Geschrieben am 16. April 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– aus Druck- und Bildmaterial angerichtet heute von Doreen Wornest (DW), Joachim Feldmann (JF) und Frank Rumpel (rum).

Kommissarin Lund. Das Verbrechen II.

(DW) Kommissarin Lund ist zurück! Von ihrem ehemaligen Chef aus der Provinz nach Kopenhagen zurückgerufen, soll sie zusammen mit ihrem neuen Partner Ulrik Strange den Mord an der Rechtsanwältin Anne Dragsholm aufklären. Dieser Mord markiert den Beginn einer grausamen Serie. Die weiteren Opfer haben vor einiger Zeit zusammen als Soldaten in Afghanistan gedient. Jens Peter Raben, einer dieser Soldaten und seit zwei Jahren in der Psychiatrie, bricht nach der wiederholten Ablehnung seines Entlassungsantrags aus und macht sich auf die Suche nach den noch lebenden Mitstreitern.

Als ein Video auftaucht, das die Morde in Verbindung mit muslimischen Racheakten wegen des Einsatzes dänischer Truppen im Krieg bringt, gerät auch der neue Justizminister Thomas Buch unter Druck. Sein Vorgänger liegt nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus und nun soll Buch das neue Antiterrorpaket durchboxen. Jede der fünf Folgen offenbart neue Zusammenhänge zwischen Lunds Ermittlungen, Rabens Vergangenheit und Buchs heikler Aufgabe. Am Ende verbinden sich die Stränge organisch und es kommt doch alles gaaanz anders als man vermutet. Wirklich ganz anders!

Lund ist immer souverän, egal ob ihr niemand bei ihren Gedankengängen über die Hintergründe zustimmen will, sich herausstellt, dass sie natürlich doch Recht hat oder ob sie in die mit nackten Männern bevölkerte Herrendusche auf dem Militärstützpunkt spaziert. Einzig wenn ihr neuer Kollege sie küssen will, ist sie wie vom Donner gerührt.

Auch der Justizminister macht Spaß. Die Stimmung des knubbeligen Mannes kann man an seinen Essgewohnheiten ablesen. Sieht er keine Chance in seinem Amt, isst er ständig Schokolade. Wähnt er sich jedoch im Aufwind, lehnt er von der allzeit bereiten Sekretärin gereichtes Naschwerk mit den Worten ab: Ich habe eine Birne dabei.

Fazit: Das können sie, die Dänen. Politisches und privates, große Welt und kleine Provinz, analytisch, genau, das eine im anderen spiegeln und reflektieren.

Einziger Nachteil an der DVD-Box: nur die deutsche Tonspur ist vorhanden. Das ist mager.

http://www.youtube.com/watch?v=exQipegrlHY

Kommissarin Lund – Das Verbrechen – Staffel 2 (5 DVDs)
Studio: Edel Motion. Laufzeit: 570 Minuten. Darsteller: Sofie Gråbøl, Mikael Birkkjaer, Nicolas Bro, Ken Vedsegaard, Charlotte Guldberg, Preben Kristensen, Stine Praetorius, Flemming Enevold, Morten Suurballe. Regie: Kristoffer Nyholm, Hans Fabian Wullenweber, Charlotte Sieling. Drehbuch: Søren Sveistrup, Torleif Hoppe, Michael W. Horsten.  27,99 Euro.

Unwahrscheinlich und vergnüglich

(JF) Lila Ziegler ist eine der unwahrscheinlichsten Ermittlerfiguren im an unwahrscheinlichen Ermittlerfiguren nicht gerade armen deutschen Kriminalroman. Ihrem prügelnden Juristenvater entkommen, landet die Abiturientin ausgerechnet in Bochum, wo sie sich bei dem taffen Privatdetektiv Ben Danner einnistet, um ihm fortan bei seinen Fällen behilflich zu sein, erotische Komplikationen inbegriffen. Nun liegt bereits das dritte Ziegler-Abenteuer vor und man liest es mit demselben ungläubigen Vergnügen wie seine Vorgänger. Angesichts dessen nämlich, was bei einer solchen Konstruktion alles schief gehen könnte, lässt sich nur staunen, wie es der Autorin Lucie Flebbe gelingt, immer wieder den richtigen Ton für ihre Heldin zu finden. Frech, flapsig und respektlos erzählt uns Lila von ihren Ermittlungen unter obdachlosen Jugendlichen, ohne dabei in falsche Sentimentalität zu verfallen. Ihren Fall löst sie übrigens auch. Und am Ende darf ihr Name mit aufs Schild am Briefkasten von Danners Detektei. Was auf einen weiteren Fall für das seltsame Duo hoffen lässt.

Lucie Flebbe: Fliege machen. Kriminalroman. Dortmund: Grafit 2011. 249 Seiten.  8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage der Autorin

Ein Mietshaus als Mikrokosmos

(rum) Ein Gründerzeithaus in einer Vorstadt Wiens und dessen Bewohner: Darum kreist Anne Goldmanns Debüt-Roman „Das Leben ist schmutzig“. Das hört sich unspektakulär an und ist es zunächst auch. Die unterschiedlichsten Charaktere finden sich dort zusammen, bestreiten ihren Alltag, freunden sich an, pflegen ihre Konflikte, ihre Eigenheiten, suchen ihr Stück Abgeschiedenheit oder einen Anschluss. Goldmann springt in kurzen Kapiteln zwischen den Bewohnern umher, zoomt sich ganz nah an sie heran und verändert dabei jeweils sacht ihren Erzählton. Sie trifft den Ton etwa für den im Parterre bei seiner Mutter lebenden, pubertierenden Markus, der da zunächst kriminell zu werden droht, bevor er sich in die fast doppelt so alte Langzeitstudentin und Kellnerin Mona aus dem ersten Stock verliebt, sie trifft den Ton für den altersstarren, grantelnden Pöhz genauso wie den für die psychisch labile Marie aus dem zweiten Stock. Sie nimmt ihre Figuren ernst und zeichnet sie mit viel Gespür für deren Nuancen und Befindlichkeiten, lässt ihnen Platz und schafft so ein Kaleidoskop von Lebensentwürfen, die sich da an einem Ort kreuzen. Ein Mietshaus als Mikrokosmos, der einen scheinbar beliebigen, aber schillernden gesellschaftlichen Ausschnitt abbildet.

Der Alltag gerät durcheinander, als im Keller die verwesende Leiche einer Frau gefunden wird, einer Bewohnerin des Hauses, die erst eingezogen war. Kurz vor ihrem Tod hatte sie einen Unfall, stieß beim Betreten einer Bank mit dem maskierten Räuber zusammen, der in der Stadt seit Wochen Geldhäuser erleichterte. Sie stürzte, verletzte sich schwer, kam aber wieder auf die Beine. Der Leichenfund verändert das Leben im Haus nachhaltig, weil er Misstrauen sät. Die Gerüchte kochen hoch, dann kehrt allmählich wieder so etwas wie Alltag ein, bis eine Bewohnerin erneut für Unruhe sorgt. Die etwas absehbare Kriminalgeschichte hat Goldmann ganz unaufgeregt eingeflochten. Da werden keine Ermittlungen beschrieben. Vielmehr wird sie Teil der übrigen Geschichten, weil sich die Hausbewohner mit dem Vorfall auseinandersetzen.

Goldmann begleitet ihre Figuren über viele Monate, entwickelt daraus eine vielstimmige Geschichte, erzählt sie klug und konsequent, mit viel Lebenserfahrung und gleichermaßen Sinn für die leisen Töne wie für die Wirrnisse, Schräglagen und gelegentlich grotesk anmutenden Abgründe, die so ein Leben bereit halten kann. Große Klasse.

Anne Goldmann: Das Leben ist schmutzig. Roman. München: Ariadne im Argument-Verlag 2011. 285 Seiten. 11 Euro. Verlaginformationen zum Buch

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