In der Sackgasse
1999 setzte der erst sechszehnjährige Benjamin Lebert mit dem mittlerweile in Deutschland über eine halbe Million mal verkauften und in 33 Sprachen übersetzten Roman „Crazy“ ein Initial für die neue deutsche (Pop-) Literatur. Sieben Jahre später folgt mit seinem neuen Roman „Kannst du“ eine erschreckende Bankrotterklärung.
Benjamin Lebert erzählt in „Kannst du“ die Geschichte seines offensichtlich autobiographisch gefärbten Protagonisten Tim Gräter. Dieser ist Anfang 20, hat bereits einen literarischen Bestseller gelandet und steckt nun in einer Schaffenskrise. Hinter der Pose des abgeklärten Schriftstellers zerfleischen ihn die Selbstzweifel und er, der sich „nach und nach isoliert hatte“, ist von einer großen Einsamkeit und Verlassenheit umgeben. Als er sich mit der flüchtigen Bekanntschaft Tanja auf eine Interrailreise nach Schweden und Norwegen macht, muss Tim die heftigen Stimmungsschwankungen und selbst zerstörerischen Anfälle seiner Reisegefährtin erleben. Während die Gegenwart so zu einem abgründigen Psycho-Trip wird, erfährt der Leser nach und nach Näheres aus der Vergangenheit des Protagonisten: Vom sensationellen Romanerfolg über den Medienrummel und Stationen und Affären in ganz Europa und den USA bis zum Selbstmord seinen jüngeren, gehbehinderten Bruders.
Zerrissenes Buch
„Kannst du“ ist ein zerrissenes Buch über das Nicht-Schreiben, Nicht-Lieben und Nicht-Leben können. Es ist auch eine herbe (Selbst-) Abrechnung mit dem frühen Erfolg und dem mörderischen Erwartungsdruck. An allen Ecken und Enden fehlt es ihm dabei aber an erzählerischer Kraft, Form, Fantasie und Vision. Keine Spur ist mehr zu finden von der frischen, authentischen Sprache von Leberts Erstlings. Stattdessen holpern die knappen Sätze mit schiefen Bildern dahin und wirken unfreiwillig komisch und altmodisch, wenn „Brüste dargeboten“, „Aussagen gemacht“ oder „Frühstück eingenommen“ wird.
Wie schon manch anderer Protagonist der jungen deutschen Literatur hat Benjamin Lebert seine Unbekümmertheit restlos verloren. Über die melancholisch-düstere und ernsthafte Sinnsuche seines Zweitlings „Der Vogel ist ein Rabe“ ist er nun in einer Sackgasse gelandet, in der nur das durch ein dünnes Handlungsgerüst hilflos kaschierte Kreiseln um sich und in sich selbst übrig geblieben ist. Der Verlag hätte besser daran getan, seinen jungen Autoren und das Publikum vor diesem Roman-Ersatz zu bewahren.
Karsten Herrmann
Benjamin Lebert: Kannst du. Kiepenheuer & Witsch, 266 S., 9,95 Euro.