Geschrieben am 29. April 2010 von für Bücher, Litmag

Aram Mattioli: ,,Viva Mussolini!”

Die Rosenwasserdiktatur

Ein detaillierter Report über die Wiederkehr faschistischer Sympathien im heutigen Italien, dem es manchmal aber auch an einer notwendigen Differenzierung fehlt. Von Carl Wilhelm Macke

Es gibt Sachbücher, deren Thesen man fast uneingeschränkt teilt. Und trotzdem bleibt da nach der Lektüre ein Unbehagen. Der großen Studie des Schweizer Historikers Aram Mattioli über die wachsende Sympathie vieler Italiener für das faschistische System Mussolinis ist in ihren erschreckenden Ergebnisse kaum zu widersprechen. Mattioli belegt seinen Mahnruf an alle demokratischen Europäer, sich doch endlich mit der scharfen Rechtswende in Italien zu beschäftigen mit einem gut dreißigseitigen, eng bedruckten Anmerkungsapparat.

Faschistische Verwurzelung

Nach Mattioli strotzt es im heutigen Italien unter der konservativen Berlusconi-Regierung nur so von Verharmlosungen einer Periode in der jüngeren italienischen Geschichte, die den deutschen Nazis – und Hitler vorneweg! – als großes Vorbild gegolten hat. Es hat sich in Italien – jedoch nicht erst während der Regierungszeit von Berlusconi – ein skandalös weichgezeichnetes Bild des ‚alten Faschismus’ ausgebreitet, das in dieser Form im heutigen Deutschland, wie wahrscheinlich auch in anderen europäischen Staaten, undenkbar ist.

Immer mehr Straßen werden nach historischen Figuren benannt, deren Haltung zum Faschismus dubios, in den meisten Fällen sogar eindeutig gewesen ist. Und es gibt sogar lokale Initiativen, alte, an den Widerstand erinnernde Straßennamen mit weniger politisch parteilichen Namen auszuwechseln. Aus den Schulbüchern soll die Erinnerung an die Bedeutung der Resistenza, des Widerstands gegen den  Faschismus und die Nazi-Okkupanten, getilgt werden. Fernsehfilme werden gezeigt, in denen die alten faschistischen Granden nur als letztlich harmlose Männerfiguren mit alltäglichen Schwächen und Lastern dargestellt werden. In den Regierungsjahren von Berlusconi sind Politiker in Machtpositionen geschwemmt worden,  die ihre Verwurzelung in der faschistischen Tradition Italiens nie geleugnet haben.

Der heutige Bürgermeister von Rom bewegte sich in seiner Jugend im Umfeld von Gruppen, die für ihre Gewalttätigkeit gegen Andersdenkende bekannt waren. Von rechten Politikern wird vor allem gegen die Minderheit der Rom in Inhalt und mit Mitteln gehetzt, die nicht anders als offen rassistisch zu nennen sind. Kurzum: In einem europäischen Kernland, dessen Verfassung eindeutig anti-faschistisch ausgerichtet ist, wird es immer populärer, den Faschismus weichzuspülen und zu einer Art „Rosenwasserdiktatur“ (Mattioli) zu verharmlosen.

Ein allzu düsteres Szenario?

Und dennoch will man dem in diesem Buch tiefschwarz gezeichneten Szenario des heutigen Italien unter der Berlusconi-Regierung nicht so recht folgen. Existiert denn in Italien nicht auch eine starke demokratische Zivilgesellschaft, die sich jedenfalls in den großen Zentren (und im Internet) massenhaft artikuliert, wenn der antifaschistische Grundkonsens in Frage gestellt wird? Es erscheinen große Tageszeitungen, die wie der Mailänder Corriere della Sera zwar konservativ, aber nicht pro-faschistisch ausgerichtet sind – von den linksliberalen Tageszeitungen einmal ganz zu schweigen.

Dass politische Projekte wie die von den Neo-Faschisten und der Lega Nord geforderten privaten und lokalen Bürgerwehren schließlich doch nicht akzeptiert werden, ist ja ein kleines Zeichen demokratischer Hoffnungen. Vielleicht sind die gesellschaftlichen Verhältnisse in Italien doch etwas differenzierter zu sehen, als die Argumentation von Aram Mattioli, die zwar ehrenwert antifaschistisch argumentiert, aber in seinen Schlussfolgerungen auch immer etwas zu deprimierend daherkommt.

Manchmal, so klagte der viele Jahre unter dem Faschismus inhaftierte linke Gewerkschafter Vittorio Foa einmal, ermüde ihn ein allzu dämonisierender Anti-Faschismus eben auch.

Carl Wilhelm Macke

Aram Mattioli: ,,Viva Mussolini!“ – Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis
Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag 2010. 202 Seiten. 19,90 Euro.