Geschrieben am 17. Februar 2004 von für Bücher, Musikmag

Alexandra Kardinar: Die Sonne brennt fortissimo

Momentaufnahmen von europäischem Alltag aus einer anderen Zeit

Geglückte Kombination von schön gemachtem Buch mit ebenso schönem Inhalt.

Manchmal gibt es sie ja noch: Die geglückte Kombination von schön gemachten Büchern mit ebenso schönem Inhalt. Ihre Reise-Feuilletons über die vier Komponisten (Händel, Mozart, Mendelssohn Bartholdy und Berlioz) und ihr jeweiliges Italien hat Alexandra Kardinar gleich noch selbst mit liebevoll-eleganten Zeichnungen – meist von Alltagsgegenständen und Instrumenten des 18. und 19. Jahrhunderts – illustriert und in ein bemerkenswert luftiges Layout gekleidet. Papierqualität, Bindung, Satz & Schrift atmen ebenfalls den Geist eines Projekts, das der Macherin und dem Verlag offensichtlich viel Spaß und Freude bereitet haben, und die übertragen sich sofort auf die LeserInnen.

Ein Gute-Laune-Buch also, auch weil es souverän und kompetent zu plaudern weiß. Für Fachleute bietet es keine großen Überraschungen, wenn es uns Händel in Italien beim Trend-Studium für sein eigenes Opern-Schaffen zeigt, die Mozarts père et fils bei der Job-Suche für den Junior, Mendelssohn-Bartholdy bei der Herausbildung eines eigenen künstlerischen National-Stils (eines deutschen, by the way, gegen einen italienischen gewendet), und Berlioz schließlich bei der glücklicherweise selbstironisch gepufferten Pflege seines spleens. Der Charme des Buches liegt deutlich in der Leichtigkeit, mit der Alexandra Kardinar die Quellen sprechen lässt und Alltägliches und Kulturhistorisches ohne große Hierarchie nebeneinander inszeniert. Und vor allem: Wie sie das alles ohne aufdringliche Thesen bewältigt und nicht in jedem privaten Erlebnis die Vorlage für eine Symphonie, nicht in jeder menschlichen Begegnung das Entstehen interaktiver Tonstücke und nicht in jeder musikalischen Bezugnahme auf Ort und Zeit eine Italienisierung der musikalischen Personalstile sieht. Interessant ist dabei, dass die beiden Reisenden aus dem 18. Jahrhundert in Italien noch musikalische Normativität vermuteten; die beiden aus dem 19. Jahrhundert ihre eigenen Normativitäten dagegen am verblassten locus amoenus Italien polemisch schärften – relativ analog zum politischen und finanziellen Gewicht der italienischen Mächte. Kultur und Realpolitik korrespondieren oft auf verwickelten Wegen, aber sie korrespondieren.

Aber zurück zu Kardinars Buch. Es ist nicht nur eine nette anekdotische Aneinanderreihung aus dem Leben großer Männer (das ist es auch), nicht nur eine nette Studie über das schauderhafte Reisen in Kutschen und über die Suche nach Arkadien – es ist auch eine Folge von Momentaufnahmen von europäischem Alltag, in einer Zeit, als in Rom oder Florenz oder Neapel Österreicher, Engländer, Deutsche, Italiener, Franzosen und Spanier ganz selbstverständlich über die gleichen politischen und künstlerischen Themen miteinander diskutierten. Damals noch eine Klassen-Frage (die dann peu à peu durchlässiger wurden), heute gesamtgesellschaftliche Realität – wobei das Hauptthema allerdings eher die Champions League ist. Strukturell macht das keinen allzu großen Unterschied. Insofern scheint die fortissimo brennende Sonne auch weiterhin auf diesen großen Kulturraum, der so viele zeitgeistige Beben und Zuckungen überlebt hat – und Alexandra Kardinars heitere Feuilletons beweisen einmal mehr, wie tief und unentwirrbar die Wurzeln dieses Zusammenhangs reichen.

Thomas Wörtche

Alexandra Kardinar: Die Sonne brennt fortissimo. Händel, Mozart, Mendelssohn Bartholdy und Berlioz reisen durch Italien. Edition Büchergilde 2003. Gebunden. 255 Seiten mit zahlreichen zum Teil farbigen Abbildungen. Halbleinen. 29,90 Euro.