Geschrieben am 8. Dezember 2010 von für Bücher, Litmag

Adam Thirlwell: Flüchtig

Virtuoses Blendwerk

– Adam Thirlwell wurde nach seinem hochgelobten und international erfolgreichen Debüt „Strategie“ (2004) als „Wunderkind der britischen Literatur“ gefeiert. Sein jetzt auf Deutsch erschienener zweiter Roman „Flüchtig“ hinterlässt allerdings einen zwiespältigen Eindruck. Von Karsten Herrmann

Adam Thirlwell erzählt hier die Geschichte von Haffner, einem schillernden Geschäftsmann, Schöngeist, Jazz-Liebhaber und Bewunderer der Antike. Vor allen Dingen aber lebte und lebt dieser Haffner für die Frauen, „war lüstern, egoistisch, eitel – ein ganz normaler Mann“. Wie von selbst und fast zwangsläufig scheint er sich mit seinen Affären dabei immer wieder in Unheil zu verstricken.

Nach einer Karriere als Banker in London und New York findet sich Haffner am Ende des 20. Jahrhunderts wieder als „ein Stück Treibgut im Herzen Europas“. In einem nicht bezeichneten Land und Kurort des ehemaligen Ostblocks versucht er das enteignete Elternhaus seiner verstorbenen Frau Livia wiederzuerlangen. Wie kaum anders zu erwarten schlittert er auch hier in erotische Abenteuer, so mit der alternden Frau Tummel und der blutjungen Zinka, die mit dem undurchsichtigen Viko liiert ist. Am Ende beginnt für Haffner ein Abstieg in die düsteren Bars und Clubs des Kurorts, und es wartet sexuelles Neuland auf den alten Connaisseur.

Aus diesem Abenteuer geht der 78-jährige Haffner reichlich zerzaust und erschöpft mit der Erkenntnis hervor, dass es in seinem Leben mit Livia doch nur eine einzige Liebe gab, der er auf seine exzentrische Weise immer treu blieb. In assoziativ eingeflochtenen Rückblicken setzt Thirlwell so auch nach und nach Bruchstücke aus Haffners jüdischer Lebensgeschichte zusammen und lässt die Zeiten von Krieg und Judenverfolgung aufblitzen.

Allzu große Beliebigkeit

Ohne Zweifel ist Adam Thirlwell ein verblüffender Meister und Magier der Sprache. Sein Erzählton ist virtuos, süffig und geschmeidig und der Autor zeigt sich mit seinen antiken Bezügen und philosophischen Anspielungen als offenbar sehr gelehrt. „Vielleicht war Haffner ein Held im epischen Sinne“ legt der Erzähler an einer Stelle nahe – doch dieses Potenzial verspielt Thirlwell mit allzu großer Beliebigkeit der sarkastisch-grotesken Ent- und Verwicklungen und einer überambitionierten rhetorischen Spiegelfechterei. Letztlich vermag Haffners programmatisch unkonventionelles Leben und seine nur angedeutete tragische Vergangenheit den Leser nur bedingt zu fesseln, und es bleibt der Eindruck von einem äußerst virtuosen Stück- und Blendwerk.

Karsten Herrmann

Adam Thirlwell: Flüchtig (The Escape, 2009). Deutsch von Henning Ahrens. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 2010. 384 Seiten. 19,95 Euro. Mehr zu Thirwell: hier.