Geschrieben am 11. April 2015 von für Bücher, Crimemag

Bernhard Jaumann: Der lange Schatten

Der_lange_Schatten_978-3-463-40648-2.inddVon Germanisten und Gebeinen

– Bernhard Jaumann wird akademisch nobilitiert und legt mit „Der lange Schatten“ seinen dritten Roman mit Schauplatz Namibia vor. Genauer hat sich das Treiben der Germanistik und den neuen Roman von Jaumann Bruno Arich-Gerz angeschaut, der sich als Literaturwissenschaftlicher auch in diesen Gegenden herumtreibt.

Bernhard Jaumann, Krimipreisträger 2011 mit einem Faible für namibische Schauplätze und einem besonderen Gespür für deutsch-südwestafrikanische Problemlagen, hat es geschafft. Gleich zweimal widmete sich im noch jungen Jahr 2015 die Germanistik dem Prosawerk des eher leise daherkommenden Vertreters der Sparte Spannungsliteratur. In einem von Andreas Erb herausgegebenen Aufsatzband huldigen akademische Jaumanniacs, unter ihnen Christof Hamann, und engagierte Publizisten wie der Bonner BoKAS-Macher Thomas Przybilka (hier bei CM) dem Literaten aus Bad Aibling. Auch Jaumann selbst darf in Tatorte und Schreibräume – Spurensicherungen ran: Seine Kurzdozentur an der Uni Duisburg-Essen, wo er Ende 2013 als Poet in Residence logierte, macht den Auftakt des Bandes und gibt eindrucksvoll Selbstauskunft über Motive, Motivationen und – ja, auch – Minuskalkulationen beim Krimiplotten, -schreiben und –veröffentlichen.

Den zweiten Anlass zur eingehenderen Betrachtung des Jaumann’schen Œuvres gab es Ende März in Windhoek, wo der Germanistenverband des südlichen Afrika (SAGV) tagte. Gleich vier Vorträger/innen hatten das Privileg, den Autor höchstpersönlich als Zuhörer im Auditorium sitzen zu haben, unter ihnen mit Michaela Holdenried (Freiburg) und Carlotta von Maltzan (Stellenbosch, Südafrika) Lehrstuhlinhaberinnen von Rang und Namen. Dazu mit Julia Augart aus Windhoek eine intime Kennerin der Namibiaprosa Jaumanns, die von „Die Stunde des Schakals“ über „Steinland“ und die preisgekrönte short story „Schnee an der Blutkuppe“ bis zur gewitzten Kriminovelle „Geiers Mahlzeit“ reicht. Außerdem präsentierte sich mit Stefan Hermes (Freiburg) der akademische Erstbesteiger des neuesten Gipfels im namibialiterarischen Jaumanngebirge mit dem Titel „Der lange Schatten“.

Die namibische Hauptstadt erlebte am Abend des ersten Konferenztags dann auch noch ein weiteres Jaumann-Event: Im Goethe-Zentrum kam es zur namibischen Premierenlesung aus eben dieser Neuerscheinung. Anwesend waren jede Menge Deutschnamibier, natürlich die Tagungsteilnehmer, dazu der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland mitsamt Gattin, der den Schriftsteller in einer ausgiebigen Laudatio mit Zitaten aus culturmag.de zu lobpreisen wusste. Danach, bei der Lesung selbst, ging es dem fiktiven Counterpart des Botschafterpärchens an die Nieren – und beinahe an den Kragen. Doch der Reihe nach.

Rektor Hans-Jochen Schiewer (Vierter von rechts) übergibt 14 Schädel an die Delegation aus Namibia. Foto: Baschi Bender

Rektor Hans-Jochen Schiewer (Vierter von rechts) übergibt 14 Schädel an die Delegation aus Namibia. Foto: Baschi Bender; Quelle: Uni Freiburg

Deutsche Botschafter

In „Der lange Schatten“ geht es um die Haltung der Bundesrepublik Deutschland, repräsentiert durch seine ranghöchsten Vertreter in Namibia, in der so kitzligen wie kontrovers diskutierten Frage des angemessenen Umgangs mit den erinnerungspolitischen und, je nach Perspektive, reparationsrelevanten Residuen aus der Kolonialzeit im damaligen Deutsch-Südwest. Entzündet hatte sich diese Frage anlässlich der Rückgabe von Totenschädeln, die deutsche Anthropologen im Jahr 1908 aus Namibia in deutsche Universitätsarchive und -depots verschleppt hatten, um sie zu vermessen und auch sonst rassenideologisch auszuschlachten als Gebein gewordener Beweis einer den Nationalsozialismus und seine Denkmuster vorbereitenden herrenrassischen Überlegenheit. Die Übergabe-Zeremonie der Schädel fand im September 2011 in der Berliner Charité statt, auch die feierliche Rückkehr nach Namibia am 2. Oktober desselben Jahres ist belegt.

Fiktional angereichert und spannungsliterarisch aufgeforstet, macht Jaumann aus diesen Begebenheiten einen Krimiplot, der wie bei den Vorgängerromanen weniger durch atemloses Erzählen, brutale Härte, die eine oder andere Schwarzweißgemälde in der Figurenzeichnung auffällt, sondern sich Zeit nimmt, um die Handlung wie Handelnde treibenden Grauzonen dieses besonderen und besonders aktuellen deutsch-namibischen Problemfeldes auszuloten. Plottechnisch handelt es sich bei „Der lange Schatten“ um einen klassischen Doppelstränger, der in den beiden Hauptstädten Berlin und Windhoek, dazu eingangs kurz im Freiburg spielt.

Mit einem Reisepass der namibischen Delegation ausgestattet, die zur Schädelübergabe in Deutschland weilt, filzt der fiktive Herero Kaiphas in der badensischen Provinz nämlich das Grab des faktischen Anthropologen Eugen  Fischer. In pointierter Umkehrung der historischen Begebenheiten aus der Kolonialzeit schleppt er dessen Totenkopf sodann nach Berlin, um bei der Übergabe der Herero- und Nama-Schädel in den Räumen der Charité dabei zu sein – und sich, von einem anonym bleibenden Mentor aus Windhoek ferngesteuert, die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, als Herero-Krieger aufzutreten, der Rache nehmen will.

Im anderen Strang, am namibischen Schauplatz, geraten Botschafter Engels und seine Frau in die Bredouille. Mara Engels wird mitsamt des Herero-Jungen Samuel gekidnappt, den sie zu adoptieren beabsichtigt; den Botschafter erpresst man daraufhin. Es gehe ihnen nicht um Lösegeld, lassen ihn die Entführer wissen, sondern um ein besonderes Commitment:

‚Lassen Sie mich mit meiner Frau sprechen!‘
‚Von uns aus können Sie Tage, Monate, Jahre mit ihr sprechen, doch vorher werden Sie eine öffentliche Rede halten. Und zwar bei der Gedenkfeier für die aus Berlin kommenden Schädel unserer Ahnen. Da werden Sie im Namen Ihrer Regierung ein eindeutiges Schuldeingeständnis für den Völkermord an den Hereros ablegen. Sie werden erklären, dass Deutschland zu seiner historischen Verantwortung steht und alles tun wird, um seine Schuld wiedergutzumachen. Ein paar konkrete Ideen dafür werden Ihnen sicher einfallen …‘
‚Geben Sie mir Mara!‘, presste Engels hervor. ‚Wie weiß ich denn, dass sie …‘
‚Eine gute Rede und sie kommt unversehrt zu Ihnen zurück. Eine schlechte oder mittelmäßige Rede und sie ist tot. So einfach ist das.‘

Jaumanns Fiktion spitzt hier in spannungsliterarischer Verkleidung zu, was bereits vor rund einem Jahrzehnt anlässlich des hundertsten Jahrestags der Vernichtung der Herero durch kaiserdeutsche Truppen am namibischen Waterberg und in der Omaheke-Wüste im Jahr 1904 Debattenthema war. Auf der einen Seite hat es da das durchaus ernst gemeinte Anliegen, sich auf deutscher Regierungsseite der aus dem genozidalen Geschehen resultierenden Verantwortung zu stellen. Auf der anderen gibt es den wortklauberischen Eiertanz, doch bitte bei aller Betroffenheit (wie sie etwa die damalige Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul artikulierte) um Himmels willen keine „entschädigungsrelevanten Aussagen“ zu tätigen (wie der roten Heidi der obergrüne Joschka als Chef des Außenamtes in die Parade grätschte). Und auch heute noch wortklauben Vertreter der Bundesregierung herum, wie sich unter anderem an den (ansonsten erfreulich aufgeschlossenen) Ausführungen des faktischen deutschen Botschafters in Namibia ablesen ließ. Der nämlich meinte in seinem morgendlichen Plenarvortrag auf der Germanistentagung, von der Bezeichnung „Völkermord“ für die kaiserdeutsche Ausrottung des Herero-Volks Abstand nehmen zu können, weil es dieser Terminus erst 1953 zu staatlicher Ratifizierung und damit ins Pantheon der von Juristen anerkannten Begrifflichkeiten gebracht habe.

Kriegsgefangene Nama und Herero, 1904

Kriegsgefangene Nama und Herero, 1904

Die Ambivalenzen der Clemencia Garises

Die beiden Stränge – der auf deutschem Boden um den Herero-Guerillero Kaiphas und der in Namibia um den erpressten Botschafter und seine gekidnappte Gattin – finden in „Der lange Schatten“ irgendwann zusammen. Und das gekonnt, wenngleich nicht alles rund erscheint. So wirkt Mara Engels als entführte und lange Zeit auch in der Darstellung wie vom Erdboden verschluckte Handlungsträgerin etwas überdeterminiert, tragen ihre figurenkonzeptionellen Schultern doch gleich die doppelte Last der Entführten und das Familienerbe der Nachfahrin des Freiburger Schädelforschers Fischer. Als fiktiver deutscher Botschafter in ausgerechnet Namibia, wo besagter Fischer Nama- und Hererogräber plünderte und schändete, sucht man sich allein schon um der Wahrheitsnähe willen vielleicht doch lieber eine andere Frau zur Gemahlin, und lässt den Autor des eigenen Daseins die Dinge nicht derart stark verdichten.

Auch die erneut, wie schon in „Die Stunde des Schakals“ und „Steinland“, geschickt und zunächst überzeugend zur namibischen Sympathieträgerin stilisierte Ermittlerin Clemencia Garises wird in dem Moment zur ambivalenten Hauptfigur, als sie sich in Botschafter Engels’ Auftrag undercover auf die Spurensuche nach der vermissten Mara und des kleinen Samuel macht. Im Erfolgsfall würde damit nämlich exakt das vereitelt, was der Roman ansonsten spürbar befürwortet: dass endlich mal ein hochrangiger (wenn auch nur fiktiver) Vertreter der Bundesrepublik im deutsch-namibischen Genozidaldiskurs um Schuld und Verantwortung und Entschädigung mit Worten Eier zeigt, statt wortreich zu eiertanzen.

Das aber sind Kinkerlitzchen. Alles in allem trägt der Plot und hält die Spannung bis zum Schluss, überraschende Wendungen und jede Menge Einblicke in das politische Establishment Namibias und die memorialspezifischen Befindlichkeiten in Deutschland und unter Hereros und Namas eingeschlossen.

Fazit

Unterm Strich steht erneut, wie in „Stunde des Schakals“ und „Steinland“, die Kunstfertigkeit Jaumanns, den doppelsträngigen Erzählbogen über Romanlänge ohne Verlust an Spannung auszubuchstabieren und das ernste Thema in seinen vielen Facetten perfekt auszuleuchten. Bernhard Jaumann ist kein Themen-Surfer, der tagesaktuelle Diskussionen nur oberflächlich zum Anlass nimmt, um eine Spannungshandlung darum zu drapieren. Seine Namibiaprosa geht vielmehr mit beachtlicher Präzision, großem Wissen um Hintergründe und einem überdurchschnittlich hohem Grad an die Problemlagen erklärender Differenzierung an ihre Sujets. Unbedingt massenpublikumstauglich ist eine solche écriture vielleicht nicht, dafür aber erfährt sie gerade ihre literaturwissenschaftliche Nobilitierung. Womöglich, falls das mit der Luft nach oben bei den Verkaufszahlen stimmt, ist das tröstlich. Verdient ist es allemal.

Bruno Arich-Gerz

Bernhard Jaumann: Der lange Schatten. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt/Kindler 2015. Verlagsinformationen zum Buch. Bernhard Jaumanns Homepage.
Andreas Erb (Hg.): Bernhard Jaumann: Tatorte und Schreibräume – Spurensicherungen. Bielefeld: Aisthesis 2015.
Bruno Arich-Gerz arbeitet über Literatur zu, aus und über Namibia. Er ist Mitglied des Editorial Advisory Board beim Journal of Namibian Studies, gutachtet für die Fachzeitschrift Acta Germanica und ist Autor von Namibias Postkolonialismen. Texte zu Gegenwart und Vergangenheiten in Südwestafrika (2008).
Foto: Kriegsgefangene Nama und Herero, Bundesarchiv Bild 146-2003-0005, Deutsch-Südwest-Afrika, Kriegsgefangene Herero von Bundesarchiv, Bild 146-2003-0005 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons

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