Geschrieben am 17. September 2014 von für Bücher, Litmag

Bill Cardoso: Rummel im Dschungel. Eine Reportage aus Kinshasa

Bill Cardoso_RummelFünfzig Tage und 50 Nächte im Kongo

– Bei diesem Buch macht es Sinn, erst einmal das kluge und informative Nachwort des Publizisten und Verlegers Klaus Bittermann zu lesen. Da nämlich erklärt er, was es mit dem Gonzo-Journalismus auf sich hat und woher der Begriff Gonzo stammt: Bezeichnet werde damit im irischen Boston-Slang derjenige, „der nach einem Saufgelage als letzter aufrecht am Tresen steht“. Gonzo, das heißt auch bizarr und hemmungslos, ist eine Form von subjektiven Journalismus, „wild und hektisch“ geschrieben.

Hunter S. Thompsons Reportagen ab Ende der Sechziger Jahre („Angst und Schrecken in Las Vegas“ u.a.) sind bester Gonzo-Journalismus, dieses Markenzeichen aber hat ihm sein Kollege und Freund Bill Cardoso verpasst, als 1970 Thompsons Kentucky-Derby-Artikel erschien: „Vergiss all den Mist, den du bisher geschrieben hast. Das hier ist es, das ist purer Gonzo.“

Und das ist auch und vor allem Bill Cardosos eigene große Reportage über den legendären Boxkampf zwischen George Foreman und Muhammad Ali, der am 30. Oktober 1974 in Kinshasa, dem damaligen Zaire stattfand. Eigentlich aber schon fünf Wochen früher eingeläutet werden sollte. Doch die frühzeitig angereisten Sportjournalisten aus aller Welt bekamen zu hören, dass Foreman sich beim Training mit seinem Sparringspartner einen Cut an der rechten Augenbraue zugezogen hatte und der Kampf verschoben werden musste. Die meisten Journalisten flogen darauf hin erst einmal wieder zurück, Cardoso aber blieb. Musste bleiben: „Die Regierung nahm mir meinen Pass weg und gab ihn mir nie zurück. Und die Regierung nahm mir mein Rückflug-Ticket weg, das von der New Times im Voraus bezahlt worden war und achthundert Dollar gekostet hatte.“

Die Regierung, das war die Militärdiktatur unter Präsident Mobutu, dem Leopardenfell-Mützenträger, der 32 Jahre lang das Land brutal ausbeutete und die Gewinne aus den Rohstoffvorkommnissen in die eigene Tasche fließen ließ. Zur Zeit des angekündigten Kampfes hatte Zaire neben Zanzibar als einziges afrikanisches Land Farbfernsehen, und Bill Cardoso schreibt in seiner „Rummel im Dschungel“-Reportage: „Bilder von Wolken und Himmel … Aus den Wolken kommt ein Fleck in die Bildschirmmitte gekrochen, wird groß und größer, bis er sich schließlich in Mobutu verwandelt. Mobutu! Überlebensgroß! Das ist krank; der Mann ist überall! … Ich schätze, dass Mobutu Medien-Manipulation und Propaganda-Technik bei Sears & Roebuck studierte.“ (Sears & Roebuck: 1886 gegründetes Versandhaus mit berühmten Katalog, später auch eine Ladenkette, die heute mit Kmart verbunden ist – eine der vielen aufschlussreichen Fußnoten des Übersetzers und Autors Franz Dobler).

Voodoo und Wahnsinn

Fünfzig Tage und 50 Nächte ist Bill Cardoso dazu verdammt, im Mobuta-Land zu bleiben, und darüber schreibt er Gonzo. Er schreibt über Korruption und Elend, über Voodoo und Wahnsinn, über einspannen – sich einspannen lassen – und loslassen. Er säuft in Hotelbars und knallt sich mit bestem Kongo-Gras zu und wiederholt immer und immer wieder, dass das Einzige, an das er sich hundertprozentig erinnert, „ … dass ich Hotel Memling Zimmer 263 hatte und meine Telefonnummer 601 war.“ Okay, aber dazu kommen noch eine Menge Alltagsbeobachtungen, Gesprächsnotizen und Anekdoten aus der Welt der Sportjournalisten – auf Droge in mitunter seitenlangen Sätzen in die Maschine gehämmert oder auf Tape festgehalten – und letztlich dann doch noch der Ablauf des Ali-Foreman-Kampf auf knapp drei Seiten.

Und an dieser Stelle empfiehlt es sich, kurz auf Youtube zu schalten und sich die acht Runden anzusehen (hier der gesamte Kampf): Alis geniale Taktik diesmal nicht herum zu tänzeln, sondern in den Seilen zu hängen und Foreman sich blindwütig müde schlagen zu lassen. Um ihn dann kurz vor Ende der 8. Runde mit zwei schnellen Links-rechts-Kombinationen und einigen darauf folgenden Kopftreffern zu Boden zu schicken.

Dann endlich kann Bill Cardoso mit Hilfe des Boxpromotors John Daly das verhasste Zaire verlassen. Doch was er über die fünfzig Tage und 50 Nächte im Kongo geschrieben hat ist nie in der New Times noch sonstwo veröffentlicht worden. Die wunderbar abgedrehte und durchgeknallte Reportage erschien 1984 erstmals mit weiteren Texten Bill Cardozos als Buch in einem New Yorker Verlag.

Klaus Bittermanns großer Verdienst ist es, nach einigen Hunter S. Thompson Titeln nun auch diesen Gonzo-Schreiber hierzulande präsentiert zu haben – „Ich habe ganze Nachmittage damit verbracht, über Bills Kinshasa-Stück zu weinen“ (Hunter S. Thompson). Es lässt sich aber auch darüber jubeln!

Frank Göhre

Bill Cardoso: Rummel im Dschungel. Eine Reportage aus Kinshasa. Muhammad Ali gegen George Foreman. Übersetzt von Franz Dobler. Edition Tiamat, Berlin 2014. 110 Seiten. 12,00 Euro. Eine Übersicht mit Lesungen von Franz Dobler finden Sie hier.

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