Geschrieben am 27. April 2011 von für Bücher, Litmag

Alexander Kluge/Gerhard Richter: Dezember

Historisch, ahistorisch?

Wie Alexander Kluge und Gerhard Richter einen Monat mit Geduld und Sinn für Intensität zusammencollagieren. Von Marius Hulpe.

Das Schaffen von Alexander Kluge hat sich in den letzten 50 Jahren nicht nur als überaus intermedial erwiesen, auch ist er auf den verschiedenen Böden, die er betreten hat, jeweils für sich Vorreiter, und obwohl viele in ihm in erster Linie den Filmemacher sehen, zudem eine liebenswerte Form des Kulturpolitikers, bezeichnet nicht nur er selbst seine Bücher als sein Hauptwerk.

Nun hat sich Kluge gemeinsam mit dem international renommierten Künstler Gerhard Richter, mit dem er das Geburtsjahr 1932 teilt, auf neues Terrain begeben: jenes der Bebilderung und Vertextung eines Zeitraums, und zwar des Dezembers. Dieser stellt sich sowohl in Form eines historischen Referenzraums als auch als Jahreszeit dar, und die Herangehensweise, sich mittels Schrift und Bild einem Gegenstand anzunähern, ist typisch für Kluges Agieren. Neu an dieser Arbeit ist, dass sich beide Medien kontemplativ ergänzen, also nicht unmittelbar semantisch Bezug aufeinander nehmen, sondern in einem weiteren, mentalitätsgeschichtlich wirkungsvolleren Verhältnis zueinander stehen, als es die in seinen Filmen und Fernsehsendungen häufig verwendeten Texteinblendungen auf die dort zu findenden Bilder und Szenen hin vermögen.

Die Stille der Natur und die Lautstärke des Krieges

Zwischen Kluges faktengesättigter Kriegsprosa, die typischerweise mitunter suggestive, fantastische Momente annimmt, und Richters winterlichen Versuchsanordnungen, die auf ihre zurückhaltende Weise mit dem Genre des Kalenderbilds spielen, offenbart sich eine meditative Fallhöhe. Das auf den ersten Blick seltsam brave der Richterschen Winterfotos (es handelt sich über weite Strecken des Bandes um Bilder von verschneiten Wäldern) stellt sich als präzise Studie über die Darstellungsmöglichkeiten winterlicher Landschaften heraus. Die Langsamkeit der Abfolge fordert hier die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters hinsichtlich der minimalen und vor allem strukturellen Veränderungen der Perspektive heraus.

Der Band eröffnet mit einer Skizze über die Situation an der „Front vor Moskau“ im Winter 1941. Es ist eine ausgesprochen Klugesche Volte, wenn er Generalfeldmarschall Fedor von Bock darauf hinweisen lässt, dass anstatt einer Waffe zur Bekämpfung der Russen vielmehr eine Waffe zur „Bekämpfung des Winters“ vonnöten wäre.

Zunächst mag die bloße Nebeneinanderstellung von Foto und Text irritieren, da die Fotos nicht auf Anhieb ihr Assoziationspotential entfalten, sondern erst durch das ausgiebige Betrachten zu einer Interpretation einladen. Die einzige Verbindungslinie ist das Motiv des Monats, und hier bleiben Kluge und Richter über den gesamten Band hinweg überaus diszipliniert. So diszipliniert, dass es teilweise etwas von einer monumentalen Installation in Buchform hat, was sie hier nebeneinanderlegen.

So liegen Statik und Langeweile des Wintermotivs auf der einen, Historizität und Durchtriebenheit auf der anderen Seite näher beieinander, als sich das von Beginn an vermuten lässt. Unversehens wird das Auge in die von Richter geschickt ausgelegten Klischeefallen gelockt. Doch sowohl sein beharrliches Durcharbeiten des Themas als auch die Klugesche Textkomposition verhindern jedes Absacken in eine falsche Eindeutigkeit.

Vexierspiel mit dem 19. Jahrhundert

Aus den Texten heraus ragen wie Leuchttürme immer wieder Sätze, die von der konkreten Umstandsbeschreibung abweichen, wie etwa die Quintessenz, dass der Dezember 41 „durch Zeitarmut charakterisiert war“ oder dass „DIE MACHT IM PUTZ VERSTECKT“ ist wie in der Gorbatschow-Skizze, an deren Ende der alte Mann mit seinem Erinnerungsbuch beginnt. „Da wussten wir: es ist aus.“

Wo Hitler auftaucht, macht Kluge ihn angenehm alltäglich, etwa in der Tatsache, dass dieser genauso wie Goebbels Brautmutter beinahe von einem Aushilfschauffeur „zuschanden gefahren“ worden wäre, weil „Bremsverbot auf Eisflächen wie auch Gefahr des beschwipsten Fahrens [noch] nicht allseitig kommuniziert“ gewesen seien.

Ein gelungenes Vexierspiel mit dem Jahrhundert, seinen Toten und dem Monat, der diesen Tod am meisten repräsentiert, ist den beiden Großinquisitoren der Wahrnehmung hier bei ihrem gemeinsam in Sils Maria verbrachten Winter gelungen, und dass es sich hierbei um den Ort handelt, an dem Kluges akademischer Vater Theodor W. Adorno das Licht der Welt zum letzten Mal vernahm, macht die Geschichte vielleicht noch ein wenig mythischer, jedenfalls liegen hier alle bleischweren Themen ganz nah beieinander, und dass diese überhaupt zu verdauen sind, dazu trägt einer, dem das Verschwinden schon von der Substanz her innewohnt, ganz besonders bei: der Schnee.

Marius Hulpe

Alexander Kluge/Gerhard Richter: Dezember. 39 Geschichten und 39 Bilder. Berlin: Bibliothek Suhrkamp 2010. 126 Seiten. 19,90 Euro. Eine Leseprobe des Buches finden Sie hier. Fotos: Copyright Suhrkamp.