Geschrieben am 26. November 2014 von für Bücher, Litmag

Bernd Schuchter: Föhntage

Bernd Schuchter_FöhntageErinnerungen purzeln aus dem Mund

–Was den Föhn angeht, hat man es mit einer speziellen Wetterlage zu tun. Die warmen Fallwinde können einem viele milde Tage bescheren. Der Föhn in Innsbruck muss ein noch speziellerer sein; er ist emblematischer Teil des Romantitels „Föhntage“ des Innsbrucker Schriftstellers Bernd Schuchter, der nach 2013 seinen zweiten Roman veröffentlicht. Von Senta Wagner

Gleich zu Beginn trocknet der Föhn die Tränen des Protagonisten Josef Lahner – Auslöser des Gefühlsausbruchs, der von Peinlichkeit und Scham bis zu Fremdheit reicht, ist eine schlichte Zeichnung tirolerischer Herkunft. Es wird in den folgenden kurzen Kapiteln, insgesamt sind es zweiundzwanzig, schnell deutlich, an welches Thema sich der Text heranfragt und wie er es tut. Es geht um Heimat und das Erzählen von „konservierter Erinnerung“, von „Erinnerungsschnipseln“. „Föhntage“ rüttelt dezent, aber unmissverständlich am Schweigen und Wegschauen einer Generation, aber auch am Bild einer ungetrübten Kindheit. Dazu müssen im Text die beiden (Innen-)Perspektiven von Alt und Jung gegenübergestellt, Sprünge des Erzählers zwischen Gegenwart und Vergangenheit getan werden, was dem Autor passabel gelingt. Mitunter wird mit der erzählten Zeit lax umgegangen, einmal ist es hochsommerlich, dann sind es noch drei Monate bis zum Sommer. Den Part des „innigen, ja faszinierten Zuhörers“ hat der etwa zehn Jahre alte Lukas, Lahner ist über sechzig. Lukas ist quasi das Vehikel der Geschichte. Man bewohnt die gleichen Sozialbauten in Innsbruck, Lukas ist ein Hofkind und Fußballnarr, Lahner ein „Tagedieb“, der als mürrisch und nach Schweiß und Rotwein riechend geschildert wird: „Er unternimmt nie etwas, sitzt meist nur daheim in seiner Wohnung.“

Das Zusammentreffen der beiden ist zunächst ein Akt der „Wiedergutmachung“. Lukas soll auf übereifrigen Wunsch der Mutter hin Lahner „ein wenig zu Hand gehen“, weil er beim Kicken dessen Fensterscheibe ramponiert hat. Die gemeinsame Zeit von Lahner und Lukas beginnt und hängt sich auf an den wahllos synonym verwendeten Begriffen Daheim, Heimat und Zuhause. „… im Gehen und Erzählen des Alten verging Lukas die Zeit wie ein flüssiger Faden, der ihm – wie nebenbei – ganze Welten öffnete.“ Ein Hoch auf die Kunst des Zuhörens. Eine Freundschaft entwickelt sich sacht zwischen dem „seltsamen Paar“.

Lahners Herkunft weist auf ein düsteres Kapitel der faschistischen Südtiroler Geschichte, im Besonderen der Südtiroler Option und des späteren Autonomieprozesses; als Optant verließ er gezwungenermaßen 1939 mit seinen Eltern den großväterlichen Hof und kam nach Innsbruck, untergebracht in den Umsiedlerhäusern der Neuen Heimat. Der andere Teil der Familie blieb, das waren die Dableiber. Man entfremdete sich, Optanten galten als „Heimatverräter“. Wo die von Lahner erwähnten Geschwister, an einer Stelle ist nur von einer Schwester die Rede, abgeblieben sind, klärt der Text nicht auf. Auch an anderen Stellen fallen inhaltliche Variationen (etwa Lahners Wohnungseinrichtung) und Redundanzen auf. Das österreichisch-deutsche Scharmützel Stuhl/Sessel betreffend ist nicht nachvollziehbar; Lahners Ausgangswort Fauteuil ist in beiden Idiomen ein Sessel. Eine optische Unruhe geht von der häufigen Kursivschreibung aus, die etwa für Hervorhebungen, Namen, indirekte Reden und Gedankenberichte verwendet wird. Dabei ist der sprachliche Gestus ein schnörkelloser, klarer und anschaulicher, es stehen schlaglichtartige Satzellipsen neben ausschweifenderen Erzählpassagen.

schuchter_hintergrund_web_neuDen Nebel lichten

In der Figur des Italieners Guiseppe (im Deutschen übrigens auch ein Josef) Monte wird die Perspektive gedreht und die italienische Seite findet Gehör. Monte ist auch einer, der Heimat hinter sich gelassen hat, in der deutschen Sprache seiner Frau soll er dagegen nie heimisch werden. Erlebnisse als junger Polizist, stationiert eben in den heißen Autonomiephasen in Südtirol, werden mit Schweigen belegt, die Erinnerung ist für ihn „ein dunkler Raum“. Schuld wird verdrängt. Lahner und Monte müssen sich von früher kennen; als sie sich zweimal zufällig in Innsbruck begegnen, „kippt“ Lahner „in die Bilder seiner Erinnerung“ und auch Monte wird „unvermittelt von seiner Vergangenheit eingeholt“.

Lukas kennt Geschichte nur aus der Schule oder sie „ist ganz weit weg oder wie in einem Nebel“. Nebel ist auch Lahners Stichwort bei Antritt seines Kurztrips mit Lukas nach Südtirol zur Verwandtschaft nach langen Jahren des Widerstands: „Es ist Zeit den Nebel zu lichten, es kommt Föhn auf. Ab heute gibt es Föhntage.“ Es gilt vor Ort auf dem Hof, sein Bild von Heimat zu überprüfen. Lukas wird den Begriff Föhntage am Schluss des unaufdringlich-versöhnlichen Romans wieder aufgreifen. Sein vages Verständnis von Heimat wird ein gereiftes und eigenes sein, was schön ist. Bernd Schuchter leistet historische Aufarbeitung light und setzt sich mit dem Schweigen auseinander, weil seine Literatur fragt. Und das Fragen an die jungen Menschen weitergibt.

Senta Wagner

Bernd Schuchter: Föhntage. Wien: Braumüller Verlag 2014. 183 Seiten. 19,90 Euro. Foto: Homepage des Autors.

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