Respektables Experiment
Das dritte Buch von Andrea Maria Schenkel, das war klar, würde es nicht leicht haben. Nichts mag man so wenig hierzulande wie Erfolg. Also sucht man das Haar in der Suppe mit der Lupe. Auch unser Kritiker hat auch das eine oder andere gefunden, findet aber, dass kleine Macken nicht unbedingt schädlich sein müssen. Ulrich Noller und ein beherztes „dennoch!“
Ganz schön schauderhaft, wenn man so in die Medien schaut und all die Beziehungstäter Fritzelschen Schlages entdeckt, die ganz nahe, mitten unter uns alle moralischen und juristischen Lebensbedingungen außer Kraft setzen, um mit denen ihnen Ausgelieferten eine eigene, im archaischen Sinn patriarchale Welt zu verwirklichen.
Und zwar weniger wegen ihrer Untaten an sich, sondern wegen der Geografie ihres Entstehens: Es braucht nur einen Keller, ein Verlies, eine Höhle um die Ecke, um die moralische Zivilisation außer Kraft zu setzen, und Keller, Verliese, Höhlen sind überall, nur Wimpernschläge vom gemütlichen Sein der Vollversorgung entfernt.
Insofern ist es ein kluger Schachzug von Andrea Maria Schenkel, ihren neuen, dritten „Roman“ an genau so einem Ort anzusiedeln: Die Dynamik der Story ist durch ihren Handlungsort schon da, weil man durch die flottierenden Versatzstücke der Medienberichterstattung, des Redens und Denkens über die Dutroux-artigen bis Fritzl-esken Fälle eine Dynamik im Kopf hat, wenn man allein schon den Titel dieses Prosastückes liest: Bunker.
Da ist doch direkt klar, was gemeint ist. Und insofern stimmt es übrigens auch nicht, was hier und da und dort behauptet wird, nämlich dass Schenkels neuer Text ihr erster nicht-historischer, nicht-pseudokumentarischer sei. Natürlich arbeitet Bunker Realitäten auf, bloß geschickter in der Anlage und nicht gar so historische wie in Tannöd und Kalteis.
Bunker erzählt die Geschichte einer Frau, die in einer Autovermietung arbeitet, wo sie eines Abends kurz vor Betriebsschluss von einem Unbekannten überwältigt und anschließend in eine alte Mühle im Wald entführt wird, in die der Vater des Unbekannten zu dessen Kinderzeit einen Bunker eingebaut hatte. Aus den wechselnden Perspektiven der beiden Kontrahenten wird dann gezeigt, wie die Beziehungsdynamik zwischen Täter und Opfer sich entwickelt, wobei schon bald nicht mehr ganz klar ist, wer denn nun wirklich Täter und wer Opfer ist, weil die Machtgefüge sich verschieben, weil plötzlich ein Dritter auftaucht, weil eine frühere Verbindung zwischen ihnen möglich sein könnte, weil schließlich ein Mord geschieht.
A one-trick-pony?
Bei der Betrachtung des Erfolgs von Andrea Maria Schenkel schwingt immer die Frage mit, ob es sich denn bei dieser Autorin nun um eine one-Hit-Wonder handelt oder ob sie das Zeug zu einer nachhaltigen Autorenkarriere mit Substanz hat. Jetzt scheinen die Zweifler im Recht zu sein: Bunker weist eklatante sprachlich-dramaturgische Schwächen auf, mitunter fragt man sich: Inwiefern, bitte, war hier oder da oder dort überhaupt ein Lektorat aktiv? Wie schwach diese Geschichte in einzelnen Sequenzen ist, belegen auch die an sich ja zum Positiven tendierenden Amazon-Bewertungen, die – für eine Autorin der Herzen – alles in allem erstaunlich vernichtend ausfallen.
Aber Vorsicht: Bunker ist dem Vernehmen nach Schenkels erstes Buch, das nach dem Beginn des großen Erfolges von Tannöd, also in vollem Bewusstsein desselben entstand. Bedenkt man diese Hypothek, ist unter dem Strich, bei aller Kritik, eher Respekt angesagt: Bunker ist letztlich ein erstaunlich experimenteller Versuch, ein aktuelles Thema, das Untiefen der Unbegreiflichkeit birgt, mit Hilfe von Dramaturgie, Verknappung und Sprachwillen fassbar zu machen. Es gibt, auch wenn’s letztlich nicht wirklich geklappt hat, Schlimmeres. Und mit Frau Schenkel, das beweist Bunker, wird weiterhin zu rechnen sein.
Ullrich Noller
Andrea Maria Schenkel: Bunker. Roman. Hamburg: Edition Nautilus 2009. 121 Seiten. 12,90 Euro.