Geschrieben am 5. Februar 2014 von für Bücher, Litmag

Alexander Kluge: “Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter”. 48 Geschichten für Fritz Bauer

Alexander Kluge_Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein VerräterFritz Bauer zum Eingedenken

– Alexander Kluges literarische Berührungen mit dem Holocaust. Von Wolfram Schütte

Der achtzigjährige Alexander Kluge ist immer noch ein Tausendsassa. Seit er vor mehr als zwanzig Jahren aufgehört hat, Filme fürs Kino zu drehen & nur noch mit Eigenprogrammen im Fernsehen auftritt, hat er sich wieder hauptsächlich der Literatur verschrieben.

Dabei hatte der Kopf des Neuen deutschen Films, der mit preisgekrönten Filmen wie “Abschied von gestern” oder “Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos” international reüssierte, 1962 & 1964 mit seinen “Lebensläufen” & dem Roman “Schlachtbeschreibung” als eigenwilliger Erzähler dokumentarischer Stoffe literarisch debütiert.

Zwar hatte er auch während seiner Zeit als bundesdeutscher Filmregisseur die literarische Produktion nicht vernachlässigt; aber seit der Jahrtausendwende & seinen Siebzigerjahren überraschte er fast jedes Jahr mit einer neuen Folge ebenso filigraner wie rätselhafter, sowohl anekdotischer als auch hintergründiger Geschichten.

Erinnerungskonzentrate deutscher Geschichte

Diese mehrhundertseitigen Erzählbände könnte man als Erinnerungskonzentrate deutscher Geschichte bezeichnen. Obwohl Kluges spröde Poesie von Fakten & Fiktionen jedes fabula docet meidet & dramatische Pointen verschmäht, steht seine fruchtbare serielle literarische Produktion in der späten Nachfolge des Rheinischen Hausfreundes Johann Peter Hebel.

Nun hat Alexander Kluge erneut ein Erzählbuch vorgelegt. Diesmal ist es ein schmaler Band, der auf 112 Seiten “48 Geschichten für Fritz Bauer” enthält. Sie sind dem 1968 in Frankfurt a. M gestorbenen Hessischen Generalstaatsanwalt gewidmet. Fritz Bauer, der in Kluges “Abschied von gestern” mitwirkte, hat sowohl den ersten “Auschwitz-Prozess” in Frankfurt initiiert, als auch den Israelis den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns verraten, weil er der bundesdeutschen Justiz zurecht nicht über den Weg traute.

Kein Wunder, dass der mutige & einsame Ex-Emigrant Bauer, den der langjährige hessische SPD-Ministerpräsident Georg August Zinn berufen hatte, unter seinesgleichen Juristen verhasst war.

Bekannt ist Fritz Bauers bittere Bemerkung: “Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland”.

Was Kluge, nach einer einleitenden autobiografischen Reminiszenz über Fritz Bauers Beerdigung, 48x erzählt, hat weder die Person oder das Leben Bauers zum Gegenstand, noch bezieht es sich auf ihn. Auch spricht nichts dafür, dass der Schriftsteller etwa aus dem Fundus Bauerscher Recherchen geschöpft hätte, als er sich nun auf seine Art mit einem Thema beschäftigt, das er bislang weitgehend gemieden hatte: dem “Holocaust”, bzw. nazibürokratisch: “der Endlösung der Judenfrage” – obwohl schon in seinen „Lebensläufen“ einer davon handelte.

Die respektvolle Erinnerung an den Humanisten Fritz Bauer ist es, die den Adorno-Schüler Alexander Kluge ermutigt hat, nun als Erzähler in der Beobachtung & Erinnerung des “monströsen Verbrechens” nicht zu erlahmen. Bauer habe einmal befürchtet, es gebe “gespenstische Fernwirkungen” & “nicht-kausale Netze” zwischen Vergangenheit & Gegenwart & den “Attraktoren des Bösen & uns”, schreibt Kluge in einer Nachbemerkung. Sie dürften nicht “wirkmächtiger werden als unsere Erfahrung”.

Notate im Widerstandsimperativ

Unter diesem Widerstandsimperativ sieht Kluge seine fiktionale Bearbeitung von Geschichte & Geschehen in den achtundvierzig Notaten unterschiedlichen Charakters. Meist sind die Geschichten nicht länger als 1 1/2 Seiten & berichten von Vorfällen, Ereignissen, Geschehnissen & Anekdoten während des Zweiten Weltkriegs im Machtbereich des Deutschen Reichs.

Nur einmal gibt Kluge einen deutlichen Hinweis auf die Herkunft des Stoffs, an dem sich seine spekulativ-erzählerische Phantasie entzündet hatte, als er unter dem Titel “Ein später Sieg des Spartakus” die gelungene Flucht einer kleinen Gruppe von KZ-Häftlingen aus dem Vernichtungslager Sobibor unter der logistischen Leitung Alexander Petscherskis, des Sohns eines jüdischen sowjetischen Spartakisten, erzählt. Diese optimistische Phantasie über die historische Person Petscherski hat Kluge aus einer Bemerkung des Holocaust-Historikers Saul Friedländer in dessen Studie “Die Jahre der Vernichtung” erzählerisch entwickelt.

In allen anderen Fällen, die meistens tragisch enden, verschweigt Kluge Herkunft & Motivation für seine künstlerischen Beschäftigungen auf dem Gelände dessen, was sein philosophischer Lehrer Theodor W. Adorno mit dem Wort “Zivilisationsbruch” als in- & ahuman stigmatisiert hatte. Bis in den sprachlichen Gestus hinein imitiert Kluges Prosa semantisch-argumentativ die Kälte, Mitleidlosigkeit & Abstraktheit der bürokratischen oder wissenschaftlichen Verfügungsgewalt, die im Holocaust an der Tagesordnung war.

Wer davon als Leser ein Wort einfühlenden Trostes erwartet, hätte in Kluges & Adornos Augen das Prekäre einer Ästhetik nicht verstanden, die ihrem poetischen Gegenstand adäquat zu sein versucht.

Wolfram Schütte

Alexander Kluge: “Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter”. 48 Geschichten für Fritz Bauer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. Fotos, Engl.Broschur. 113 Seiten. 16,95 Euro, eBook 14,99 Euro.

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