Geschrieben am 5. Juli 2016 von für Bücher, Litmag

Biografie: Helge Timmerberg: Die rote Olivetti

Timmerberg_OlivettiAutobiographie, für die das Vorbild (Hunter S. Thompson) nichts kann

– Von Michael Höfler

Autobiographische Texte leben vom Neid des Lesers, kein genauso ungewöhnliches Leben zu führen. Helge Timmerbergs Lebensbuch beginnt 1970 in London. Während drei Häuser weiter Jimi Hendrix stirbt, ist Timmerberg auf LSD unterwegs, danach in Indien. Dort empfängt er „von einer körperlosen Stimme“ den Befehl, Journalist zu werden. Yoga und Hindu-Ideen geben ihm Gleichmut gegenüber den folgenden Misserfolgen im deutschen Lokaljournalismus. Der Leser darf Timmerberg besonders um die Jahre zwischendurch beneiden, in denen er ein vegetarisches Lokal für lebensfrohe Hippies führt: „Egal, was sie lasen und wie sie fickten, alle klebten die lachende Sonne auf ihre Autos, ihre Brust, ihre Jutetaschen.“ Eine Atom-Reportage bringt Timmerberg zum „Stern“, dessen Renommee er bewundert, wo aber Anfang der ’80er nach dem Skandal um die „Hitler-Tagebücher“ der neue Verleger Jürgen Möllemann seinen Pro-Cannabis-Artikel verhindert.

Im Namen von Hunter S. Thompson („mein großes journalistisches Vorbild“) geht es für Timmerberg beim „Playboy“ weiter. Warum er sich bei Thompson nur den Hedonismus („Sexist ist ein Kompliment“, heißt es an anderer Stelle), nicht aber die moralische Haltung und den Wahrheitsfanatismus (Timmermann wiederum an anderer Stelle: „Nur die Lüge gibt der Wahrheit Kraft“) abgeschaut hat, liest man nicht. Stattdessen die Reflektionsverweigerung seiner generellen Zeitgeist-Affinität: „Ich weiß nicht warum.“

Doch thompson‘sche Abenteuerlust lässt Timmerberg immerhin Reisejournalist werden, allerdings für die Yuppie-Magazine „Wiener“ (damals „auf dem Weg zum Kult“) und „Tempo“ („neue Erzählweise“, „neue Moral“). Schließlich landet er, inzwischen konsequent, unter Franz Josef Wagners Chefredaktion („Er akzeptierte keinen uninspirierten Satz.“) bei der “Bunten“. Auf fünf chauvinistisch-voyeuristische Kapitel über zwei exzessive Jahre in Havanna folgen endlich, endlich der dramaturgisch überfällige Absturz und die Sinnkrise. Da ist allerdings erstens das Buch fast schon zuende, zweitens bleibt die Katharsis rein plakativ („Mit dem Koks hatte ich eine Persönlichkeitsveränderung vom Hippie zum Arschloch durchgemacht, mit dem Ecstasy eine vom Arschloch zum armen Schwein.“), und drittens endet sie in einer wunderlichen Spontanläuterung („War das gaga? Oder ein Wunder?“).

Für jeden was dabei

Als Autor hat Timmerberg für beinahe jeden etwas: schnoddrigen Witz (über die Gastronomie-Episode: „Ich bin als Häschen reingegangen und dann gegrillt wieder rausgekommen.“) und bierernst, wo eher Ironie gefragt wäre („Die Idee ist die Mutter des Erfolgs, und sein Vater ist der Druck. Darum ist alles gut, was den Druck erhöht.“). Persönliches („Wer mich nicht mag, sieht darin [dass er mit Jüngeren mehr anfangen kann] einen Beweis für meine Unreife.“), Kontemplatives („Ich hypnotisierte mich mit Marihuana, und wenn der Joint abgebrannt war, begann die Geschichte.“) und Ehrliches („Die Vision des direkten Gelddruckens gab jeder Geschichte einen Sinn“). Dazwischen erfreuliche („Die Schublade war das Schlupfloch seiner Träume.“) und viele, viele gedanklich entgleiste Metaphern („Man muss sie [die Säue] erschießen, erstechen und erschlagen, bevor man die richtige Sau getroffen hat.“). Schließlich Abgeklärtes („Ich könnte gar nicht mehr [Haschisch] rauchen, wenn ich mehr Geld hätte.“), Naives („Die Tatsache, dass jeder Mensch einzigartig ist, beweist, dass jeder etwas besser kann als alle anderen.“) und gar Autorentipps („Rocky war ganz klar mein perfekter Schreibcoach. Mit Bruce Willis funktionierte das nicht. Der war mir zu intellektuell.“).

Die titelgebende Schreibmaschine „rote Olivetti“ kann ebenso wenig wie der komplett missverstandene Hunter S. Thompson etwas dafür, dass dieses Buch noch viel mehr „größenwahnsinnige Stellen“ (Oliver Nagel) enthält als in Autobiographien üblich. Timmerberg mag solche Kritik angesichts seines unbestreitbar tollen Lebens locker als Neid abtun. Er darf dann aber umgekehrt dem Leser nicht das große Vergnügen an all dem unfreiwillig Komischen neiden, das durch die Fallhöhe des Journalisten, der sich an seinen eigenen Sprachblüten aufgeilt, noch gesteigert wird.

Michael Höfler

Helge Timmerberg: Die rote Olivetti. Mein ziemlich wildes Leben zwischen Bielefeld, Havanna und Himalaja. Piper, 2016. Gebunden. 240 Seiten. 20,00 Euro. Zur Leseprobe.

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