Minimal:
Mit ihren neuesten beiden Releases loten zeitkratzer wieder einmal die Möglichkeiten der Neuen Musik bis an die Grenzen aus, findet Tina Manske. Alvin Lucier und Whitehouse sind die Künstler, an denen sich das Ensemble dieses Mal abarbeitet, nachdem zuvor bereits John Cage und James Tenney das Thema waren.
Drei Instrumente, Cello, Viola und Piano; ein Klavierton in zwei unterschiedlichen Lautstärken und zwei mit Viola und Cello gespielte gegenläufige Glissandi, mehr als zwölf Minuten lang – das ist „Fideliotrio“, das Eingangsstück des neuen zeitkratzer-Albums, mit dem sich das Ensemble um Reinhold Friedl dem großen amerikanischen Minimalisten Alvin Lucier nähert. Luciers Kompositionen sind immer schon Versuchsanordnungen, ihre jeweilige Umsetzung immer schon mitgedacht beim Schreiben, wird doch der Raum, in dem ein Lucier-Stück aufgeführt wird, Teil des Stückes und zu einem weiteren Instrument (hier ist es die Philharmonie in Luxemburg). Aber auch die akustischen Eigenschaften der eigentlichen Instrumente werden von Lucier ausführlicher thematisiert als in anderen Musiken. Interferenzen mit den anderen Spielern werden hörbar, ebenso wie Aspekte der musique concrète wie zum Beispiel Bleistifte auf Objekten. Dass man, mitten in der Nacht zugfahrend und musikhörend, just beim gruselig-geisterhaften „Silver Streetcar For The Orchestra“ (das einzige bekannte Stück für Solotriangel) ein bedauernswertes verirrtes Wildschwein unter die Räder bekommt, gehört zu den Zufällen, die keine sind. Die Spielanweisung für dieses Stück enthält nichts weiter als zwei Seiten Text, in denen beschrieben ist, wie man welche Eigenschaften des Instrumentes im Laufe der Darbietung erkunden soll.
Maximal
Auch in der Noise-Ecke kennen sich zeitkratzer bereits aus; ihre Arbeiten mit Lou Reed oder Keiji Haino geben darüber Zeugnis ab. William Bennett hat mit seinem Projekt Whitehouse einen Referenzpunkt in der Noisemusik gesetzt, den sich zeitkratzer nur zu gerne vornehmen, um dichte, laute, sehr klare Instrumentengeräuschkompositionen zu entwickeln. Nach einer knappen halben Stunde ist alles vorbei, aber dann hat man als Hörer, wenn man durchgehalten hat, garantiert ein intensives Rezeptionserlebnis hinter sich. Aufgenommen wurde die Platte während eines Konzerts in Marseille, und – das vergisst man ja bei aller Begeisterung fast – zeitkratzer sollte man tatsächlich einmal live erlebt haben.
Für das Jahr 2011 sind im Übrigen weitere zeitkratzer-Releases angekündigt, diesmal mit den Bezugspunkten Morton Feldman und – Leckerbissen! – Karlheinz Stockhausen.
Tina Manske
zeitkratzer: [old school] Alvin Lucier; zeitkratzer: Whitehouse [electronics]. Beide Zeitkratzer Records (Broken Silence).