„A funky million Dollars“
Capitol Records hat zum 75jährigen Jubiläum ein XXL-Album in Buchform bekommen. Alf Mayer hat darin gestöbert.
Eine der großartigsten Heimstätten der Musik nennt Beck den Capitol-Records-Tower auf der Vine Street in Los Angeles, einen Block nördlich vom Hollywood Boulevard. 1954-56 gebaut, ist der 46 Meter hohe kreisrunde Bau ein Wahrzeichen, es war einmal das erste runde Bürogebäude der Welt. Der Architekt Lou Naidorf vom Büro Welton Beckett hatte es einem Stapel Schallplatten nachempfunden. Wenn man nach Hollywood hineinfährt gehört es vom Freeway aus zu den ersten Gebäuden inmitten einer ansonsten rechteckigen Häuserlandschaft, die einem auffallen. Die mit dunklem Holz getäfelten Aufnahmestudios A und B sind weltberühmt. Sinatras Hocker und sein Lieblingsmikro, Nat King Coles Steinway-Flügel und das Dirigentenpult des Arrangeurs Nelson Riddle finden sich dort. Vor allem das Studio B sieht immer noch weitgehend so aus, wie Sinatra es 1962 verließ. Der ungnädige und schwierige Bob Dylan, der noch nie bei Capitol aufgenommen hatte, war gebührend beeindruckt, als er 2014 für „Shadows in the Night“ dort arbeitete.
Könner am Werk
Der Capitol-Tower gehört wie die Grande Ole Opry, die Royal Albert Hall, die Hollywood Bowl, Abbey Road oder Beale Street zu den großen Adressen der modernen Musikgeschichte. Im Jahr 2017 feiert das Label seinen 75. Geburtstag, im Verlag Benedikt Taschen ist dazu ein opulenter, schwergewichtiger Band erschienen. Er kommt in Kassette und Schuber, hat eine Goldene Schallplatte auf dem Titel, auf dem Buchumschlag ein Mikrophon, öffnet sich wie ein übergroßes Album. Ein „Ahh!“ ist beim ersten Aufschlagen unvermeidlich. Und die „Ahhs“ gehen weiter, wenn Bildauswahl und Gestaltung ihre Dynamik entfalten. Hier waren Könner am Werk (Art Director: Josh Baker, Design: Jess Sappenfield), so macht Musikgeschichte Spaß. Fünf „Tracks“ und ein „Bonus Track“ führen durch die Jahrzehnte. Mehr als 100 Fotografen finden sich am Buchende bei den Kurzbiografien, alle haben sie Erstaunliches geleistet. Großartige Bilder! Tolle Bildauswahl!
Capitol Records wurde 1942 vom Songwriter Johnny Mercer gegründet, unterstützt vom Filmproduzenten Buddy DeSylva und dem Geschäftsmann Glenn Wallichs, Besitzer von Music City, dem damals größten Schallplattenladen von L.A. Capitol war das erste Label an der Westküste und konkurrierte mit RCA-Victor, Columbia und Decca in New York. Zu den ersten Künstlern der Firma gehörten Billie Holliday, Benny Carter, Stan Kenton und Ella Mae Morse. Deren „Cow Cow Boogie“ bescherte 1942 dem Label seine erste Goldene Schallplatte. Dazu kam ein Überraschungshit mit dem Stück „Straighten Up and Fly Right“ vom neu unter Vertrag genommenen Trio von Nat King Cole. Innerhalb der ersten fünf Jahre verkaufte Capitol 42 Millionen Schallplatten und gehörte nun zu den sogenannten „Big Six“-Studios.
Frank Sinatra wurde mit Capitol zum Star, ebenso Nat King Cole, der Firmenturm wurde bald scherzhaft „The House That Nat Built“ genannt. (Seit März 2017 gibt es den Turm auch als großen Lego-Bau, Preis: 200 Dollar.) Miles Davis machte dort 1949 die ersten Aufnahmen für „Birth of the Cool“, Judy Garland, Dean Martin, die Beatles, die Beach Boys, Pink Floyd, Grand Funk Railroad, Linda Ronstadt, Sam Smith und viele, viele andere folgten.
Das Buch bietet ein Vorwort von Beck, Essays fachkundiger Historiker und Musikexperten auch über den Bau an sich und die Aufnahmestudios sowie Hunderte von Bildern aus den umfangreichen Firmenarchiven. Die fotografische und musikalische Geschichte führt durch Pop, Rock, Country, Klassik, Soul und Jazz, hat „one-hit wonders” ebenso wie altgediente Stars. George Clinton sagt an einer Stelle: „We forced Capitol to make a funky million Dollars.“
Aus Anlass des Jubiläums wählte ein Kreis von Experten für „75 Years of Capitol’s Best“ folgende Alben aus (Auschnitt):
Nat King Cole „Unforgettable“, 1953
Duke Ellington „The Duke Plays Ellington“, 1953
Frank Sinatra „Wee Small Hours“, 1955/ „Come Fly With Me“, 1958/ „Frank Sinatra Sings for Only the Lonely“, 1958
Louis Prima „The Wildest“, 1956
Gene Vincent and his Blue Caps „Bluejean Bop“, 1956
Miles Davis „Birth of Cool“, 1957
Wanda Jackson „There’s a Party Goin’ On“, 1961
Dean Martin „Italian Love Songs“, 1962
Beach Boys „Surfer Girl“, 1963/ „Pet Sounds“, 1966
Nancy Wilson „How Glad I Am“, 1964
The Beatles „Meet The Beatles“, 1964/ „Revolver“, 1966/ Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Bnad“, 1967/ „White Album“, 1969/ „Abbey Road“, 1970
The Cannonball Adderley Quintett „Mercy Mery Mercy“, 1966
Bobby Gentry „Ode to Billie Joe“, 1967
Merle Haggard „Mama Tried“, 1968
Peggy Lee „All That There Is?“, 1969
The Band „The Band“, 1969
John Lennon „Imagine“, 1971
Grand Funk Railroad „We’re An American Band“, 1973
Linda Ronstadt „Heart Like A Wheel“, 1974
Pink Floyd „Dark Side of the Moon“, 1973
Bob Seger „Night Movers“, 1976
Tina Turner „Private Dancer“, 1984
Neil Diamond „The Jazz Singer“, 1980
George Clinton „Computer Games“, 1982
Beastie Boys „Paul’s Boutique“, 1989
McHammer „Please HammerDon’t Hurt Em“, 1990
Bonnie Raitt „Luck of the Draw“, 1991
Foo Fighters „Foo Fighters“, 1994
Radiohead „OK Computer“, 1997
Coldplay „Parachutes“, 2000
Norah Jones „Come Away With Me“, 2002
Katy Pery „Teenage Dream“, 2010
Sam Smith „In the Lonely Hour“, 2014
Beck „Morning Phase“ 2014
Auf der Firmenwebseite führt eine Playlist durch die Dekaden. Fast wünscht man sich, dass doch bitte auch die 75 Vinylscheiben beiliegen sollen. Aber da bin ich vielleicht zu sehr Nostalgiker. Gibt es ja doch alles in der Cloud. Wolke Sieben.
Alf Mayer
Reuel Golden (Hrsg.): 75 Years of Capitol Records. Mit Texten von Barney Hoskyns. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch; mit Textheft. Verlag Taschen, Köln 2017. Hardcover in Kasette, 33 x 33 cm. 492 Seiten, 99,99 Euro. Verlagsinformationen.
Offizielle Webseite von Capitol Records hier. Eine Diskographie hier.