Geschrieben am 2. April 2014 von für Bücher, Litmag

Bernie Krause: Das große Orchester der Tiere. Vom Ursprung der Musik in der Natur

krause_das-grosse-orchester-der-tiereNatur wird Laut

– Bernie Krause lehrt uns hören. Von Wolfram Schütte.

Als ich vor Jahren zum erstenmal in Bruce Chatwins ”Traumpfaden“ von den “Songlines” las, an denen sich die australischen Ureinwohner geographisch orientierten, wenn sie sich quer durch den riesigen Kontinent bewegten, konnte ich mir nichts darunter vorstellen.

Erst nachdem ich jetzt Bernie Krauses Buch “Das große Orchester der Tiere” gelesen habe, habe ich mir von den akustischen Wegzeichen, die Chatwin den Aborigines zuschrieb, ein “Bild machen” können. Das für uns Unvorstellbare ist eben die Vorstellung – die Metapher ist das beste Beispiel dafür –, dass man sich nach akustischen Signifikanten in der Natur richten kann, wo wir doch seit James Fenimore Coopers oder Karl Mays Romanen deren Helden dafür bewundern, dass sie aus minimalsten Gegenständen in der Natur ganze (gewesene, aber nun unsichtbar gewordene) Handlungen bzw. Geschichten erlesen können. Das Gleiche galt für Conan Doyles Sherlock Holmes & dessen induktive Wissenschaft der Spurensuche in viktorianischen Zimmern.

Wir nehmen es als selbstverständlich an, dass wir in einer Welt leben, in der nur das Sichtbare, das “Augenfällige” zählt. Erst im absoluten Dunkel oder wie jetzt in einem Gespräch mit dem erblindenden Kameramann Michael Ballhaus, tritt für uns das Akustische an die Stelle des Visuellen – zwangsweise. Obwohl wir ja aus den Hollywood-Western auch wissen, dass sich die heimtückisch angreifenden Indianer oder auch weiße Banditen durch die akustische Zeichensprache von imitierten Vogellauten unter einander verständigen.

Von unseren gelegentlichen Waldspaziergängen ist uns zumindest der Ruf des Kuckucks vertraut, und wenn man derzeit am Frühlingsanfang durch unsere Großstadtstraßen geht, gellt einem der schnelzende Lärm in den Ohren, mit dem die Amselhähne ihr Revier markieren. Aber nur ornithologisch gebildete Kenner wären in der Lage, die sich auf vielerlei Art & Weise äußernden Vögel durch die Geräusche, die sie machen, jeweils als Art zu bestimmen.

Zwar sind die Vögel, von denen wir ja sagen, sie sängen, die naheliegensten Beispiele für unsere akustische Wahrnehmung. Auch von Walgesängen ist die Rede, obwohl wir sie nur durch unsere Aufzeichnungsgeräte hören können & sie so machtvoll sind, dass sie sich um den ganzen Erdball in den Meeren ausbreiten. Aber es sind nicht die Größten, die sich als Geräuschemacher am Lautesten bemerkbar machen. Der nur 4 cm große Knallkrebs äußert sich annähernd so laut wie ein Wal.

Dergleichen naturgegebene Curiosa erfährt man gewissermaßen “so nebenbei” in dem wahrhaft aufregenden Buch des kalifornischen Akustikforschers mit dem aufreizenden Namen Bernie Krause. Er habe die elektronische Musik erfunden hat, behauptet sein deutscher Verlag & mit Popmusikgrößen wie den “Birds” oder den “Doors” & mit Bob Dylan oder George Harrison ebenso zusammen gearbeitet wie für den einen oder andern Hollywoodfilm den “Soundtrack” gemacht.

Ohne Aufzeichnungsgeräte, die sich im Laufe der 40 Jahre, in denen Bernie Krause mit ihnen die Welt bereist, immer mehr verfeinert haben, wäre seine geodätische Akustik der Erde nicht möglich gewesen. D.h. um zu seiner Archäologie, Dokumentation & Analyse des Geräuschlebens auf unserem Erdball überhaupt zu gelangen, waren Gerätschaften nötig, mit deren Hilfe allein manche aufregenden akustischen Phänomene fixier-, bzw. so erkennbar wurden wie durch die Kamera oder das Mikroskop erst Manches sichtbar wurde, was sich unserer natürlichen Sichtweise entzieht.

Krause hat gewissermaßen im Alleingang erkundet, was er “Biophonie” nennt, das Ensemble aller Naturgeräusche in einem “Habitat”. Indem er – wie das z.B. die Cutter bei Sprachaufnahmen im Rundfunk machen – die akustischen Signale in adäquate optische Zeichen übersetzt, kann er Habitat-Veränderungen – meist durch menschliche Eingriffe wie Abholzungen von Regenwäldern oder z.B. chemische Vergiftungen von Meeresriffen – deprimierend deutlich “augenfällig” machen.

Sein von ihm angelegtes akustisches Archiv dokumentiert vielfach Geräuschkulissen von Orten, die heute stumm geworden sind. Seine “akustischen Bilder” belegen aber auch feiner & genauer als das, was wir mit unseren Augen wahrnehmen, wie lange es z.B. dauert, bis ein Kahlschlagsgebiet wieder renaturiert ist.

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Der Leser seines (hybriden) Buches kann vielfach im Internet die “Probe aufs Exempel machen”, will sagen: Krauses erwähnte Beispiele anhören. Das ist eine ebenso neuartige Verbindung von Buchlektüre & Hörbeispiel wie die literarischen Expeditionen des Autors in das akustische Universum der Naturlaute.

Denn das Vogelkonzert ist ja nur das uns mit bloßen Ohren Erfahrbare; sowohl die Insekten als auch die Lebewesen des Wassers kommunizieren ebenso akustisch miteinander – wie uns der findewitzige Wissenschaftler erklärt, der mit seinen technischen Instrumenten immer tiefer in die akustischen Geheimnisse der Natur eingedrungen ist. Von diesen ganz unterschiedlichen Expeditionen ins Nächste & Fernste berichtet er wie es die Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts aus dem Dunkel Afrikas oder dem Amazonasdschungel getan haben.

Unter den vielen Erkenntnismöglichkeiten, die der sympathisch bescheidene Autor in seinem Buch so spannend vor uns ausbreitet, als handele es sich um die Erzählung einer akustischen Recherche nach einem Archipel von “Schatzinseln”, gegen die Stevensons “Schatzinsel”-Abenteuer geradezu sch(m)al wirkt, ist seine These, wonach die Musik des Menschen “nur” ein imitative Fortsetzung des “großen Konzerts der Tiere” sei, ebenso evident wie banal. Die Tänze & Gesänge von sogenannten Naturvölkern passen in das Ambiente der Fauna; und das Balztreiben mancher Vögel oder anderer Tierarten erregt unser (einverständiges) Lachen, weil wir in solchen Erkenntnismomenten “wie in einen Spiegel schauen” & unser faunisches Erbteil blitzartig erkennen.

Allerdings gehört schon sehr viel biologische Vorkenntnis dazu für uns zivilisierte Stadtmenschen, in der akustischen Kakophonie der mannigfachen Naturlaute, in denen Bernie Krause exakt positionierte Nischen für die jeweiligen Teilnehmer ausmacht, eine große Komposition des Natur-Orchesters zu erkennen. Eine Art orchestraler Instrumenten-Probe, wie sie einem vor Beginn einer Musik-Veranstaltung geläufig ist, wird man ihm bestimmt ohne Skrupel für seinen Entdecker-Enthusiasmus des Lärms im Naturakustischen zugeben. Aber ein Orchesterstück wie die “Pastorale” Beethovens oder Debussys “La Mer” ist dann doch etwas Anderes.

Wenn der liebenswerte Enthusiast Krause ins Schwärmen über seine aufgezeichneten Naturorchesterstücke kommt, möchte man gerne mit Eichendorffs Worten “mitreisen können”. Aber nur die Aborigines besitzen noch die sowohl angeborene als auch erworbene Fähigkeit, das orchestrale Ensemble unterschiedlicher Habitate lokalisieren, unterscheiden & wiedererkennen zu können. Jedoch: ist denn ein Hörer in der Lage, der die Geräuschsäußerungen der einzelnen Instrumente nicht kennt, etwas mit dem Gesamtlärm eines Orchesters anfangen & hört er z.B. dann auch nicht, was z.B. die Klarinette oder das Horn in der großen Kakophonie treiben?

Fragen bleiben; aber es ist erhellend, den “Songlines” des Bernie Krause lesend & hörend auf verschlungenen Wegen zu folgen.

Wolfram Schütte

Bernie Krause: Das große Orchester der Tiere. Vom Ursprung der Musik in der Natur. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Sonja Schumacher Kollektiv Druck-Reif. Verlag Antje Kunstmann, München 2013. 272 Seiten, 22.95 Euro. Den Youtube-Channel von Bernie Krause finden Sie hier.

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