Geschrieben am 31. Dezember 2021 von für Highlights, Highlights 2021, News

Georg Seesslen: Das letzte Loch

               

Eine Geschichte

                                                                                I

Es war der 17. September 2028, wie der Huber zu uns herüberkommen ist. Das weiß ich noch so genau, weil es damals etwas im Fernsehen gegeben hat, wo man gesagt hat, das ist unvergesslich. Jetzt habe ich es aber doch vergessen, vielleicht wegen der ganzen Sachen, die dann passiert sind. 

Also, der Huber ist zu uns nüber gekommen, und er war furchtbar aufgeregt, und man hat ihn erst schwer verstehen können, so außer Atem war er. 
„Ich habe ein Loch“, hat er immerzu gerufen, und dann wieder mehr geflüstert: „Ich habe ein Loch“. 
Wir haben uns gedacht, dass er sich vielleicht was getan hat, weil ansonsten hat ja jeder ein Loch, oder mehr als eins. 
Aber er hat nirgends geblutet oder so was. Immer nur geschrien: „Ich hab’ ein Loch“. 
Und dann hat er noch gesagt, dass wir ruhig kommen sollen und es uns selber anschauen, wenn wir es ihm nicht glauben.

Jetzt haben wir gedacht, dass er vielleicht ein Loch in seiner Wand meint, und dass irgendwas damit los ist. Also sind wir in unsere Schutzkleidung gestiegen und Masken auf und hinter ihm her. 
Wie wir aber in dem Huber seine Wohnung hinein wollten, hat er uns bloß gewunken, dass wir mitkommen sollen, weil gut reden kann man ja unter den Masken nicht. Und dann sind wir hinter ihm her, in seinen Garten, und dann haben wir es selber gesehen und haben es kaum glauben können. Im Garten vom Huber war ein Riesenloch. 

Ein echtes Loch. Also kein Löchlein, kein Fleck, kein Krater, nix in der Art. Es war ein richtiges Loch.
Ein schmaler Mensch hätte leicht hinein gepasst. Aber es ist natürlich schnurstracks nach unten gegangen, und da war es ganz finster. 
Richtige Löcher hat es damals ja gar nicht mehr gegeben. Es war wegen dem Klima und der Viren und überhaupt verboten, was weiß denn ich. 
Es hat ja auch geheißen es gäbe Schlupflöcher für Finanz und alles. 
Ich habe noch nie in meinem Leben ein Loch gesehen gehabt, so jung war ich damals. 
Mir ist aufgefallen, dass ein Loch eigentlich etwas sehr Schönes ist. Aber es ist natürlich auch sehr gefährlich, vielleicht war es deswegen verboten. 

Jetzt hat es gleich gar kein Halten mehr gegeben. Die Vreni ist zu den Nachbarn gelaufen und hat in die Sprechanlagen gerufen: „Der Huber hat ein Loch. Wir haben ein Loch. Das letzte Loch“. 
Und es sind immer mehr geworden mit ihren Masken und Schutzanzügen, trotz allem, weil sie das letzte Loch sehen wollten. 
Der Huber war sehr stolz auf sein Loch. Aber er hat auch gesagt, dass wir nicht so umeinander plärren sollen, weil sonst gibt es noch einen Aufruhr und die Polizei kann kommen und alles. 
Deswegen haben wir ein bissel leiser geredet. Unter den Masken. Und nicht so laut geschnauft. (Ich habe immer laut schnaufen müssen unter der Maske.)
Aber jeder hat eine Meinung zu dem Huber seinem Loch gehabt. Die einen wollten es gleich wieder zuschütten, weil es zu gefährlich ist und weil die Leute reden, und dann gibt es Scherereien. Die anderen haben gemeint, man muss es erst einmal genau untersuchen. 

Und jetzt war auch die Frage: Wo kommt so ein Loch plötzlich her? Der Meier hat gemeint, es wär’ schon immer da gewesen, der Huber hätte es nur versteckt. Aber der Meier ist eine Drecksau, glauben Sie dem gar nichts. Die Vreni hat gesagt, dass das erst einmal Wurscht ist, und wir vielleicht eine Taschenlampe oder ein Handy mit Licht oder so was nötig haben täten und einfach einmal hinein leuchten, in das Loch. 
Das war vielleicht eine gute Idee. Bloß dass es einer hätte machen müssen. 
Es ist aber keiner näher als so ungefähr drei Meter an das Loch hingegangen. Und dann hat der Kare eine andere Idee gehabt. Nämlich dass wir einen Stein nehmen und in das Loch hinein werfen, dass wir dann vielleicht schon merken, wie tief dass das Loch ist. Die Leute haben die Idee so gut gefunden, dass der Kare selber einen Stein hat nehmen dürfen – weil Steine hat es noch genug gegeben, im Gegensatz zu Löchern – und ihn eigenhändig hinein werfen. 
Das hat er dann auch gemacht, der Kare. Aber nichts war es. 
Entweder war das Loch so tief, dass man nicht mehr gehört hat, wie der Stein unten aufkommt, oder das Loch war so weich, dass ein Stein keinen Schebberer macht. 
Jetzt waren wir so schlau wie zuvor. Der Kare hat es noch einmal probiert, und dann noch einmal. Aber nichts. 

Jetzt hat der Sepp, also der Hinterhofer-Sepp, nicht der Sepp von der Kontrollstelle, dass da keine Missverständnisse aufkommen, der Sepp hat so eine Stange genommen, wo man immer seine Selfies macht, und da hat er sein Handy drangemacht und ist ganz vorsichtig an das Loch heran und dann hat er das Loch geknippst. Und dann haben wir uns das Bild anschauen können.
Also das war ein Beweis! Es hat sich einwandfrei um ein Loch gehandelt. Das hat man ganz deutlich gesehen. 
Aber mehr auch nicht. 
Jetzt haben wir ein Loch gehabt und nicht gewusst, was man damit anfangen soll. 
Wir haben natürlich überlegen müssen, ob wir das Loch geheim halten oder ob wir es allen zeigen sollen. 
Man weiß ja nie. 
Das Schöne ist ja: Ein Loch kann einem niemand wegnehmen. 

Wenn ein Loch einmal da ist, dann bleibt es auch da. Es sei denn, es wird zugeschüttet, dann ist es ein gewesenes Loch. Gewesene Löcher haben wir noch aus der Kindheit gekannt. Aber gewesene Löcher sind natürlich nur halb so interessant.
Außerdem hat es angefangen, dunkel zu werden, und in der Dunkelheit sieht man ein Loch nicht mehr. In der Nacht sieht man keine Löcher, weil vielleicht das Licht dann ein riesengroßes Loch hat. Aber hinein fallen kann man auch in der Nacht, in so ein Loch. Da sieht man, wie kompliziert alles ist.
Deswegen haben wir gesagt, dass wir heimgehen und überlegen sollen und morgen kommen wir wieder zusammen und jeder sagt, was er sich überlegt hat. Nur der Meier soll sein Maul halten, und der Huber hat gesagt, wenn der Meier wem was sagt, dann haut er ihm das Kreuz ab, und da ist er ganz stad worden, der Meier. 
Da sind wir heim gegangen, und ich habe ganz vergessen, dass etwas unvergessliches im Fernsehen gekommen ist. 

                                                                               II

Früher, hat der Großvater gesagt, früher hat es viele Löcher gegeben. Da hat man wegen einem Loch gar nicht groß rumgetan; wegen so einem Loch ist man nicht einmal extra vor die Tür gegangen. Aber da sieht man, wie sich die Zeiten ändern. 
Obwohl es noch gar nicht so lange her ist, kann man sich schon gar nicht mehr erinnern wie die Welt noch voller Löcher war. 
Ich weiß gar nicht, ob es verboten ist, weil es keine Löcher mehr gibt, oder ob es keine Löcher mehr gibt, weil es verboten ist.
Kein Mensch würde jetzt hinaus gehen und ein Loch graben.
Was schade ist, hat der Großvater gesagt, weil Löcher graben doch immer eine rechte Mordsgaudi war. Wenn er sich richtig erinnert.
Der Vater hat davon nichts wissen wollen. So ein Loch ist eine Riesensauerei, weil wenn die einen eins haben, dann wollen die anderen auch eins. Und dann fängt das an, wer das größere Loch hat, und das gibt dann Mord und Totschlag. Und wir haben weiß Gott andere Sorgen. 

Ja mei, hat die Mutter gesagt, aber wer hat denn jetzt das Loch da hin gemacht, mitten im Huber seinen Garten. Und das war wirklich eine gute Frage, weil wer hält es denn überhaupt so lange aus, draußen, dass er ein ganzes Loch graben kann. Wegen den Viren und dem Klima und alles. 
Und wer ist so blöd, grad jetzt ein Loch zu graben, wo man doch schon froh sein muss, wenn eine Begonie wächst, oder ein Radieserl. Man muss es ja nicht gleich essen. 

Ein Loch hat die Vreni ganz hintersinnig gesagt, ist ja eigentlich gar nichts. Es ist bloß das Außenrum, dass aus gar nichts ein Loch wird. 
Das hat uns aber auch nicht weiter geholfen. 
Es ist nämlich so, dass ein Loch auch ein Abgrund ist. Und wer da hinein schaut, mein lieber Schwan. 

Aber jetzt ist das Loch halt einmal da. Da kann man nicht drum rum diskutieren. Und der Huber ist ein guter Nachbar, man kann schon fast sagen ein Freund. Da können wir nicht so tun, als wenn uns das nichts angehen täte.
Ein so guter Freund jetzt auch wieder nicht. Hat der Vater gesagt. Er hat immer noch meine Rohrzange. Und die hätte ich neulich gebraucht.
Was eine Rohrzange mit einem Loch zu tun hätte, hat die Mutter gefragt, und der Vater hat gesagt, er meint ja nur. 

Ein Loch ist keine Privatsache. Ein Loch geht uns alle an. 
Da wäre ich vorsichtig, hat der Großvater gemeint. Weil wenn erst einmal alle kommen, dann wird das schon so eine Sache. Dann wird geschubst und gedrängelt, und dann heißt es wieder, wir sind schuld. Wenn einer hineinfällt. In das Loch. 

Ich habe gesagt, ich täte als erstes einen Zaun um das Loch machen. Und dann ein Schild. „Eltern haften für ihre Kinder“. 
Man müsste aber wissen, wer das bezahlen soll. Und außerdem kann doch nicht ein jeder einfach so ein Schild hinstellen. „Eltern haften für ihre Kinder“. 
Man haftet eh sein ganzes Leben, hat der Großvater gemeint, und einen tiefen Seufzerer getan. Für irgendwas oder irgendwen haftet man immer. Wenn ich in meinem Leben nicht hätt’ so viel haften müssen, dann würde ich heute ganz anders dastehen. Aber nichts. Da haftet man, und da haftet man, und dann haftet man noch einmal, und irgendwann merkt man, dass das Leben bald vorbei ist, und man hat es nicht gemerkt vor lauter Hafterei. 

Jetzt, wer haftet für ein solchenes Loch?
Ja der Huber, das ist schließlich sein Garten.
Aber er war’s doch nicht. Er kann ja nichts für sein Loch. 
Dann ist es der Staat. 
Dann muss man es ihm aber auch sagen, dem Staat, dass da ein Loch ist. Das letzte Loch.

Man sollte zuerst ein Schild aufstellen. „Wir übernehmen keine Haftung“. Das ist dann nicht nur für Eltern sondern überhaupt. 
Aber ich glaube nicht, dass man so ohne weiteres keine Haftung übernehmen kann. Man kann ja auch keinen Stein auf einen Radlweg legen und ein Schild hinstellen, dass man keine Haftung übernimmt.
Was redest denn! Der Huber hat das Loch doch nicht gegraben. 
Sagt er! Einem Mann, der eine Rohrzange nicht zurückgibt, wenn man eine braucht, dem ist doch alles zuzutrauen.
Der Huber kann so ein Loch gar nicht graben. Kein Mensch kann so ein Loch graben. 
Das ist wahr. Vielleicht sind es Außerirdische.

Das hat mir besonders gefallen. Die Löcher vom anderen Stern. Oder, nach der Pandemie, nach der Klimakrise, jetzt die neue Katastrophe. Der Emmenthaler-Planet. Sie kamen um zu bohren. Grüne schlabbrige Gestalten mit Bohrern auf dem Kopf. Die Erdfresser kommen. 
Aber ich habe lieber nichts gesagt. Weil dann heißt es wieder wegen dem Schund, und ich soll lieber Hausaufgaben machen, dass etwas wird aus mir. Auch wenn es nicht ausgemacht ist, dass es sich überhaupt noch rentiert, dass aus einem etwas wird. Und dann könnt’ man sich auch die Hausaufgaben sparen. 

Der Vater hat gemeint, er schlägt vor dass wir ein Komitee bilden. oder einen Verein, wegen der Steuer. Und dann wählen wir einen Vorsitzenden, und zwei Stellvertreter – oder natürlich Stellvertreterinnen, er ist ja nicht so – und einen Schatzmeister und dann kriegen wir das Problem schon hin, mit dem Loch. 
Die Mutter hat gemeint, dass das viel zu lange dauert, und dass es dann sowieso wieder nur ums Saufen geht. Das kennt sie schon, mit den Vereinen. 
Die Saufen wie die Löcher, hat die Vreni gesagt.

Das ist eine Idee, ist dem Vater eingefallen. Wir wissen ja gar nicht, was es will, das Loch. Vielleicht hat es einfach einen Durst.
Oder Hunger. 
Ob ein Loch ein Bier mag? 
Oder eine Leberkässemmel?
Vielleicht, dass man so ein Zutrauen gewinnt. Wie bei einem Hund.
Ein Loch ist kein Hund.
Ein Loch ist nichts, hast du selber gesagt. Es kommt ganz auf die Umgebung an. 
Ja, willst vielleicht reden mit dem Loch?
Naja, vielleicht ist ja jemand drin, in dem Loch.
Jetzt, wo du es sagst, kommt mir das auch deppert vor, dass wir das Loch so einfach allein lassen. 
Ja, man weiß ja nicht, was so ein Loch anstellt, wenn es sich unbeobachtet fühlt.
Oder dass es einsam ist und eine Angst hat. Weil, wir wissen vielleicht, dass Menschen vor Löchern Angst haben. Aber vielleicht haben ja auch Löcher Angst vor Menschen. Oder sie haben Angst, wenn keine Menschen da sind, das kann gut sein. Ich, wenn ich ein Loch wäre, ich hätte eine Mordsangst.

Zu meiner Zeit, hat der Großvater gesagt, waren Löcher noch sehr verlässlich. Da hast du am Abend ein Loch stehen lassen können, und wenn du am Morgen wieder gekommen bist, war es genau so noch da wie vorher. Ich bin sogar einmal in Urlaub nach Italien gefahren und hab ein Loch daheim gelassen. Ist nichts passiert damit. 

Ach, hat die Mutter gemeint, nach Italien würde ich auch gern wieder einmal fahren. 
Ich wäre ja schon froh, wenn man wieder einmal an die Isar könnt.
Ob die Isar noch da ist?
Ja, wenn es doch keine Löcher mehr gibt, dann kann die Isar auch nicht verschwinden.
Die Isar muss gar nicht verschwinden, sie braucht ja bloß nicht mehr kommen, und dann haben wir den Dreck. 
Kruzifix! Italien. Isar. Wir haben ein Loch. Merkt euch das.

Es ist dann noch eine Zeit lang so hin und her gegangen, aber das habe ich nicht mehr gehört, weil ich bin eingeschlafen. Fragen’s mich nicht, was ich geträumt hab.

                                                                               III

Die ganzen Nachbarn werden in der Nacht vom Loch geträumt haben, stelle ich mir vor. Wie wir uns am nächsten Tag wieder getroffen haben, war das Loch noch da. Und alle haben ausgeschaut, als wenn sie schlecht geschlafen hätten, und waren grantig und müd und alles. Der Vater hat wieder mit seinem Komitee angefangen und der Huber hat das eine gute Idee gefunden, weil er hat vielleicht dann nicht mehr die alleinige Verantwortung. 

Dann ist das Loch-Komitee gegründet worden, und der Vater ist zum Vorsitzenden gewählt worden, das hätt’ ich mir denken können, und der Huber und der Meier sind die Stellvertreter geworden, weil keine Frau mitmachen wollte in dem Loch-Komitee. Aber zum Schluss hat jeder eine Aufgabe gehabt, und ich, ich war der zweite Protokollführer, obwohl ich doch bloß eine vier in Rechtschreibung habe, wegen dem Hoom Schooling und alles. 

Und dann hat man gleich die erste Sitzung einberufen, und richtig hat man auch gleich um ein, zwei Tragerl Bier geschickt, zum Getränkemarkt, was komischerweis der zweite Protokollführer hat machen müssen, also zu Getränke Hoffmann laufen und sagen, dass drei Tragerl Bier zum Huber seinen Garten gebracht werden, aber pssst und schnell, und wie ich wieder zurück gekommen bin, haben der Huber und der Meier schon das Raufen angefangen, und der Huber hat aus der Nase geblutet und der Meier hat ein ganz dunkles Auge gehabt, und geschnauft und geschrien haben die, mich leckst du am Arsch sagt man nicht. „Wir sind die Nachbarn, wir regeln das unter uns, wir gehören zusammen“, hat der Huber geschrien, bevor ihm der Meier wieder eine hineingezündet hat, und der Meier hat geschrien, „das ist eine Sache für die Polizei und die Behörden, wo kommen wir hin“, und der Huber hat ihm gleich drauf ein Haarbüschel ausgerissen. 

Dann sind die andern doch dazwischengegangen, und der Huber und der Meier waren vielleicht ganz froh, weil sie haben eh nicht mehr gekonnt, das weiß ich aus Erfahrung, dass man vom Raufen fix und fertig wird. Aber es waren halt doch zwei Parteien, und die einen haben gesagt, das Loch, das ist unsere Sache, und das regeln wir selber, und die andern haben gesagt, das geht alle an, und da muss eine Autorität von oben her, weil das Loch ist einfach zu groß für uns.

Beinahe hätte es jetzt eine Massenrauferei gegeben, aber dann ist der Typ von Getränke Hoffmann gekommen, und es hat ein Bier gegeben und dann sind alle erst einmal ruhiger geworden. Bloß ist es dann ums Bezahlen gegangen, und dann hat das Komitee beim Sepp, also jetzt dem Sepp vom Kontrollbüro, und nicht beim Hinterhofer-Sepp, dass da keine Missverständnisse aufkommen, ein Darlehen über 56.- Euro aufgenommen, und der Vater hat ein Trinkgeld draufgelegt, rein privat, das hat er von seinem Vereinsleben so gekannt, und da hat die Mutter böse geschaut. 

Und wie alle ihr Bier gehabt haben, und es hätte ein wirklich lustiger Tag werden können, da hat irgendwer gesagt, ich weiß nicht mehr wer es war: „Das wir fei auf das Loch nicht vergessen“. 
Jetzt war die Stimmung nicht mehr so gut. Weil das Loch war ja einfach nicht verschwunden, das Loch war da und hat sich nicht von der Stelle gerührt. 
Gesagt hat es aber auch nichts, das Loch. 

Das Komitee hat dann beschlossen, also nicht gerade einstimmig, aber immerhin, dass man, bevor man Weiteres in Erwägung zieht, ein paar Versuche unternimmt. Das hat er wieder schön gesagt, der Vater, der ist, glaube ich, ein geborener Vorsitzender. Ich glaube, wenn ich groß bin, mache ich was anderes, weil Vorsitzender sein ist irgendwie fad und man muss so komisch daherreden.

Jetzt haben wir also ein altes Ding, was eine Musik abspielen hat können, an einer langen Angel in das Loch hinein gelassen. Ganz vorsichtig. 
Es hat „Oh du lieber Augustin“ gespielt, also das von Gus Backus gesungen. Kennen Sie noch Gus Backus? Ich auch nicht. Aber das war mein Großvater, weil der ist im Komitee der Beauftragte für Musik geworden. Nicht dass mein Großvater noch Gus Backus hätte gekannt, er hat bloß einen komischen Geschmack. Und man hat gedacht, wenn da unten jemand ist, dann wird er von sowas garantiert aufwachen. 
Es ist aber niemand im Loch aufgewacht, auch von „Oh du lieber Augustin“ von Gus Backus nicht. 

Dann hat man etwas anderes probiert.
Die Frau Reinthaler hat einen Stein an eine Vorhangleine gebunden und den dann hineingeworfen in das Loch. Aber die Vorhangleine war nicht so lang wie sie gedacht hat oder das Loch war tiefer als wie eine Vorhangleine. Oder, hat die Vreni gesagt. Oder was? Ja mei, vielleicht ist es ein lebendiges Loch, das wird immer tiefer, je mehr man daran herum macht. Dazu ist niemandem was Schlaues eingefallen, und deswegen sind wir auch an diesem Abend wieder heimgegangen. Das Bier, glaub ich, war eh ausgetrunken.

                                                                             IV

Am nächsten Tag ist ein Inspektor gekommen, oder ein Kommissar oder was, und eine Assistentin hat er dabei gehabt, die hat einen besonderen Schutzanzug angehabt. Und der Kommissar oder was hat uns gefragt, ob wir was wissen, und wir sollen ja nicht sagen, dass wir nichts wissen, weil er das schon wissen täte, dass die Leute nichts wissen. Aber wir haben wirklich nichts gewusst. 

Wir haben nicht einmal gewusst, was man wissen hätte können. Oder sollen. Oder dürfen. Es war halt auf einmal das Loch da. Und wir haben uns schon gedacht, dass es das letzte Loch ist. Aber gewusst haben wir es nicht. 
Weil es ist ein Unterschied ob man sich was denkt, oder ob man was weiß. Und gewusst haben wir nichts. 
Das hat den Inspektor so geärgert, dass er gesagt hat, dass wir alle verdächtig sind. Es ist nicht schön wenn man verdächtig ist. Auch wenn man gar nichts gemacht hat. 

So ein Loch, hat der Mann von der Polizei gesagt, ich weiß nicht, war es ein Inspektor oder ein Kommissar, er hat seinen Ausweis gar nicht gezeigt, jetzt, wo ich dran denke, so ein Loch kommt nicht von allein da hin. Und mit so einem Loch, das spürt er genau, hat er gesagt, da hat jemand was vor. 
Vielleicht ist es was Politisches, vielleicht ist es bloß kriminell. Aber er kommt uns schon noch darauf.
Und er hat dem Huber seinen ganzen Garten untersucht, die schönen Begonien und die Radieserl und alles. Und die Assistentin oder war das was wissenschaftliches, die ist ganz nahe an das Loch hin, dass ich schon gemeint habe, sie fällt hinein. Aber sie war dann doch sehr vernünftig.

Wie sie miteinander geredet haben, der Kommissar und die Wissenschaftlerin oder was, da hat man gleich gesehen, dass sie nicht zufrieden waren mit der Gesamtsituation. Mei, haben die bös geschaut.
Und dann haben sie eine Infrarotaufnahme oder was gemacht, und man hat eigentlich gar nichts gesehen. Und sie sind auch nicht besserer Laune geworden.
Der Kommissar hat gesagt, dass der Staatssekretär schon angerufen hat, und die Assistentin hat gesagt, dass sie doch nicht umsonst studiert hat, und dass sie sich mit Löchern schon auskennen täte, bloß halt mit diesem Loch nicht, das eigentlich gar nicht da sein hätte dürfen.
Das Loch ist mir ein Rätsel, hat sie gesagt.

Dann haben sie alle ihre Apparate wieder eingepackt, und bloß der Kommissar ist dageblieben und hat uns alle in einem Hausflur versammelt, dass man sich vorgekommen ist wie in einem Krimi, wo der Detektiv am Ende dann weiß, wer der Mörder ist.
Aber bei uns war ja kein Mörder. Bloß ein Loch im Huber seinen Garten. 

Der Kommissar hat gesagt, dass es nur eine Verschwörung sein kann, und dass er nur wissen will, wer die Hintermänner sind, ob jetzt von China oder von Russland oder was. Jeden einzelnen hat er genau angeschaut, und dann hat man seinen Namen sagen müssen, und seinen Beruf, und was man mit dem Huber zu tun hätte. 
Der Vater hat gesagt, dass er mit dem Huber eigentlich nichts weiter zu tun hat gehabt, nur aus Nachbarschaftsgründen hätt er ihm halt eine Rohrzange geliehen, die hat er bis heute nicht zurück bekommen. Und da hat der Inspektor gesagt: „Aha!“

„Was willst du jetzt mit deiner Scheißrohrzange“, hat der Huber gegiftet, und der Vater hat gesagt, dass er sich streng an die Fakten hält, weil man das so macht, wenn eine polizeiliche Ermittlung gemacht wird. Und dass er als Vorsitzende des Komitees immer mit den Behörden zusammen arbeiten täte. Das hätte er auch schon im Ortsverein so gemacht. Aber ich weiß von der Mutter, dass die im Ortsverein überhaupt nichts mit den Behörden im Sinn gehabt haben, sondern vor allem gescheit daher geredet und Bier getrunken haben. 
Der Huber war ja nicht im Ortsverein. Das heißt, er war schon im Ortsverein, aber in dem anderen. Wahrscheinlich haben die auch gescheit daher geredet und Bier getrunken. 
Die Frauen haben ihren eigenen Ortsverein gehabt. Also die einen den und die anderen den anderen. Und da ist die Mutter auch immer recht gut gelaunt nacht Hause gekommen, und hat dem Vater gesagt, dass sie schon weiß, dass er ein Depp ist, der wo sich überall aufspielen muss. 

Vor lauter Nachdenken über die Ortsvereine hab ich gar nicht gemerkt, dass der Kommissar jetzt mich angeschaut hat und meinen Namen hat wissen wollen. Ich bin so erschrocken, dass er mir gar nicht gleich eingefallen ist. Und ich hab bloß gesagt: „Das Loch ist fei nicht von mir“. 
Ein paar haben dann gelacht, ich weiß auch nicht wieso.
Ich kann das beschwören, dass das Loch nicht von mir gewesen ist. 

Einer von den Polizisten, die den Inspektor haben begleiten müssen, hat das alles in ein kleines Bücherl hinein geschrieben, und ein anderer hat etwas in ein Handy hinein gesagt. Jetzt war das also  amtlich, dass das nicht mein Loch gewesen ist. Weil da wäre der Vater ja schön dagestanden, mit seinem Ortsverein und dem Komitee und alles, wenn der eigene Sohn ein Loch im Huber seinen Garten gemacht hätte.

Am Abend hat der Vater erzählt, dass er schon, wie er so alt war wie ich, Löcher gegraben hat mit seinen Spezeln. Jetzt nicht ganz so tiefe vielleicht. So ein Loch, hat er gesagt, war für uns was Heiliges und ein Geheimnis. Das hat niemand verraten dürfen außer das war ein Spion oder eine Drecksau oder was. 
Aber natürlich. Das waren ganz andere Zeiten. Und ganz andere Löcher.

                                                                              V

Über das Virus und das Klima und alles ist viel im Fernsehen gekommen, damals. Aber über unser Loch haben sie nichts gebracht. Weil das war ja auch geheim. Wir haben jetzt in unseren Wohnungen bleiben müssen, und der Vreni ist schon recht fad gewesen und sie hat gesagt, das ist wie in einem Gulasch. Aber das hab ich nicht verstanden, wie sie das meint mit einem Gulasch. Vielleicht das alles so zusammen pappt. In einem Kochtopf oder so.

Ich hab ein Raumschiff aus Lego gebaut. Wie ich es der Mutter zeigen wollte, ist es zerbrochen. Ja, so geht es zu im Leben, hat sie gesagt. Sie hat ja eh dauernd aus dem Fenster schauen müssen. Wegen dem Loch, und ob etwas damit passiert. 
Mit dem Loch ist aber überhaupt nichts passiert. Es ist schon komisch, wie viel passieren kann mit irgendwas, mit dem gar nichts passiert. 

Da habe ich mich hingesetzt und hab angefangen das Loch zum zeichnen. Jetzt, wie zeichnet man ein Loch? Wenn man drauf schaut, ist es einfach ein Kreis mit ganz schwarz drinnen. Das ist echt fad. Drum hab ich gedacht, ich zeichne das, was vielleicht drin ist. Es ist also ein langer Schlauch geworden. Lang und mit Kurven. Und dann war da eine Höhle. Und da ist einer drin gesessen. Einer der wartet. Ich hab damals nicht so zeichnen können. Na, ich sag’s wie’s ist, ich kann immer noch nicht viel besser zeichnen. Ich probier’s bloß lieber gar nicht. 

Jedenfalls hab ich da in der Höhle am Ende von dem Schlauch, der wo eigentlich das Loch war, ein Mannschgerl gezeichnet. In blau und rot. Das weiß ich noch. Und auf einmal hab ich gemerkt, dass ich das selber bin, das Mannschgerl.
Jetzt stellen Sie sich das vor. Wir haben ein Loch im Huber seinem Garten, und wer sitzt da drin?
Ich habe das lieber keinem gezeigt. Es ist mir irgendwie unheimlich gewesen. Ich habe mit Schwarz drübergekritzelt, dass man das nicht mehr hat sehen können mit mir und dem Loch. 

Und dann hat die Vreni gesagt, sie hält es nicht mehr aus und sie will jetzt hinaus und sich das Loch selber anschauen. Scheiß drauf.
Hat die Vreni gesagt. Ich sag das lieber nicht, weil immer krieg ich die Watschen, egal was ist. 
Kommst mit? Hat die Vreni gefragt. Und ich habe Angst gehabt, aber ein Angsthase wollte ich auch nicht sein. Deshalb hab ich ja gesagt. Ich glaub das war ein Fehler. 

Wir haben uns fest angezogen, und natürlich Maske und alles, und die Vreni hat ein langes Seil aus der Garage geholt. Das war noch aus der Zeit, wo man draußen Wäsche hat aufhängen können. Und am Ende von dem Seil hat sie so einen Gummiknochen hin gebunden. Der war noch von unserem Hund. An den kann ich mich kaum erinnern. Früher haben viele Menschen Hunde gehabt, gerade wie das angefangen ist, mit Pandemie und Virus und Klima und alles, da haben viele Menschen gesagt, wenn ich einen Hund hab, dann komm ich auf jeden Fall an die frische Luft, und dann bin ich nie allein. Und da hat man dann fast nur noch Leute mit kleinen Kindern oder mit Hunden auf der Straße gesehen. Aber das war auch schnell vorbei. Ich möchte mal wissen, wo die ganzen Hunde geblieben sind. Bei den Kindern weiß ich es. Ich war ja selber eins. 

Wenn es jetzt dunkel wird, hat die Vreni gesagt, dann schleichen wir uns aus dem Haus. Aber dass du fei ja keinen Lärm machst. Wir reden kein Wort, verstehst? Und ich bloß mit dem Kopf genickt. Und schlucken hab ich auch gemusst. 
Und dann ist die Vreni noch an den alten Schuhkasten gegangen und hat nach einer Schuhcreme gegruschelt. Und dann sie so eine Dose gefunden mit schwarzem Zeugs drin, und sie hat angefangen mein Gesicht damit einzuschmieren. Ich wollt schon was sagen, aber ich habe ja gesagt, dass ich nichts sag, Und dann hat die Vreni auch ihr eigenes Gesicht angemalt. 
Jetzt haben wir selber ausgeschaut wie Löcher. 
Und dann hat die Vreni noch so ein Fläschchen eingesteckt, das war ein Pfefferspray. Man weiß ja nicht, was da kommen kann aus so einem Loch. Mir ist gerade noch eingefallen, wie ich das gezeichnet hab, und dann hab ich gedacht, dass es sehr komisch wäre, wenn ich dann selber aus dem Loch käm und die Vreni mich mit Pfefferspray spritzt. 
Davon kann man blind werden, das weiß ich.

Wie es langsam dunkel geworden ist, haben wir wirklich ganz, ganz vorsichtig die Tür aufgemacht und sind hinaus, und immer an der Wand und leise und vorsichtig und langsam und alles, bis hin zum Zaun vom Huber seinen Garten. Und sind dann drüber geklettert.
Da habe ich mir die Hose zerrissen.
Das fangt ja gut an, habe ich gedacht.

Die Vreni hat noch gewusst, wo das Loch ist. Das war schon gut, weil ich, ich wäre wahrscheinlich direkt hinein gefallen. Ich weiß nicht, vielleicht hat man es auch irgendwie spüren können, das Loch. 
Dann sind wir ganz schön nah gewesen. Es hat mich ein bissel gegraust. Aber ich hab nichts gesagt.
Und die Vreni hat das Seil gepackt und den Gummiknochen geworfen und wollt damit das Loch treffen. Zuerst ist das nicht gegangen. „Kruzifix“, hat die Vreni geflucht. Und ich hab „Pssst“ gemacht, weil wir doch ausgemacht haben, dass wir nichts reden. Und die Vreni war auch schon wieder still und hat es noch einmal probiert. 

Irgendwann war der Knochen wirklich weg. Sie hat das Seil so bewegt, wie so ein Cowboy mit seinem Lasso, und es ist wirklich mit jedem Ruck mehr verschwunden. Der Gummiknochen war im Loch und ist immer tiefer hinuntergekommen, je mehr die Vreni geruckelt hat. 
Ich hab es bald nicht mehr ausgehalten, so spannend war das. Vielleicht wär ja ein Monster herausgekommen, das nach so einem Gummiknochen geschnappt hätte. Monster stehen auf Gummiknochen, glaub ich. Sie fressen ja auch ganze Menschen. 
Aber dann ist etwas ganz anderes passiert. 

Auf einmal ist der Huber hinter uns gestanden, mit einer Lampe und hat uns angeleuchtet, und geschrien: Was macht ihr da an meinem Loch. Auf einmal war es wieder sein Loch. Und erst wollt er mich festhalten und dann hat er doch lieber die Vreni festgehalten und „So, wen haben wir denn da“ gerufen und sie so fest angepackt, dass sie geschrien hat. Und dann habe ich dem Huber gegen das Schienbein getreten.
Wir haben uns ja fest angezogen gehabt. Das hab ich schon erzählt, glaube ich.
Der Huber hat erst ein Mordsgeschrei und dann die Vreni losgelassen. Die hat schon das Pfefferspray in der Hand gehabt. Aber klar, einen Nachbarn darf man nicht so ohne weiteres verpfeffern, auch wenn er eine Maske auf hat. 

Wir wollten schon abhauen, aber beim Zaun hat er uns wieder gehabt, der Huber, und jetzt hat er mich erwischt, und mich links und rechts verwatscht, dass es mir finster vor den Augen geworden wäre, wenn es nicht sowieso finster gewesen wäre. 
Jetzt hat ihn die Vreni von hinten in den Arm gezwickt. Kennen Sie das, wenn man in den Arm gezwickt wird?

Und der Huber hat um sich gehaut wie ein Wilder. Und auf einmal bin ich weg gewesen. Und gefallen und gefallen und gefallen. In ein dunkles, schwarzes Loch. Nur an den Wänden hat es manchmal geblitzt, und da habe ich gewusst, das können nur Diamanten sein, und manchmal hat es gespritzt und es war rot, und das hat natürlich nur Blut sein können. Blut und Diamanten sind in einem Buch vorgekommen, das ich unlängst gelesen habe. 
Und ich bin weiter und weiter gefallen. 

Auf einmal war es gar nicht mehr Fallen sondern schon mehr eine Art Fliegen. Das hat mir gefallen.
Bloß die dicken, fetten Kröten, die jetzt auf den Seiten aufgetaucht sind und furchtbar gequakt haben, die haben mir nicht gefallen. Und dann sind auch noch Schlangen gekommen. Und Eidechsen.
Und die haben angefangen zu singen. 

„Hänschen klein
Fiel allein
In ein tiefes Loch hinein.
Fliegt so lang
Ist nicht bang
Fühlt sich ohne Zwang
Aber Mutter weinet sehr
Hans ist für das Loch zu schwer
Gibt keine Wiederkehr“

Und wie sie alle wieder verschwunden waren, die Kröten und die Schlangen und die Eidechsen, da habe ich ein Licht gesehen.

Und da war es der Huber mit seiner Scheißlampe, die er mir mitten ins Gesicht gehalten hat. Und neben ihm sind lauter Nachbarn gestanden. Und alle haben sie durcheinander geschrien. Und der Vater und die Mutter waren auch da, und haben gesagt, dass wir nur warten sollen, bis wir daheim sind. Da wäre ich lieber weiter in das letzte Loch hinein gefallen, aber ich habe natürlich einsehen müssen, dass das nur ein Traum war, weil ich vom letzten Trumm Watschen ohnmächtig geworden bin. Und deswegen hat der Vater nicht nur mich und die Vreni ausgeschimpft, grad die Vreni, die doch die ältere und vernünftigere hätte sein müssen, sondern er ist auch auf den Huber los, weil er seine Kinder schon immer noch selber verhaut, das soll er sich merken. 
Und die Rohrzange braucht er gar nicht erst mehr zurück geben, da kann er sich an den Hut stecken, weil das keine Freundschaft ist, wenn man eine Rohrzange nicht zurückgibt und fremde Kinder verhaut. 

Schleicht euch, alle miteinander! Hat der Huber noch gerufen. Weil wenn er in das Loch hineinfällt, dann bin womöglich noch ich verantwortlich, wo ich doch extra aufpasse, und wenn dann solche Rotzlöffel vom Nachbarn kommen. 
Das Loch macht uns noch alle krank, hat eine Nachbarin noch gesagt. Dann haben sich wirklich alle geschlichen.

Daheim hat es Zeter und Mordio gegeben, aber ich hab ehrlich gesagt gar nicht mehr viel davon mit gekriegt, weil ich war total fertig. Von dem Träumen, von dem Loch, vom Huber und von allem.
Und die Vreni war wieder einmal bockig. Wenn alle so feige Arschlöcher sind, muss sie noch lange kein feiges Arschloch sein. Und dann hat sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und ganz laut „Rebel Rebel“ spielen lassen. 
Wie sie noch geschrien und geheult haben, bin ich auf dem Sofa schon eingeschlafen gewesen. Deswegen weiß ich nicht, was in der Nacht noch alles passiert ist. Vielleicht ist ja auch gar nichts mehr passiert. 

                                                                             VI

Jetzt war das Loch natürlich keine Privatsache mehr. Der Kommissar und die Assistentin oder was haben gesagt, sie haben es ihren Vorgesetzten weitergegeben, und jetzt wird man schon sehen. Also hat man uns gesagt, dass das letzte Loch ein Staatsgeheimnis ist und das müssten wir doch einsehen, dass wir nicht einfach so mit einem Staatsgeheimnis umeinanderlaufen könnten, wo käme man da hin. Und schon die Kinder. 

Und deshalb hat man eine Grenze um unsere Nachbarschaft gezogen, wo jeder, der irgendwas von dem Loch im Huber seinen Garten gewusst hat oder auch nur vielleicht hätte gewusst haben können, nicht hinaus und auch keiner hinein hat können. Den Polizisten und den Polizistinnen hat man gesagt, es wäre wegen der Viren oder so. Deshalb haben sie auch nicht mit uns sprechen wollen, sondern immer nur mit ihren Maschinenpistolen gedeutet, und sie waren überhaupt nicht freundlich. Einmal ist eine Polizistin bei uns in de Schule gekommen, die uns gezeigt hat, was man macht wegen der Viren und dem Klima und alles. Die war sehr nett. Komisch, aber die, die wo uns eingesperrt und alle anderen ausgesperrt haben, die waren gar nicht nett.

Aber wir haben uns halt eingerichtet. Weil zum Essen und zum Trinken haben wir genug bekommen. Sogar ein Bier, aber das hat für eine gescheite Komitee-Sitzung natürlich hinten und vorne nicht gelangt. 

Jetzt waren wir allein mit unserem Loch. Es hat kein Telefon mehr gegeben, und auch die Handys haben alle abgeben müssen. Wenn einer mit einem Handy oder einem Computer oder so was erwischt worden wäre, das wäre ihm teuer zu stehen gekommen, da leckst du mich am Arsch sagt man nicht. Das lustige war, dass sie bei manchen das ganze Haus auseinandernehmen haben müssen, weil das nämlich Schmart homms waren. Da können die Kühlschränke telefonieren, und von den Fernsehern und den Radios hat man gar nicht erst reden wollen. 

Sie haben uns einfach alles genommen, was irgendwie nach draußen etwas durchsickern hätte können. Die Mutter hat dann nicht einmal mehr einen gescheiten Herd gehabt, und der Vater hat keine Bundesliga mehr schauen können. 
Jetzt sind wir wie die Steinzeitmenschen hat eine gesagt. Bloss dass wir jetzt keine Dinosaurier jagen müssen oder keine Mammuts oder was. Sondern das Essen ist uns immer noch gebracht worden. 

Dann hat man uns einen Brief von der Präsidentin vorgelesen. Darin ist gestanden, dass es keine Löcher mehr geben kann. Das müssten wir doch einsehen. Wir müssten für unsere Mitmenschen erkennen, dass wir uns das Loch nur eingebildet haben. Oder vielleicht waren es Kinder. 
Es ist nämlich schon schwer genug mit den ganzen Viren und dem Klima, da könnte man jetzt nicht noch ein Loch gebrauchen. 
Man sollte überhaupt nicht bloss das Loch, sondern jeden Gedanken an das Loch unterbinden. Das wäre gesund. Und staatsbürgerlich. 
Bis wir das einsehen, müsste man halt die erforderlichen Maßnahmen. Das wäre auch Gesetz. Vor allem aber Verantwortung. 
Wir sollten zur Vernunft kommen. 
Dann könnten wir vielleicht auch wieder verreisen, telefonieren und fernsehen. Man müsste dann nur eine Mauer um dem Huber sein Grundstück bauen lassen, und der Huber würde natürlich ein anderes Haus bekommen. 

Aber das Scheißloch ist halt einmal da, hat einer gesagt. Wie kann man sagen, dass es kein Loch gibt, wenn man es doch mit eigenen Augen gesehen hat. 
Und die Vreni hat mir zugezwinkert und gesagt: So jetzt konzentrierst du dich ganz fest und denkst nicht an das Loch im Huber seinen Garten. Und ich hab mich ganz fest konzentriert und in meinem Kopf war nichts, aber auch gar nichts anderes als das Loch. 

Auf der anderen Seite, hat jemand anderes gesagt, ein Loch ist doch auch wieder nicht so wichtig, dass man sein ganzes Leben dafür wegschmeissen sollte. Was ist schon dabei, wenn man sagt, es gibt kein Loch, was für ein Loch, was soll das sein, ein Loch? 
Ein Loch ist ein Loch ist ein Loch, hat die Vreni gesagt, und da hat die Nachbarin gesagt, dass man schon sieht, wie renitent die ist, die Vreni. Und ein anderer hat gesagt, sie soll sich um ihre eigenen Blagen kümmern. 

Jetzt ist das Leben aber schon ein bissel fad gewesen, so ohne Italien, und Telefon und irgendwas unvergesslichem im Fernsehen. 
Hauptsächlich ist man herum gesessen und hat geredet. Und dann hat man auch kaum noch was zu reden gehabt, und ist nur noch herum gesessen. Hinaus hat man auch nicht mehr gewollt, weil da hat man dann die Masken und die Schutzkleider angezogen und alles, und dann ist man doch nur wieder einem von den Nachbarn begegnet, der gefragt hat, ob man jetzt wissen täte für welche Seite man wäre. Für die Loch-Leugner oder die Loch-Sichtigen. 

Weil das hat sich bald heraus gestellt, dass es da zwei Parteien gegeben hat. Die einen wollten unbedingt wieder raus aus der Scheißnachbarschaft und aus der eigenen Wohnung, und die anderen haben gesagt, das Loch ist eine Realität, und so lange man nicht weiß, was mit dem Loch los ist, kann man nicht einfach so tun, als gäbe es gar keines.
Die einen haben die anderen „verantwortungslos“ genannt, und die anderen die einen genau so. 
Wer jetzt bei wem war, da hat man sich bald überhaupt nicht mehr ausgekannt. 

Das war auch in der Familie so, und das war überhaupt nicht spaßig. Weil die Vreni eine radikale Loch-Sichtige war, und der Vater hat gleich wieder ein Anführer bei den Loch-Leugnern sein müssen. Die Mutter ist irgendwie dazwischen gestanden.
Und mich hat sowieso keiner gefragt. 

                                                                              VII

Was ich besonders interessant gefunden habe, das waren die Loch-Skeptiker oder auch Loch-Agnostiker genannt. Also, ehrlich, ich habe nicht alles von denen verstanden. Aber soviel doch, dass  sie erst einmal eine Loch-Theorie haben wollten. Wir können doch nicht sagen, ob wir das Loch leugnen oder es bekunden sollen, wenn wir gar nicht wissen, was das ist: ein Loch. Und sie haben sich hingesetzt und überlegt, was das ist, ein Loch. 

Ein Loch ist, hat einer aus einem Buch mit dem Titel „Duden“ vorgelesen, „ein durch Beschädigung, [absichtliche] Einwirkung o. Ä. entstandene offene Stelle, an der die Substanz nicht mehr vorhanden ist“.

Darin sieht man, hat jemand gesagt, dass wir eigentlich gar kein Loch haben. Niemand hat eine Beschädigung oder eine Einwirkung oder etwas ähnliches vorgenommen. Vielleicht ist ein Loch, das auf einmal und einfach so da ist, streng genommen gar kein Loch. Aber dass es da etwas gegeben hat, wo die Substanz nicht mehr vorhanden war, dass das also irgendwie offen ist, das hätten ja gerade die Vreni und ich bewiesen. Leider Gottes. Ein paar wollten schon wieder auf uns losgehen. Wenn die verschissenen Kinder da nicht umeinander gespielt hätten an dem Loch, dann hätte man sagen können, nichts gewisses weiß man nicht über das Offene und die Substanz und alles. Es wär’ also überhaupt nicht ausgemacht, dass das, was im Huber seinem Garten ist, überhaupt ein Loch ist. Und wenn wir nicht wissen, ob das überhaupt ein Loch ist, dann könnten wir mit einem reinen Gewissen zur Präsidentin sagen, Frau Präsident, da war was, aber wir wissen nicht was es war, man kann es eigentlich vieles nennen, aber am wenigsten ein Loch, weil es schon theoretisch bewiesen ist, dass das niemals ein Loch sein kann. 

Wenn es kein Loch ist, dann ist es aber eine offene Frage, hat ein anderer Loch-Skeptiker gesagt. Eine offene Frage ist fast genau so schlimm wie ein offenes Loch, nur halt mehr ideell. 
Was soll bitteschön ein offenes Loch sein? Ein Loch ist entweder offen, oder es ist gar kein Loch.

Das hat jetzt sehr vielen eingeleuchtet. Und das alte Komitee ist wieder zusammen getreten und man hat gesagt: Das Problem mit dem Loch ist, dass es offen ist. Wir müssen es einfach zumachen, und eine Ruhe ist. 

Bloss waren wir ja jetzt eingesperrt, und auch die Soldaten haben nicht mit uns reden gedurft. Also von außen ist da nichts gekommen, weil ja die Loch-Leugner bloß die Hälfte von uns waren, und die Loch-Sichtigen nur dann zufrieden, wenn es gar kein Loch mehr gegeben hätte. Das war eine verzwickte Situation, das müssen Sie zugeben. 

Jetzt war also die Frage mit was wir das Loch zumachen sollen. Einfach, hat einer gesagt, wir graben halt ein bissel die Erde … Aber spinnst du? Dann gibt es ja schon wieder neue Löcher. Und zwar solchene Löcher, wo es ganz klar ist, dass es da eine Einwirkung gegeben hat. Man kann doch ein Loch, das vielleicht gar kein Loch ist, nicht zumachen, indem man echte Löcher gräbt, die man einem dann auch noch beweisen kann. 

Man muss also das Loch mit was anderem zumachen. Und dann hat einer vorgeschlagen, dass jeder Sachen von Zuhause holt, die er nicht mehr braucht. Und die schmeißen wir dann in das Loch. Aus einer gewissen Entfernung, versteht sich. Solange, bis es voll ist, und dann ist es kein Loch mehr, und gut ist es.
Und wenn es fertig ist, dann fahren wir nach Italien!

Der Vorschlag ist von allen angenommen worden. Von fast allen. Die Vreni aber hat gesagt: Von mir kriegt ihr nichts. Sie ist halt wieder so bockig, hat die Mutter gemeint. Aber ich hab gedacht, dass die Vreni vielleicht doch eine besondere Beziehung zu dem Loch hat. Man weiß es ja nicht. Aber sie hat so geschaut.

Jetzt also sind die Leute nach Hause gegangen, und dann hat man vom Komitee die drei Mutigsten gewählt, oder wer halt der Mutigste hat sein wollen, die nämlich haben die Aufgabe gehabt, das Zeug, das man ihnen bringt, immer in das Loch hinein zu schmeissen. 

Jetzt sind die Leute gekommen und haben allerhand mitgebracht. Der eine einen alten Fernseher, der schon lang kaputt war, der andere ein paar Regenschirme und einen alte Vase. Der Vater hat eine Schreibmaschine gebracht (zu den Mutigsten hat er dann doch nicht gehören wollen), und weil ich mich nicht so recht entscheiden hab können, ob ich es jetzt der Vreni nachmachen soll, hab ich eine alte GI-Joe Puppe gebracht, die ich einmal im Garten vergessen gehabt hab, und das hat man ihr auch angesehen. Mit dem gewinnst du keinen Krieg mehr, hat der Vater gelacht. Damals. Eine Nachbarin hat zwei Stühle gebracht, eine andere einen Zimmerbrunnen, der nicht mehr dicht war und immer eine Sauerei gemacht hat. Und dann sind noch ein Rasenmäher, ein Haufen alte Kleider, ein Ofenrohr und noch viel anderes Geraffelt zusammen gekommen.

Und die drei Mutigsten haben ein Stück nach dem anderen gepackt und es ins Loch geschmissen. Aus sicherer Entfernung. Und es ist alles in dem Loch verschwunden, ohne dass man irgendwas gehört oder gesehen hätte. Es war alles einfach weg, nur das Loch war noch da.

Also haben die Leute wieder nach Hause gehen müssen und noch mehr Zeugs holen. Wieder ist einiges zusammen gekommen. Da war sogar ein Pelzmantel dabei, allerdings schon arg von den Motten zerfressen, ein paar volle Aktenordner, und ein ganzer Beistelltisch. (Das Wort „Beistelltisch“ habe ich damals erst gelernt. Es ist ein schönes Wort: Beistelltisch. Amalgam mag ich auch, ich meine, so als Wort.)  

Und es ist wieder hinein geschmissen worden, und wieder ist alles verschwunden, nur das Loch nicht. 

Aber ich muss sagen, den Leuten hat es mittlerweile angefangen Spaß zu machen, und sie sind hin und hergelaufen und haben Sachen aus ihren Häusern geholt, damit man sie in das Loch hinein wirft, und langsam waren auch Sachen dabei, die eigentlich noch ganz gut waren. Oder auch so persönliche Sachen wie Bilder und Andenken.

Und weil das Hineinschmeißen von Sachen in das Loch eine solche Mordsgaudi war, hat man nicht nur die eigenen Sachen genommen, sondern ist auch zum Nachbarn oder zur Nachbarin gegangen und hat gesagt, da schau her, den Teppich brauchst du doch nicht mehr, zum Beispiel, und dann haben sie auch Teppiche und Möbel von den Nachbarn ins Loch geschmissen, da haben die so viel plärren können, wie sie gewollt haben. Leck mich am Arsch sagt man nicht. 

Die Häuser sind immer leerer geworden. Man hat ganze Anrichten und Waschmaschinen in das Loch geworfen. Bücher sowieso. Und dann Liegestühle und Grillstationen. Auch Sachen, von denen ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, wozu sie gut sind. 
Es hat alles nichts genutzt. 
Die Häuser sind immer leerer geworden. Aber das Loch ist genau so geblieben wie vorher. 

Jetzt sind die Leute aber wütend geworden und haben angefangen, ihr ganzes Hab und Gut aus den Häusern zu tragen, sogar Betten haben manche zerlegt, Dreiräder von den Kindern, die natürlich geplärrt haben, oder Geschenke von der Tante, so, das merk’ ich mir, so hälst du das in Ehren, dann hat einer damit angefangen, mit einer Säge die Bäume und die Sträucher, die Gartenzäune und Terrassenmöbel zu zerkleinern.

Man kann sagen, nach und nach ist unser ganzes Dorf verschwunden.
Alles hat das Loch gefressen, das einfach nicht hat aufhören wollen, ein Loch zu sein. 

Am Abend des dritten Tages waren alle ziemlich erschöpft, und wie sie dann nach Hause gegangen sind, haben sie sich fürchterlich erschreckt, weil ihre Häuser haben ausgesehen wie nach einem Tornado, und überall haben sich die Menschen gegenseitig Lieblingssachen weggetragen, oder es ist ihnen eingefallen, dass sie vielleicht doch nicht ihren Toaster ins Loch hätten schmeißen lassen sollen, weil es halt jetzt kein Toast mehr zum Frühstück gegeben hat. Irgendeiner hat vor lauter Eifer sogar seine Kaffeemaschine dem Loch geopfert. Der hat sich vor Wut die Haare gerauft. 
Aber es hilft ja nichts. Das Loch ist immer noch da. 

                                                                            VIII

Man muss verstehen, hat einer von den Loch-Skeptikern am nächsten Tag gesagt, dass ein Loch nicht für sich besteht. Ein Loch braucht einen Raum und eine Materie. Ihr versteht? Es gibt Löcher im Käse. Es gibt Löcher in der Ozonschicht. Es gibt Löcher in den Bergen (die nennt man Tunnel). Man könnte jetzt zum Beispiel den Käse schmelzen lassen oder den Berg in die Luft sprengen, dann wären auch die Löcher weg. 

Aber dem Huber seinen Garten zu schmelzen ist technisch nicht gegangen, und das ganze Anwesen in die Luft sprengen ohne ein neues, noch viel größeres Loch zu machen ist, sagen wir mal, schwierig. 

Eines jedenfalls ist uns bei unseren Versuchen dieser Tage klar geworden. Das Loch behält die Sachen, die man in es hinein wirft.

Das wäre ja noch schöner, wenn es die Sachen wieder ausspucken täte. Obwohl man da für die Kaffeemaschine und den Toaster gerade durchaus dankbar wäre. Der Großvater hat so ein Loch einmal gesehen, in einem Berg, aus dem dann geschmolzene heiße Steine gekommen sind, das muss man sich einmal vorstellen. 

Wenn ein Loch etwas Offenes in einem Raum und in einem Material ist, also zum Beispiel im Huber seinem Garten, dann muss es ja zu irgendwas hin offen sein. 
Es sei denn, es geht ganz durch. Dann wäre dem Huber sein Loch ein Loch in der Erde, und unser ganzes Geraffel wäre in Australien wieder herausgefallen.
Das würde natürlich erklären, warum so ein Loch nie voll wird.
Das ist ein Schmarren. Wenn es ein Loch durch die ganze Welt wäre, dann würde sich das ganze G’raffel in der Mitte sammeln.
Du meinst, da gibt es ein paar Australier, die haben gestern auch Kaffeemaschinen und Pelzmäntel und Dreiräder in ein Loch geworfen? 
Ich muss immer wieder staunen über unsere Welt.
Nur schade, dass wir augenblicklich so wenig von ihr haben. 
Wer sagt überhaupt, dass ein Loch immer gerade ist?

Ein Loch ist das, wo das, was es umgibt, nicht ist. Also nichts. Die Löcher im Emmentaler sind auch nicht gerade. Sie sind eben das, was mitten im Käse ist, aber kein Käse. Also, das, was außerhalb vom Emmentaler ist, das ist kein Loch, sondern der Rest der Welt.
Loch ist Loch, sage ich. Ganz egal, was drum herum ist. 
Und ich sage, dass ein Loch immer eine Schweinerei ist. Das ist so mit den Männern, dass sie immer wenn sie ein Loch sehen, meinen, sie müssen irgendwas hinein stecken. Die müssen bloß das Wort „Loch“ hören, und schon spielen sie verrückt.
Ich habe das nicht so recht verstanden, weil jetzt dann alle recht gekichert haben, so wie in der Schule, wenn man es nicht darf. 

Ich glaub’, hat einer von den Loch-Skeptikern gesagt, dass unser Problem mit dem Loch beim Huber doch allgemeinerer Natur ist. Schon ist die Kicherei wieder losgegangen. 
Also jetzt im Ernst. Was wäre denn, wenn wir statt das Loch aufzufüllen genau anders herum vorgehen und genau das wegtun, was ein Loch überhaupt zu einem Loch macht. Ich meine das Material. Den Raum. Die Erde im Huber-Garten.
Dann wird es doch bloß ein immer größeres Loch. 
Genau. Wie groß kann ein Loch überhaupt werden, damit es noch ein Loch ist. Ist vielleicht ein Ozean noch ein Loch?
Oder Loch Ness? Da ist eine Schlange drin.
Da haben sie schon wieder angefangen zu kichern. Wie die kleinen Kinder. 

Völlig wurscht, wann ein Loch kein Loch mehr ist. So tief wie unser Loch ist, da könnten wir lang den Boden wegtun aus dem Huber seinem Garten … 
Aber eigentlich hat es überhaupt niemand gewusst, wie tief das Loch ist, weil keiner hinein gestiegen ist. 

Das hätt ich lieber nicht sagen sollen. Denn jetzt ist es losgegangen. Ein Loch, in das jemand hinein steigt, ist eigentlich kein Loch mehr, sondern eher eine Höhle, oder ein Wohnraum, sagt man doch auch so: das letzte Loch. Jemand wohnt im letzten Loch.

Ja genau, die Möbel sind ja schon drin. 
Es muss also jemand hinein und drin wohnen. Dann ist unser Loch nur noch sozusagen, also bildlich gesprochen ein Loch. Kein echtes Loch.
Ist ein Mauseloch ein echtes Loch oder bloß ein bildliches?

Jetzt ist es mir zu blöd geworden, und ich bin heimgegangen. Aber ich hab mir schon gedacht, dass das nicht gut ausgeht. Und dass ich lieber hätte mein Maul gehalten.       

                                                                             IX

Wir haben kein Loch, hat das Komitee dann beschlossen, wir haben eine unterirdische Behausung gegen Viren und Klima und Finanz und alles. Es müsste sich halt nur jemand finden, der das Hausen übernimmt. Es waren alle entweder zu schwer oder zu dick oder zu klein oder zu schwach, und am Ende bin nur ich übrig geblieben. Ich hab aber nicht in das Loch hinein gewollt, ums Verrecken nicht, und auch die Vreni hat gesagt, ich soll doch nicht blöd sein. 

Sie haben aber nicht aufgehört. Dass sie mich ganz vorsichtig an einem Seil. Dass ich immer zu essen und zu trinken kriege, und dann halt auch wieder einen Fernseher, wenn es bewiesen ist, dass es gar kein Loch gibt. Dass ich ein richtiger kleiner Held. Dass vielleicht sogar eine Straße nach mir benannt wird. Und meine Familie bräuchte sich keine Sorge um ein Geld machen. Also eigentlich wäre auch gar nichts dabei. An meiner Stelle würde man das sofort. Und dann wäre die ganze Nachbarschaft. 
Es sind ja doch auch schwere Zeiten. Und doch nur ein kleines Opfer. Für einen echten Jungen. Also ein richtiges Abenteuer. 
So ist das halt gekommen. Viel nachdenken habe ich gar nicht mehr können. 

                                                                            X

Es ist jetzt, warten Sie, vier Jahre und zwei Monate her, seit ich hier unten bin. Das letzte Loch ist hier unten größer als man oben meint. Deswegen hat so viel hinein gepasst. 

Ich habe es mir schon gemütlich gemacht, man hat mir ja auch ein Stromkabel herunter gelegt, und ich bekomme alles, was ich brauche. Eigentlich viel mehr. 

Da oben haben sie die Belagerung aufgehoben, die Leute haben wieder Fernseher, Telefone und Computer. Bloß reisen dürfen sie noch immer nicht. Das mit Italien wird wohl nichts für die Mutter. Und auch die Vreni kann nicht weg, so fad es ihr auch sein mag.
Solange es sich bei dem Loch im Garten vom Huber um gar kein Loch handelt sondern um eine Behausung, ist die Welt in Ordnung, und die Präsidentin hat auch persönlich gratuliert. 
Eine Straße haben sie, glaube ich, nicht nach mir benannt.

Wieso ich noch da bin? Wir haben nämlich damals, als sie mich herunter gelassen haben, nicht daran gedacht, dass ich, bis die ganzen Formalitäten erledigt sind, auch noch im Wachstum bin, sozusagen. Zuerst habe ich ja gedacht, sie könnten mich nachher einfach wieder so hinauf ziehen, wie sie mich herunter gelassen haben.

Aber ich bin eben größer geworden. Und weil ich hier unten wenig Bewegung habe, auch, naja, umfangreicher. Jetzt passe ich nicht mehr durch den engen Teil des Lochs. Zurück kommen kommt nicht mehr in Frage. Sie können das Loch auch nicht verbreitern. Das wäre gefährlich. Und außerdem heißt es, dass man jedes Aufsehen vermeiden will. Wenn ich rausgehen würd’, wär’ ja das Loch keine Behausung mehr sondern wieder ein Loch. Das kann ich meinen Mitmenschen doch nicht antun, hat es geheißen. Weil alles sowieso schon so angespannt ist, wegen Virus und Finanz und Klima. Und mir geht es doch auch gut, hier herunten.

Wie gesagt, ich habe mich eingerichtet. Wenn ich fernseh-schaue, dann bin ich fast froh, dass ich hier unten bin und nicht da oben. Der Vreni war es so fad, dass sie geheiratet hat, weil sonst geht ja nicht mehr viel, und jetzt ist ihr erst recht fad. 

Man hat jetzt gesagt, dass das Virus die Welt fest im Griff hat. Man meint aber die Menschen. Weil den Ameisen zum Beispiel ist das Virus vollkommen wurscht. Wer hinaus geht, muss sich eine Genehmigung holen. Aber was heißt schon hinaus? Da ist ja das mit dem Klima. Und dann eben das Finanz. Ich glaube, die haben da oben auch nicht viel Spaß am Leben. 

Jedenfalls wenn es stimmt, was man mir erzählt. Weil ich habe ja Handy und Computer und alles. Aber warum sollte da jemand lügen?

Jetzt kann man sagen, das Loch war halt mein Schicksal. Aber ob man im letzten Loch sitzt und nicht mehr heraus kann, oder in einem Haus und auf eine Straße schaut, die man nie mehr betreten kann, so groß ist der Unterschied auch nicht. 
Oben haben sie auch schon Scherze gemacht. Dass ich, wenn es so weiter geht, vielleicht der letzte überlebende Mensch sein kann.  Weil es hier kein Virus und kein Klima und kein Finanzdingsda gibt. 
Natürlich weiß man nicht, ob es nicht noch andere Löcher gibt, in die andere Kinder gestiegen sind und als Erwachsene nicht mehr herausgekommen. 
Ich bin ganz zufrieden. Das heißt, ich kann ja nicht vergleichen. Was auch ein Segen sein kann. Vielleicht ist ja vieles vor allem wegen dem Vergleichen so gekommen.

Aber jetzt, schauen Sie mich an. Nein das können Sie ja gerade nicht. Aber stellen Sie sich das vor: Ich brauche hier herunten keine Maske und keinen Schutzanzug. Wer ist da freier als der andere? Wie gesagt, das Vergleichen ist ein Blödsinn. 

Die Präsidentin hat letzte Woche den elften Total-Lockdown und die endgültige Schließung der Börsen verkündet (jetzt gibt es Finanz nur noch online). Das hat, sagt man, positive Auswirkungen auf das Klima. Wenn alle Leute in Löchern leben würden, wäre es vielleicht sogar noch besser. Hier unten brauche ich keine Heizung und keine Klimaanlage. Nur die Entsorgung müssen die oben noch machen, das ist mir ein bissel peinlich, muss ich ehrlich sagen. Also wenn ich meinen Hygiene- und Abfallkorb nach oben schicke. 

Ansonsten ist das mit der Lüftung ganz recht. Ich habe so viel mehr Sicherheit bekommen für so wenig mehr Freiheit. Übrigens habe ich jetzt auch eine Workout-Maschine und eine Workout-Meisterin hat ein spezielles Programm für mich ausgedacht.

Manchmal habe ich ja den Verdacht, dass man mich sehr genau beobachtet. Ich fühl mich dann wie ein Versuchskaninchen. Aber dann ist es auch wieder egal.
Weil ich habe ja was ich brauche. Und eine Erinnerung habe ich auch noch an die Zeit vorher. Es war schon lustig, wie ich mir die Hosen zerrissen habe, am Zaun vom Huber seinem Garten.
Und wie die Vreni mir damals dann doch noch das Geheimnis verraten hat. Wie das mit dem Loch zustande gekommen ist. 
Aber das verrate ich nicht. 
Nie.

Georg Seeßlen: Jahrgang 1948 und in München Kunstgeschichte und Semiologie studiert, ist einer der letzten Enzyklopädisten unserer Tage. Die Bandbreite seiner sensibilité universelle, wie das bei Diderot geheißen hätte, spiegelt sich in seinen Arbeiten, sei es zum pornografischen oder zum Cop-Film, überhaupt alles mit Film, von Spielberg, Tarantino, Kubrick oder David Lynch bis Schlingensief, überhaupt Schlingensief, dazu Kritisch-Erhellendes über Untote, Volksmusik, Populär- und Hochkultur, Kriegsbilder, televisionäre Dummheiten oder Rechtsextremismus, Blödmaschinen und Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld, die Prostitution Bayerns durch den Fremdenverkehr und alles Sonstige aus unserem Wahnsinn, überhaupt dem Wahnsinn.  Ein Schädel, der in keine Schublade passt. Seeßlen wohnt im Allgäu – und ist trotzdem weithin präsent. Seine WIKIPEDIA-Seite, seine Texte bei CulturMag

Besonderer Hinweis aus dem CulturMag Special „Verlust UNO“ auf seine Theorie: Verlust des Verlustes. Eine hauntologische Grille. Zur Systemrelevanz der Kultur bei uns hier

Siehe auch diesem Jahresrückblick 2021 den Beitrag von Felix Hofmann zu „Kleinbürger 4.0“, Georg Seeßlens aktuellstem Buch.