Geschrieben am 8. Dezember 2009 von für Bücher, Litmag

Andre Dubus III: Der Garten der letzten Tage

Der Tag, der alles veränderte

Nach seinem mit Ben Kingsley verfilmten Haus aus Sand und Nebel erweist sich Andre Dubus III auch in seinem neuen Roman als ein Meister der sublimen psychologischen Spannung und der schicksalhaften Verkettung von Menschen und Ereignissen. Von Karsten Herrmann

Ein ehemaliger Privatdetektiv, Barkeeper und Bewährungshelfer erzählt in Der Garten der letzten Tage die Geschichte der Stripperin April und ihrer kleinen Tochter Franny. Nacht für Nacht präsentiert April ihren Körper im Puma-Club und hat dabei nur ein Ziel vor Augen: genug Geld zu sparen, um auszusteigen: „Jeder konnte herschauen und sich das alles ansehen, und sie April, konnte in jenem dunklen, stillen Teil von ihr bleiben, der gar nicht hier war, es noch nie gewesen war, der zu Hause bei ihrer Tochter war.“ Sie weiß Franny in diesen Nächten behütet von ihrer kinderlosen Vermieterin Jean, die nach dem Tod ihres Mannes schon glaubte, „fast bereit zu sterben“ zu sein. Doch mit Franny hat sie einen neuen Sinn für ihr Leben gefunden: „Es war ein Gefühl, dass sie so noch nie für jemand anderen empfunden hatte … das Wort Liebe war dafür nicht groß genug.“

Doch am Abend vor dem 11. September 2001 hat Jean einen Schwächeanfall und kann nicht auf Franny aufpassen. April nimmt sie mit in den Club und gibt sie in die Obhut einer Kollegin. Während sie für den Islamisten Bassam, der am nächsten Tag die Welt erschüttern wird, eine Privatvorstellung in der Champagner-Lounge gibt, verschwindet Franny spurlos aus dem Club.

Auf knapp 600 Seiten schildert Andre Dubus III diesen Abend aus den Perspektiven seiner einfühlsam und realistisch gezeichneten Protagonisten. Minutiös zeigt er, wie zufällige Ereignisse und Begegnungen zu schicksalhaften Verkettungen führen und sich in unausweichlicher Eigendynamik immer weiter dramatisch zuspitzen.

Wie schon in Haus aus Sand und Nebel löst er dabei einschlägige Kategorien wie Recht und Unrecht, Schuld und Verantwortung auf und leuchtet sorgsam die Räume dazwischen aus. Auf jeder Seite werden dabei sein tiefer Respekt und seine große Empathie für seine ganz unterschiedlichen Figuren und ihre je eigene Geschichte deutlich.
Der Garten der letzten Tage ist ein großartig geschriebener Roman, der den Leser ohne Effekthascherei bis zur letzten Seite in den Bann seiner psychologischen Spannung schlägt und der trotz aller Abgründe, trotz Gewalt, Hass und Verzweiflung von einer tiefen Menschlichkeit getragen wird.

Karsten Herrmann

Andre Dubus III: Der Garten der letzten Tage (The Garden of Last Days, 2002).
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
München: C. H. Beck 2009. 600 Seiten. 24,90 Euro.