Geschrieben am 22. Dezember 2012 von für Bücher, Crimemag

Alix Bosco: Cut & Run – Nichts wie weg

Entwurf_Cut_and_run_NEU5:Layout 1Kleine Lügen

– Die spannende neuseeländische Kriminalliteratur hat sich „untypische“ Verlage gesucht – Carl Nixon bei Weidle und ein zweiter diskutabler Roman bei ars vivendi: Greg McGee alias Alix Bosco „Cut & run“. Eine Besprechung von Christiane Nitsche.

„Ich beginne mit dem, was ich sicher weiß.“ Einen programmatischen ersten Satz nennt man das: Eine Autorin, die ein Mann ist, Wahrheiten, die nur in der Lüge überleben, ein filmreifer Showdown zwischen Helikopter und Hochsee-Kajak. Das alles in einer neuen, für Europäer immer noch jungen Welt; dabei voller Probleme, die so alt sind wie die Menschheit: Alix Boscos „Cut & Run“ ist ein so packender wie gepackt voller Thriller, dass man sich wundert, wieso die 365 Seiten im Hardcover bei der Bettlektüre nicht wie Blei auf der Brust liegen.

Es gibt eine ganze Reihe von Büchern, die ich im Laufe eines langen Leselebens mehr als einmal las. Der Segen des Vergessens macht ja vor Bibliophilen nicht Halt, auch in der prädementen Lebensphase ist das gerne mal so. Aber – Hand aufs Herz – noch keiner hat es bisher geschafft, dass ich bei demselben Buch spontan und aus freien Stücken nahtlos von der letzten Seite zur ersten geschlagen habe. Jetzt habe ich es getan. Aber warum bloß?

slaughter-fallsDie Regeln der Kunst?

Zum Einschlafen ist das schon mal nicht, was der in Neuseeland da schon bekannte Theater- und Drehbuchautor Greg McGee 2009 unter dem Pseudonym Alix Bosco veröffentlichte. Nicht, weil es hier besonders blutig zuginge, weil besonders schändliche Taten geschildert würden oder etwa das Abstruse eine Liaison mit dem Kreativen eingegangen wäre. Boscos Protagonistin Anna P. Markunas ist eine sehr normale Frau jenseits der 40 mit sehr normalen Problemen. Aber die haben es in sich: Ihren Job als Sozialarbeiterin hat sie wegen einer „Mitleidserschöpfung“ an den Nagel gehängt, der Ehemann hat sich nach längerer Depression das Leben genommen, die erwachsene Tochter ist ungeplant schwanger, der Sohn liegt ihr auf der Tasche, kämpft mit Drogensucht und um seinen neuen Job. Den hat er dank Annas Vermittlung im Büro des Kronanwalts Paul Malone bekommen. Dass dieser dafür Anna an die Wäsche will, ist das erste von unzähligen Klischee-verdächtigen Plot-Versatzstücken, bei denen man fix die leise Ironie und eine nahezu diebische Freude des Autors am Spurenlegen erkennen kann. Und da ist Antwort 1: Auch wenn man am Ende weiß, wohin die Fährte führt, kann es Spaß machen, sie zurückzuverfolgen. Voraussetzung dafür: Sie wurde nach allen Regeln der Kunst gelegt.

Das ist sie. Nicht umsonst gewann Alix Bosco mit „ihrem“ Debüt 2010 den ersten neuseeländischen Krimi-Preis, den Dame Ngaio Marsh Award. Der Nachfolgeband „Slaughter Falls“ kam 2011 in die Endauswahl. Er habe seiner Protagonistin mehr Glaubwürdigkeit verleihen wollen, erklärte McGee 2011, als das Pseudonym nach langem Rätselraten endlich gelüftet wurde. „Ich fürchtete, mein Name würde sie umbringen.“ Möglich, dass er Recht hat.

Aus einer Stadt wie Auckland von Prekariat, häuslicher Gewalt, Drogen- und Menschenhandel und von einer perspektivlosen Jugend zu berichten, hat etwa denselben Effekt, wie wenn der Alm-Öhi die Heidi nötigte und der Ziegen-Peter die Herde niedermetzelte, um sie für Koks zu verticken. Selbst für viele Neuseeländer hat der Inselstaat im Pazifik bis heute den Nimbus eines Heile-Welt-Auswandererparadieses, wo das Scheren der Schafe noch zum Grausamsten zählt, das man sich vorstellen kann. „Rucksacktouristeneinstellung“ heißt das im Buch. Greg McGee belehrt uns eines Besseren.

Denkste!

Anna arbeitet für das Anwaltsbüro von Rory Sanderson, der als Strafverteidiger in einem Mordfall bestimmt wurde. Sie recherchiert die Biographien der Klienten, um Entlastungszeugen und -material für die Verteidigung zu sammeln. „Ich bin gern Beobachter“, sagt Anna. Sie wähnt sich „Lichtjahre vom Mittelpunkt des Geschehens entfernt“.

Denkste. Man ahnt es bereits.

Anna merkt schnell, dass das Geständnis des Tatverdächtigen im Mordfall Solona keinen Pfifferling wert ist. Dass der Rugby-Jungstar Alex Solona ausgerechnet mitten im Liebesakt mit dem It-Girl Mikky St. Clair wegen eines geplatzten Drogendeals von seinem ehemals besten Freund Kamal Fifita per Kopfschuss ins Jenseits befördert worden sein soll, scheinen aber außer ihr alle zu glauben. Die einzige Zeugin hat nichts gesehen, denn ihr Lover habe ihr die Sicht versperrt, „in der Missionarsstellung (was durch die Analyse der von Mikkys Gesicht und Haaren genommenen Blut- und Gewebespuren bestätigt wurde).“

Details

McGee bedient sich aus allen Töpfen: Skurriles und Sozialkritik, Romantik und Rührstück, Abenteuer und Natur gehen Hand in Hand mit Abstrusem und Nonsens. So ist Annas „schwuler“ bester Freund der Kolumnist und Restaurantkritiker „Fearless Phil“, alles andere als angstfrei und außerdem nicht homosexuell. Der Mörder ist nicht der Mörder und der Italiener, zu dem Philip Anna einlädt, entpuppt sich als Iraner – was ihn schließlich sein Geschäft und Phil ein blaues Auge kosten wird. Dabei hat Anna inzwischen ganz andere Sorgen, denn es geschieht ein zweiter Mord, und schließlich gerät nicht nur sie selbst in höchste Lebensgefahr.

Unzählige Details verwebt McGee geschickt zu einer dichten, spannenden und dabei tiefgründigen Geschichte, die uns ganz nebenbei ein völlig neues Bild Neuseelands liefert – entzaubert und bezaubernd zugleich. „Die sinnlichen Kurven der Richmond Road“, die Schilderung eines Gemäldes, das einen polynesischen Atlas zeigt (eine Reminiszenz an den realen neuseeländischen Maler Tony Fomison), die immer wieder eingestreuten Naturbeschreibungen und – wie sollte es anders sein? – die stets präsente Farbe grün in allen Schattierungen und Nuancen zeugen von der Liebe des Autors zu seiner Heimat. Der unverhüllte, kritische Blick auf soziale Schieflagen, auf verdeckten Rassismus, auf Ausbeutung von Migrationsminderheiten aber lässt auch die Desillusionierung spüren, mit der er auf das moderne Neuseeland blickt.

Greg McGee

Greg McGee

Ein Sublimierungsprozess

Und da ist Antwort Nummer 2: Wer „Cut & Run“ liest, wird Zeuge eines Sublimierungsprozesses, einer Reifung. Eine Erkenntnis, die sich tatsächlich erst beim zweiten Lesen zwischen den unzähligen Wortspielen und Widersprüchen erschließt. So wie sich die junge Liebe eines frisch vermählten Paares langsam in eine tiefe Sicherheit wandelt, verändert sich in der Hand McGees die Haltung der „Kiwis“ zu ihrer jungen Nation. Sie nimmt Verantwortung an, akzeptiert kleine Lügen, Erosionsspuren und Altersflecken, bemüht sich aber auch um Klärung und Besserung, wo es Not tut.

Vielleicht hat dies dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren eine eigenständige Kriminalliteraturszene in Neuseeland entstand und mit ihr auch endlich ein eigener, nationaler Preis. Dass „Cut & Run“ diesen als erste/r bekam, hat McGee wohl nicht erwartet. Aber Alix Bosco hat ihn sich redlich verdient.

Christiane Nitsche

Alix Bosco: Cut & Run – Nichts wie weg (Cut & Run, 2009) Roman. Deutsch von Gottfried Röckelein, Cadolzburg: Ars Vivendi 2012. 365 Seiten. 18,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Autorenfoto: arsvivendi.com.

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