Geschrieben am 24. Februar 2005 von für Musikmag

V.A.: Kaminer und Gurzhy präsentieren Russendisko Hits 2

Sound der Slawen

Russland scheint Fremden düster und verschlossen. Doch tief im Innern des Vielvölkerstaates glüht es gewaltig. Davon zeugen wieder einmal die gesammelten Ohrwürmer von Wladimir Kaminer und Yuriy Gurzhy. Zu hören auf Russendisko Hits 2.

Die Russendisko ist mittlerweile nicht nur in Deutschland zu einem Markenzeichen geworden. Sie erfreut sich auch bei Nachahmern im Ausland immer größerer Beliebtheit. Zum finanziellen Verdruss der Macher Wladimir Kaminer und Yuriy Gurzhy, wie sie im Booklet der neuen CD mit ironischem Augenzwinkern zu verstehen geben. Die Titelanmeldung beim Patentamt scheiterte letztlich an der fehlenden Vorstellungskraft deutscher Bürokraten, so Kaminer. Eine amtliche Beglaubigung des Originals ist auch gar nicht mehr nötig. Landauf und Landab tingeln sie durch Deutschland und die Welt und verbreiten auf ganz individuelle Weise die frohe Botschaft: Gute Laune mit Musik. So auch bei „Radio Multikulti“ in ihrer neuen Sendung „Russendisko Klub“, die zum populärsten Sprach- und Senderohr für musikalische Entdeckungen aus Osteuropa geworden ist. Sie dürfen und müssen damit rechnen, dass die meisten russischen Interpreten in Deutschland niemand kennt. In den GUS-Staaten hingegen sind viele von ihnen längst Stars der russischen Clubszene und dem musikalischen Underground bereits entwachsen, zu dem man sie hierzulande getrost noch zählen darf. Die vorwiegend aus der Ukraine, Russland oder Weißrussland stammenden Künstler schätzt das Publikum aber weniger wegen ihrer lebensfrohen und teils absurden Texte. Ihr unverkennbarer Sound, der so bunt wie der Vielvölkerstaat selbst ist, treibt die Fans auf die Tanzflächen.

Vielfalt der Stile

Vom Reggae und HipHop über Punk und Rock bis hin zu Funk und Klezmer sind so ziemlich alle Musikstile vertreten, die die Hüften zum Vibrieren, mindestens aber die Finger zum Schnippen oder die Füße zum Wippen bringen. Vorherrschend sind bei den meisten Liedern die treibenden Offbeats des Ska, die oft auf einer Wellenlänge mit der traditionellen russischen Volksmusik liegen. Gitarre und Schlagzeug, Posaune, Trompete oder Saxophon dürfen dabei ebenso wenig fehlen wie das Akkordeon oder die Balalaika, mit denen die abgespeckten Big-Band-Formationen ihren Liedern eine unverwechselbare Färbung geben. Aber das ist alles blanke Musiktheorie, wenn die ersten Takte erklingen. Mit der zweiten Hitsammlung knüpfen die Botschafter russischer Popmusik fast nahtlos an ihre erste CD an. Diesmal ist die Auswahl etwas homogener und weniger experimentell als bei der ersten Kompilation, von der über 50.000 Exemplare verkauft wurden. Das Tempo der Songs ist aber nach wie vor hoch und steigert sich in manchen Liedern bis zum musikalischen Delirium („Rowdies’ SKA“). Da spielt es dann auch keine Rolle, dass die russischen und ukrainischen Texte mehr proklamiert als gesungen werden. Je tiefer und rauer die Stimme wie bei Karl Hlamkin („Tänze im Flugzeug“), desto eher versinken die Silben und Endungen im Nirvana des Stakkato. In den Ohren des Nichtrussen mutiert der Gesang dank seiner typischen Klangfarbe sowieso zu einem Instrument unter vielen anderen.

Entdeckungen

Neben altbekannten Interpreten wie Oleg Skrypka, Markscheider Kunst oder Zdob Si Zdub, die ihr Deutschlanddebüt schon auf Russendisko Hits oder Russensoul gefeiert haben, sind zahlreiche neue Bands zu entdecken. Die ukrainische Band Mandry ist für alle Freunde rein akustischer Musik und professioneller Folklore-Variationen ebenso ein Geheimtipp wie die Moskauer Formation Mongol Shudann („Glück gehabt“), die mit anarchischer Wucht auch mal Zigeunerklänge anschlägt. Wer über diese und andere Künstler mehr wissen möchte, wird im Booklet mit launigen Notizen zur Geschichte und zum Stilrepertoire der Bands sowie weiterführenden Links versorgt. Was aber ist aus Sveta Kolibaba oder der Gruppe Nogu Svelo von der ersten CD geworden? Darüber möchten wir auf der Website www.russendisko.de und im Radio noch mehr erfahren. Vielleicht schreibt Wladimir Kaminer aber auch irgendwann einmal ein geistreiches Kompendium über die aktuelle russische Musikszene. Dass wir in russischen Lebensmittelläden auf der Suche nach alternativer osteuropäischer Musik nicht fündig werden, hat er uns in einer ironischen Glosse ja bereits wissen lassen. Bis zur nächsten Hitsammlung müssen wir also mit den dort erhältlichen russifizierten Dancefloor-Nummern und Schlagersängern vorlieb nehmen.

Jörg von Bilavsky

V.A.: Kaminer und Gurzhy präsentieren Russendisko Hits 2. Russendisko Records, Buschfunk 15862.