Geschrieben am 23. Juli 2014 von für Bücher, Film/Fernsehen, Litmag

Alan Sepinwall: Die Revolution war im Fernsehen

Sepinwall_Die Revolution war im FernsehenAus dem Schatten des Kinos

–The Sopranos, Lost, Breaking Bad und Battlestar Galactica: Alan Sepinwall widmet sich der oft postulierten Serienrevolution im amerikanischen Fernsehen. Dabei schreibt er keine Kulturgeschichte, aber eine vielschichtige Medienanalyse. Von Kerstin Schoof.

Alan Sepinwall kennt sich aus mit der Materie: Als Blogger und Serienjunkie im Hauptberuf war er bereits ab 1996 als Fernsehkritiker für The Star Ledger engagiert, seitdem verfasste er unzählige Serienkritiken für seinen Blog „What’s Alan watching?“. In einer Zusammenstellung und neuen Aufbereitung seiner Texte vertritt er jetzt – in einer Reihe mit einer, wie er selbst sagt, ganzen „Denkschule“ von Journalisten und Kulturwissenschaftlern – die These einer Fernsehrevolution, die er rund um die Jahrtausendwende datiert: „Wenn man auf der Suche nach einem intelligenten Drama für Erwachsene war, ging man nicht mehr ins Multiplex, sondern setzte sich auf die Couch im Wohnzimmer“. Das Fernsehen habe über das Format der Serie sein Potenzial entdeckt, komplexe Plots und Charaktere langfristig anzulegen und zu entwickeln, eine nie dagewesene Qualität und intellektuellen Anspruch zu liefern – und letztlich aus dem Schatten des Kinos zu treten, belegt durch den Medienwechsel von Leinwandregisseuren wie David Lynch, der mit seiner TV-Produktion „Twin Peaks“ als Wegbereiter dieses Trends zu gelten hat.

Aber worin genau besteht der Qualitätssprung, den Fernsehserien angeblich absolviert haben? Warum ist ihre Akzeptanz und kulturelle Achtung dermaßen gestiegen? Oder ist das alles nur „Bling Bling fürs Bürgertum“, das neuerdings mit gutem Gewissen teuer produzierte Retro-Serien glotzen kann, wie Eiken Bruhn und Dieter Wiene unlängst in der taz argumentierten? Sepinwall selbst liefert eine lange Liste von Vorläufern der Revolution (die bald eher einer Evolution gleicht), von „Miami Vice“ über „The X-Files“ und „Emergency Room“. In zwölf Einzelporträts verspricht er dennoch, dem Phänomen der neueren Serienhits – nichts weniger als der „Urknall des Fernseh-Universums“ – auf den Grund zu gehen.

9/11, Rezession und High-School-Trauma

Eine echte Kulturkritik der neuen Serien ist Sepinwalls Essay-Sammlung nicht: die internen Mechanismen des Fernsehbetriebs interessieren ihn mehr als mediale Reflektionen der Alltagskultur oder des politischen Klimas der USA, die zur plötzlichen Relevanz und dem Aufstieg der neuen Serien geführt haben könnten. Nichtsdestotrotz baut er immer wieder interessante Beobachtungen gesellschaftlicher Entwicklungen in seine Analysen ein, etwa wenn er lapidar kommentiert: „‘Breaking Bad‘ gibt der Rezession den Bösewicht, den sie verdient“. Ein an Lungenkrebs erkrankter Chemielehrer, der seine Familie finanziell absichern will, indem er anfängt, Crystal Meth zu produzieren – „Breaking Bad“ changiert zwischen brillantem Sozialdrama, das die Zwänge der amerikanischen Mittelschicht in kinoreifen Landschaftsaufnahmen und Gangsterfilm-Inszenierungen einfängt, und überkonstruiertem Psychothriller, der Walter Whites Entwicklung zum kriminellen Killer letztlich doch auf dessen bösartigen Individualcharakter reduziert.

Sepinwall charakterisiert wandelnde Geschlechterbilder in „Mad Men“ oder skizziert die Verarbeitung von Teenie-Problemen in „Buffy“, die High-School-Traumata in Fantasy-Settings versetzt durchspielt und trotz ihrer vergleichsweise wenig aufwändigen Produktion schon lange zum popkulturellen Phänomen geworden ist. Er beschreibt die Resonanz, die verschiedene Serien nach 9/11 erzeugen konnten, indem sie die Ängste der Bevölkerung und das neuartige Bedrohungsszenario aufgriffen, statt die Zuschauer mit „Heile-Welt-Fernsehen“ abzulenken. So sei Kiefer Sutherland als Agent in „24“ zu einer „karthatischen Figur“ geworden, die gegen den Terror und die korrupte Bürokratie der Geheimdienste zugleich kämpft. Sepinwall weist auch darauf hin, wie die zweite Staffel islamophobe Ressentiments ausnutzte und u.a. mit einem Plakat warb, das eine arabische Familie zeigt – samt Slogan: „Sie könnten deine Nachbarn sein“.

Producer X und Autor Y

Meistens allerdings beschränkt sich Sepinwall darauf, zu protokollieren, wann Producer X von Fox diese Entscheidung getroffen oder jene Skriptänderung von Drehbuchautor Y und Schauspieler Z eingefordert hat – eine Herangehensweise, die die Entwicklungen der Serienkultur vorrangig personenbezogen und aus der Dynamik der Fernsehindustrie selbst heraus erklären will. So werden Formate gesendet oder wieder abgesetzt, weil sie an vorherige Produktionen anknüpfen, diesen zu ähnlich sind, nicht ins Konzept des Senders passen, durch einen innovativen Junior Manager gegen alle Widerstände ins Programm gehievt wurden. Eine teilweise ermüdende und selbstreferenzielle Sichtweise, anhand derer Sepinwall allerdings über den Verlauf des Buches hinweg ein dichtes Netz an Referenzen zwischen den verschiedensten Serien der amerikanischen Nachkriegszeit und ihren Entstehungsgeschichten spannen sowie den Aufstieg der privaten Networks nachzeichnen kann.

Ob die Serien in Sepinwalls Kollektion nun wirklich eine Revolution des Fernsehens bedeuten, wann diese stattgefunden hat (oder ob man beispielsweise nach einigen Folgen „24“ ziemlich genau weiß, warum das Erzählen in Echtzeit so selten filmisch eingesetzt wird), bleibt die Frage – der enthusiastische Blogger liefert jedenfalls keine überzeugende Begründung. Aber spätestens nach dem ersten Kapitel sitzt man sowieso vor dem Fernseher, um das alles selbst heraus zu finden.

Kerstin Schoof

Alan Sepinwall: Die Revolution war im Fernsehen (The revolution was televised, 2o13). Essays. Aus dem Amerikanischen von Tom Bresemann, Christian Lux und Annette Kühn. Luxbooks Luftraum, Wiesbaden 2014. 457 Seiten. 24.80 Euro.
Blog des Autors: What’s Alan watching?

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