Geschrieben am 4. November 2018 von für News, Specials, Verlust-Special 2018, Verlust-Special UNO

Ute Cohen: Ende der Utopien

9783462051537Subutex und Millenial im Paradise Lost

von Ute Cohen

Dritter Band. Er stirbt. Mit Vernon Subutex’ Tod versiegt auch jede Hoffnung auf Versöhnung in einer Gesellschaft, in der kein Mensch Kontrolle über sein Leben hat, einer Gesellschaft, in der jeder auf seine Weise trügerischen Hoffnungen erliegt, einer Gesellschaft, in der das Paradies längst verloren ist.

Dass der esoterische Klang des zweiten Bandes von Virginie Despentes Trilogie in einer bombastischen Endzeitvision enden würde, wird wohl kaum jemanden verwundern. You want it darker? Despentes killt die letzte Flamme oxytocinverzückter Jünger, lässt das letzte Fünkchen Hoffnung in der Kanalisation zerstieben. Der Ton in „Vernon Subutex“ ist von Anfang an morbide. Man steht vor Dantes Höllentor und wird, von ein paar Drogenkicks und Tanzdelirien mal abgesehen, durch menschliche Infernos hindurchgeschleust.

Vernon ist die Konstante dieses zwischenmenschlichen Roulettes. „Malgré soi“ möchte man fast sagen, spendet er immer wieder Hoffnung und Aussicht auf ein anderes, ein besseres Leben bis zu dem Tage, an dem nur noch „ein Meer von Blut“ die Körper verband. Vernon findet zwar seine Insel, aber der Ausblick in die Zukunft, in die Kanalrattenexistenz seiner zersprengten, kretinierten Anhänger ist alles andere als tröstlich. Die Zukunft ist schwarz und Vernon, der Hoffnungsträger aller Gescheiterten und Desillusionierten, ist tot.

Nie wieder die Unschuld

Warum aber Vernon? Warum wurde ausgerechnet er zum Heilsbringer aller Sehnsüchtigen? Sicher war Vernon einst einer, der das Coolsein gepachtet hatte, mit Musik zu tun hatte und so, dann aus dem System flog und – Holy Shit! – eine Massenbewegung ins Leben rief. Ausgerechnet Vernon! Denn abgesehen davon, dass er mit Rockmusik aufs innigste verbandelt war, prädestinierte ihn nichts zum Propheten. Er ist nicht der Hellste, von Erleuchtung kann nicht die Rede sein, und Charisma ist ihm auch nicht zueigen. Allerdings spiegelt er in seiner Nichtssagenheit die Sehnsüchte aller sich in seinem Dunstkreis Bewegenden. Im Grunde ist er sogar ein richtiger Schisser: „Dass die Dinge nicht bleiben, wie sie sind, hält er schlecht aus.“ Sein Ärger ist aber nicht so groß, dass er Konsequenzen ziehen, mal richtig mit der Faust auf den Tisch hauen würde. Er lässt sich mitziehen, treiben, ist ein merkwürdig passives Wesen, dass durch den Körper, die Energie der anderen vorangetrieben wird. „Er denkt, dass niemand stabil ist. Nichts. Keine Gruppe. Dass diese Erkenntnis die schlimmste ist. Dass wir nur Sklaven der Situation sind, sie niemals beherrschen.“

In der Tat meistert kein einziger in Despentes zeitgenössischen Panoptikum sein Leben. Unzufriedenheit herrscht in allen Kreisen, bei allen Figuren, außer vielleicht bei jugendlichen DJanes aus der französischen Provinz, die den Glauben an die Macht der Musik noch nicht verloren haben beziehungsweise über einen ungetrübten Blick auf die menschliche Korrumpierbarkeit verfügen. Die Unfähigkeit, das Schicksal zu beherrschen, äußert sich bei Despentes jedoch keinesfalls in Larmoyanz. Trotz aller Irrungen und Wirrungen ist kein einziger Protagonist ein Jammerlappen. Alle sind immer noch erfüllt vom Wunsch nach Kollektivität, vom Aufgehen in einem einzigen liebenden Menschenkörper. Dass diese fixe Idee mit allen Beats und Substanzen der Welt nicht erfüllt werden kann, ist die in jedem Wort des Romans lauernde Gewissheit. Keiner will sich jedoch dem Wissen um die Unmöglichkeit dieses Utopia stellen. Despentes Eskapisten tanzen sich bis zum Umfallen ihr verlorenes Paradies zurecht. Ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Restriktionen sind die Tanzevents, die fusionellen Convergences: „Man betont die absolute Sinnfreiheit dieser Praktiken, in denen es keine Verbote gibt.“

Despentes lässt die Hoffnung sterben, lässt uns von Gesellschaftskonformität und Gier Verblendeten jedoch in ein Paradies hineinblinzeln, das greifbarer ist, als wir es wähnen: Eine Welt, die keinen Sinn macht,eine Welt mit Körpern, die uns umschmiegen und einer Natur mit lebenden Tieren, Licht, Luft, Wasser. Das „Paradise Lost“ haben wir, solange wir nicht ins allzu gleißende Licht blicken, vor Augen: Es ist nicht Ecstasy-wolkenweich, nicht bonbonrosa, simpler als wir es erhoffen vielleicht. Dennoch lohnt es sich, in den bitteren Apfel der Erkenntnis zu beißen: Tänzelnd-spielerisch stoßen wir immerhin ab und zu ein Tor zum Paradies auf, unsere Unschuld werden wir allerdings nie wiedererlangen. Ein Drama ist das nicht, denn solange wir Vernon oder irgendeinem anderen Subutex dieser Welt hinterherhecheln, sind wir der Hölle näher als wir glauben.

300_U1_978-3-499-63384-3Das konnte man noch nie

Apropos Hölle: In der Arbeitshölle gefangen glaubt sich Bianca Jankovska, die mit ihrem Millenial-Manifest kapitalistisch-neoliberalen Produktionsbedingungen den Garaus machen will. Das Ansinnen ist nobel, die Implementierung einer Strategie, sofern vorhanden, kompliziert – wie so oft im schnöden Beraterdasein. Das liegt in erster Linie daran, dass das Paper eine klare Linie missen lässt (Bullet Points gerade bei Manifesten sind gar nicht so schlecht). Eine Exit-Strategie für digitale Egomanen aus unserer emotional-kreativen Fin-de-Siècle-Gesellschaft wird leider nicht aufgezeigt. Stattdessen muss man mit der Lupe die sachliche Gesellschaftskritik suchen, denn Jankovska versteckt die piksende Nadel beziehungsweise ihre Erkenntnisperlen in einem Jammerhaufen. Irgendwie sind alle so gemein, so gemein! Die frühere Schulfreundin hat’s geschafft, sich als Instagram-Influencer zu positionieren, der Ex-Kumpel sitzt in San Francisco und hat nur Mini-Slots für sie übrig, ganz fies sind die älteren Semester im Range Rover, die „in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts Grundstücke hinterhergeschmissen bekamen“ und die nichts von den erbrachten Opfern der Millenial-Generation wissen wollen. Jankovska fragt sich, warum „kein Aufschrei durch die Reihen ihrer Koleidenden“ gehe und klagt: „Die Leichtigkeit, die früher den Übergang von Statusgrenzen bestimmt hat: den Einstieg ins Berufsleben, das eigenständige Wohnen, die Familiengründung. All das, es ist uns genommen worden. Niemand kann mehr darauf vertrauen, dass ein Leben nach altbekannten Mustern verlaufen wird.“

Das konnte man noch nie, Liebes, möchte man rufen. Despentes’ Figuren landen wie im richtigen Leben auf Irrwegen. Das Leben war noch nie ein Ponyhof. Jankovska beißt in den sauren Apfel und schimpft, dass es sich nicht um Apfelkompott mit Zimt und Zucker handelt. Mit der Bewältigung von Vergangenheitshäppchen und Reflexion über patriarchale Verhältnisse versucht sie sich für den Kampf zu wappnen: „Den Kampf, den ich würde führen müssen, um das zu bekommen, was mir gehört.“ Diesen Kampf will sie gewinnen. Das Problem ist nur: Nichts gehört einem, abgesehen vielleicht von den zu recht erwähnten Zehennägeln. Zwei Bachelor-Abschlüsse? Schön! Ein Master? Bravo! Viele in diesem Business haben weder das eine noch das andere und sind viel weiter vorn. Da darf man schon mal  Frustgedanken hegen; einzufordern gibt es jedoch nichts!

Jankovska bewegt sich auf einem Drahtseil: Sie ist klug, fähig zu tadelloser Haltung, droht aber abzustürzen ins Tal der Bitternis. Das wäre schade, denn aus den Schnipseln eines wohl lediglich aus Marketing-Gründen, keinesfalls inhaltlich zu rechtfertigenden Gründen so betitelten „Manifests“ ließe sich ein prima White Paper erarbeiten. Ein White Paper mit dem Titel „Employees first“ vielleicht. Jankovska könnte eine Menge dazu beitragen, denn den klaren Blick für Missstände hat sie, den Mut aufzustehen ebenfalls.

Sie sollte jedoch vorher Vernon Subutex lesen, damit sie weiß, dass Köpfe in jeder Generation rollen und kein erster Job, nicht einmal der darauffolgende zwingend ein Zuckerschlecken ist.

vW.B._Gould_-_Still_life_with_fruit_and_flowers_-_Google_Art_ProjectHoffnung macht ihr Text dennoch, denn es ist darin verborgen der Wunsch, das eigene Leben in einen utopischen, einen solidarischen Zusammenhang einzuordnen, übers Networking hinaus. Es keimt ganz zart der Wunsch nach einem Miteinander. Jankovska sucht nach einem verlorenen Paradies. Das ist ihr hoch anzurechnen. Finden wird sie es wohl erst, wenn sie bereit ist, Verbitterung und, ja, Neid abzuschütteln und vielleicht die ein oder andere Tänzelei zu wagen. Zusammen mit anderen.

„Für den Spaß in der Gruppe war es relativ unwesentlich, dass ein Mitglied in der Kette der losen Zufallsbegegnungen fehlte. Heute bevorzuge ich Einzelmenschen“, sagt sie. Mit Gruppen hat man nicht nur Spaß. Man kann aber, wenn man jeden Einzelmenschen in seiner Individualität gelten lässt, durchaus Einiges bewirken. Fürs Paradies braucht es kein Manifest!

 

Ute Cohen lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihr Roman Satans Spielfeld erschien 2017 bei Septime, kürzlich brachte die „Berliner Zeitung“ ein zweiseitiges Interview zu den Hintergründen dieses Romans. Ute Cohen hat für CulturMag die Specials SEX- und TABUMag kuratiert. Ihre Texte bei CulturMag, ihr Interview in der „Berliner Zeitung„.


Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex 3 (Vernon Subutex  3). Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 416 Seiten, 22 Euro. Verlagsinformationen hier.

Bianca Jankovska: Das Millenial-Manifest. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2018. 240 Seiten, 10 Euro. Verlagsinformationen hier.

 

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