Vish Puri (The Case of the Man Who Died Laughing 2010). Roman. Deutsch von Jochen Stremmel. 397 Seiten. München: Heyne 2011. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
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Schauriger Untergang

(KR) Das Herrenhaus Hundreds Hall im ländlichen Warwickshire ist seit Jahrhunderten der Stammsitz der Familie Ayres. Schon als Kind war Dr. Faraday von dem Anwesen fasziniert. Jahre später wird er durch einen Zufall Hausarzt der Familie. Doch inzwischen hat das Haus viel von seinem früheren Glanz verloren. Das Geld fehlt, um es instand zu halten, deshalb verkommt es mitsamt dem riesigen Grundstück nach und nach. Ich-Erzähler Faraday verkehrt bald auf freundschaftlichen Fuß mit der Familie und muss feststellen, dass die wenigen verbliebenen Ayres offenbar glauben, dass das Haus von etwas infiziert ist – von etwas Bösem und Grausamen, das sie in den Wahnsinn treiben will. Faraday lehnt diese Vorstellung ab, doch erklären kann er sich die vielen seltsamen und beängstigenden Vorfälle mit reiner Logik nicht. Hat Caroline, die Tochter des Hauses, tatsächlich recht, dass hier etwas Übernatürliches unterwegs ist? Dass im Haus die Abspaltung einer hassenden Seele umgeht?

Sarah Waters knüpft mit ihrem atmosphärisch dichten Roman an die Tradition des Schauerromans an: keine groben Schockeffekte, keine aufgebauschte Action, nur wenig Blut. Stattdessen beschwört Waters mit leisen Tönen eine Atmosphäre der Unsicherheit und Ungewissheit herauf. Gleichzeitig zeichnet sie das Porträt einer Gesellschaft, die nach dem zweiten Weltkrieg in Bewegung geraten ist: verarmender, weltfremder britischer Landadel einerseits, aufstrebende, ehrgeizige Unterschicht andererseits. Das ist gekonnt und sehr elegant geschrieben mit sehr sorgsam gezeichneten Charakteren sowie klug konstruierter Handlung. Und wenn man aufmerksam liest, versteht man gut, was hier tatsächlich umgeht.

Sarah Waters: Der Besucher (The Little Stranger, 2009). Roman. Deutsch von Ute Leibmann. Köln: Lübbe 2011. 571 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch

Schmatz, fress …

(TW) Zombies sind bekanntlich die Prolls im Horror-Ensemble. Sie sind langsam, ein wenig dumm, haben beklagenswerte Tischmanieren.  Heutzutage sind sie nicht mehr Kreaturen der Voodoo-Master, sondern Romero´sche Schmatzleichen on the road und vermutlich Ergebnis menschlicher Hybris. Virus, Bakterien, Umweltsünden, Krieg, biologischer. Oder so. Auslegungen aller Art gibt´s bei jedem Diskurs-Discounter.

Große Klasse sind Zombies für düstere Postdoomsday-Szenarien, weswegen Texter Olivier Peru und Zeichner Sophian Cholet die Farben extra Simon Champeolivier anvertraut haben, der auch sehr schön morbide Moddertöne hinbekommt, in denen sich die feinen Splatter-Effekte des Comics auch erfreulich gut machen. Überhaupt, platzende Köpfe, abgebissene Gliedmaßen und detailfreudig angefressene Leute zieren die clever angelegten Panels. Action und beeindruckende Bilder machen das ganze Projekt sehr unterhaltsam. Ansonsten nix Neues seit „Resident Evil“ & Co. – die Saga um den Helden, der seine verloren gegangene Tochter sucht und sich mit anderen Überlebenden zusammenschließt, ist zumindest hier in Teil 1 noch wenig originell oder überraschend. Überrascht ist man nur über den Titel. Dante als Zombieland? Naja, Kultur soll ja angeblich heben …

Peru/Cholet/Champlovie: Zombies. Teil 1: Die Göttliche Komödie (Zombies: La Divine Comédie, 2010). Deutsch von Tanja Krämling. Bielefeld: Splitter Verlag 2011.  48 Seiten. 13,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch

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