Geschrieben am 10. August 2011 von für Musikmag

WU LYF: Go Tell Fire To The Mountain

Der Musik-Profi Warren Bramley extrahiert die Essenz aktueller Hypes und altbekannter Hörgewohnheiten zu einem magischen Musikkonzept, das er mit allen Tricks der Werbung zu einem Gesamtkunstwerk ausbaut. „Go Tell Fire To The Mountain“ ist ein erfrischendes Album, das auf ganzer Linie überzeugt. Unsere Autorin Janine Andert hat genauer hingeschaut.

Mystizismus gerät außer Kontrolle oder: Rod Steward singt in einer Indie-Band

WU LYF (sprich: Woo Life) sind ein gut geplantes Mysterium inklusive Verdunkelungstaktik. Alles fing mit geheimen Botschaften im öffentlichen Raum Manchesters an. Banal ausgedrückt plakatierte die Band Wände mit kryptischen Sprüchen, und die Leute googleten nach deren Sinn. Dabei stießen sie auf eine Website mit verschlüsselten Codes und merkwürdigen Symbolen. Einzig die Aufforderung, gegen Geld (£15/$20/€17) Mitglied der Lucifer Youth Foundation (LYF) zu werden, war klar erkennbar. Offensichtlich gab es viele Neugierige und Menschen mit dem Wunsch nach einem neuen, vehementen Kult. Als Gegenleistung erhielten sie eine Vinyl-EP, eine weiße Fahne mit dem LYF-Logo und die Mitgliedschaft in der LYF. Einmal im Verein flossen noch mehr geheime Botschaften, aber auch ermäßigte Eintrittspreise für die Konzerte der Band. Gleichzeitig wurde peinlich genau darauf geachtet, dass Wikipedia-Artikel, die das Phänomen genauer beleuchtet hätten, gelöscht werden. Interviews wurden verweigert. Kurz, die Werbestrategie, auf ein Produkt aufmerksam zu machen ohne das Produkt zu benennen, kam ausgiebig zum Einsatz. Das soll Interesse wecken und potenzielle Kunden, die sich nie dafür begeistern könnten, schon im Vorfeld an das Produkt binden. Mit der Veröffentlichung des Debüts „Go Tell Fire To The Mountain lichten sich die Schleier allerdings rasant. Hinter WU LYF stecken Gitarrist Evans Kati, Bassist Tom McClung, Schlagzeuger Joe Manning sowie Keyboarder und Sänger Ellery Roberts.

2008 formieren sich WU LYF als Band. Von Beginn an werden sie von Warren Bramley, Buddy des Factory Record-Chefs Tony Wilson, gemanagt. Bramley hat alle Parameter erfolgsversprechender Musikhypes identifiziert, ein Konzept entworfen und es der Band übergestülpt. Zwar ist er kein Bandmitglied im eigentlichen Sinne, aber irgendwie scheint er der Indie-Dieter-Bohlen dahinter zu sein. Factory Records war in den 1980ern Heimat von Joy Division. Wilson war Visionär auf dem Feld der Vermischung von Kunst und Musik. Von ihm lernte Bramley, dass die Visualisierung und Ästhetisierung von Musik ein Spannungsfeld eröffnet, das über schnelllebige Popmusik weit hinaus geht. Nebenbei bemerkte er wohl auch die verkaufsfördernden Qualitäten des Kunst-/Musikkonzepts. So verwundert es nicht, dass Bramley eine renommierte Werbeagentur, four23, besitzt, die Adidas und Virgin zu ihren Kunden zählen darf. Nebenbei gründet Bramley auch noch sein eigenes Label und betreibt einen Nachtclub, in dem WU LYF auftreten können. Das weiterentwickelte Prinzip von Factory Records also.

Soweit der Background von WU LYF, die vollständig World Unite! Lucifer Youth Foundation heißen. Witch House und moderner Mystizismus lassen grüßen. Derartige Namen sind strategisch gesehen zu lang für Radioansagen. Praktischerweise nennt sich die Band auf dem Debütalbum Go Tell Fire To The Mountain gleich selbst WU LYF. Strukturell und phonetisch erinnert World Unite! Lucifer Youth Foundation stark an Godspeed You! Black Emperor. Von den Pionieren des Post-Rock wurden nicht nur der melodiöse Klang des Namens, sondern auch die Idee der elegisch treibenden Musikpassagen übernommen. Trotzdem schaffen es WU LYF sowohl mit dem Gesang als auch ihrem Sound etwas Eigenes zu schaffen. Die markante Reibeisenstimme von Sänger Ellery Roberts kratzt und überschlägt sich in der Tradition von Rod Steward (die coole Version!) und Two Gallants (nicht ganz so wahnsinnig). Diese Stimme polarisiert. Entweder liebt man sie oder sie schmerzt in den Gehörgängen. Ganz im Zeichen der Zeit wurde ordentlich Hall auf den Gesang gelegt, was mittlerweile Gähnen hervorruft, aber hier etwas Erhabenes auf die Platte zaubert. Der Hall macht natürlich auch nicht vor der Instrumentierung halt. Wenn dann auch noch die verstreut auftauchende Orgel damit belegt wird, ist das Ergebnis eine fast sakral anmutende Angelegenheit. Wobei nicht klar ist, ob der Hall in der Abmischung oder während der dreiwöchigen Aufnahmen des Albums in der St. Peter’s Church entstand. Anleihen von Modest Mouse oder Broken Social Scene werden in eigener Sache inszeniert, was zwar vertraut, aber nicht abgelutscht klingt. Noch ein wenig tribalhaftes Getrommel sowie eine hervorstechende Gitarre, und hinter jeden wichtigen Punkt der To-Dos aktueller Popmusik konnte ein Häkchen gesetzt werden. Die Stärke von WU LYF liegt in der Absurdität der Neuzusammensetzung. Die Idee ‚Rod-Steward-singt-in-einer-Indie-Band‘ lässt aufhorchen, zieht in den Bann.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Indie-Bands reizen WU LYF den Selbstinszenierungsdrang der neuen Musikergeneration bis auf das Äußerste aus. Sie wollen nicht nur Musik machen, sondern bewusst Teil einer Jugendbewegung sein und mal eben ein neues Musikgenre begründen. Noch vor ein paar Jahren hat die Musikpresse diese Arbeit übernommen. WU LYF kommen dem zuvor, nennen ihre Musik „Heavy Pop“ und rufen auf ihrer Homepage die Lucifer Youth Fountation als Jugendbewegung gleich selbst aus. Die Stiftung will eine Non-Profit Organisation sein, die sich für die Unbegrenztheit der Jugend einsetzt und dafür alle möglichen Medienformen wie Musik, Kunst, Film, aber auch Kleinkriminalität instrumentalisiert. Letzteres ist wohl nur ein Gag, der sich wild und verboten anhört. Jedenfalls sind Vorstrafen der Bandmitglieder nicht bekannt. Immerhin finanzierten sie angeblich mit den Mitgliedsbeiträgen der LYF ihr unabhängiges Label LYF Recordings und damit das Album. Der Wahrheitsgehalt ist fragwürdig. Es liegt nahe, dass dieser idealistische Gedanke lediglich eine gewiefte Werbestrategie von Herrn Bramley darstellt. Darüber hinaus ist das Brimborium um die LYF, das damit verbundene infantile Gebaren der Jungs, das auf der Website und in den Songtexten breitgetreten wird, auf Dauer nervtötend. Ja, im Herzen sind wir alle höchstens sechs Jahre alt. Aber langsam wirkt diese attitüdenhafte Kleinkindmanie bei einer offensichtlich vorhandenen strukturierten Professionalität albern. Und klar, Satan ist ein netter Typ mit Hang zu überbordendem Romantizismus. Die haben wohl alle zu viel „South Park“ geguckt.

Wohl dem, der den ganzen Begleitschnickschnack hinter sich lassen kann. Dann nämlich entpuppt sich „Go Tell Fire To The Mountain“ als beschwingtes Pop-Album, das alle Bedürfnisse der Musikkonsumenten befriedigt. Dennoch ist das, was da kombiniert wurde, frisch und überraschend. Manchmal sind Profis hinter den Kulissen einfach etwas Wunderbares.

Janine Andert

WU LYF: Go Tell Fire To The Mountain. Lyf Recordings (Rough Trade). Zur Homepage der Band, zum Facebookauftritt und der Myspaceseite.