Dem Horror ins Gesicht blicken
– Mit „Angel Guts: Red Classroom“ legen XIU XIU (sprich ‚Schu-Schu‘) ihr bisher düsterstes Album vor. Und das bei einer Goth-Band, die sowieso schon nicht dafür bekannt ist, die hellen Seiten des Lebens zu betonen. Ausgangspunkt war der Umzug von Band-Mastermind Jamie Stewart nach Los Angeles, in eine Gegend, die fest in der Hand von Bandenkriegen ist, in der über Nacht Wasserleichen auftauchen oder Skelette in verlassenen Häusern gefunden werden.
Genau das richtige Setting für eine Platte, die einem mehr als einmal die blanke Angst in die Gedärme treibt. Abgründe, wohin man schaut, und nicht die lauwarmen Abgründe, die behauptet werden, bevor man sich wieder an den Kamin vor den Fernseher zurückzieht und den Champagner öffnet. Nein: Hier blickt man dem Horror ins offene Gesicht. Bei „Adult Friends“ zum Beispiel schwöre ich, dass ich die Todesschreie von Schweinen höre, egal, was andere mir erzählen.
Der zugänglichste Song, der, in dem Stewart auch mal etwas anderes tut als seine Stimme verzerrt durchs Mikro zu jagen, ist dabei “Stupid In The Dark“, mit dem ebenso wahren wie bemerkenswerten Refrain: „You taught me a lesson/ people are stupid in the dark/ people are useless in the moonlight“. „Bitter Melon“ vereint einen billigen Latin-Beat mit einer Kate-Bush-Reminiszenz-Harmonik, was zu ungeahnten Synergien führt.
Unbedingt erwähnenswert natürlich auch das schön nach vorn treibende Stück „Black Dick“, das – ha, Distinktionsmehrwert! – noch nicht mal die diesjährige „Ich-bin-ein-Star-holt-mich-hier-raus“-Redaktion rechtzeitig entdeckt hatte, um damit die Sex-Fantasien der intrigigantischen Gabby und ihren herbeifantasierten schwarzen Schwanz musikalisch zu unterlegen. Übrigens: Benannt ist das Album nach einem japanischen Erotik-Noir-Film, der auch ziemlich zur Sache gehen soll.
Bevor aber Missverständnisse auftauchen: „Angel Guts: Red Classroom“ ist eine liebevolle Platte, weil sie einem zu keinem Zeitpunkt etwas anderes als die Realität verspricht. Umrahmt wird das Geschehen von einem Geflimmer von Störgeräuschen, am Ende kommen natürlich noch extrem verzerrte Gitarren hinzu – soundtrack for the strong and weary.
Tina Manske
XIU XIU: Angel Guts: Red Classroom. Bella Union/PIAS/Coop (Rough Trade).
