Jubiläumswerk
–Tori Amos präsentiert auf ihrer neuesten Platte einige ihrer schönsten Songs in einer orchestralen Fassung. Ronald Klein findet’s dem 20-jährigen Bühnenjubiläum würdig.
Als die Amerikanerin Tori Amos 1994 in Berlin gastierte, wählte sie die Passionskirche, um ihre fragilen Pianokompositionen vorzustellen. Nach dem Konzert lud der Radio-Moderator MC Lücke ins Studio ein, um im „Soundgarden“ auf Fritz mit den Hörern zu sprechen. Daraus wurde ein Drei-Stunden-Marathon, in dem Amos sensibel auf Anrufe einging, die erschüttert auf die Todes-Meldung Kurt Cobains reagierten. Sie intonierte Acapella „Smells Like Teen Spirit“ und sprach offen über Erwartungen und Druck im Pop-Business.
Die damals 31-Jährige konnte aus dem Nähkästchen plaudern, startete die bereits 1985 mit dem späteren Guns’n’Roses-Drummer Matt Sorum das Glam-Rock-Projekt Y Kant Tori Read. Die Plattenfirma versuchte sie als neue Pat Benetar zu verkaufen, doch lediglich 7.000 verkaufte Einheiten führten zu keinem Folgevertrag. So wiederstand die Amerikanerin erneuten Versuchen, ihr ein bestimmtes Image überzustülpen.
Das Debüt „Little Earthquake“ (1992) besticht durch das Klavier als melodieführendes Element, das auch auf den Nachfolgealben „Under The Pink“ (1994) und „Boys For Pele“ (1996) das Markenzeichen blieb. Danach erweiterte Tori Amos die Arrangements um typische Instrumente einer Rockband. Auf der Bühne wurde deutlich, dass sie, deren musikalische Sozialisation mit Jimi Hendrix und Led Zeppelin begann, sich dank der Mitmusiker wohlfühlte. Doch verloren ihre Alben an unvermittelter Direktheit. Dies spiegelt sich analog dazu in den Pressefotos wider: Unnahbarkeit dominierte die bildliche Inszenierung.
Anlässlich des 20-jährigen Bühnenjubiläums spielte sie mit dem niederländischen Metropole Orchestra unter Leitung von Jules Buckley eine Auswahl ihrer persönlichen Favoriten ein. Von „Winter“ (1992) bis zu „Star of Wonder“ (2009) fanden sämtliche Facetten des Repertoires den Weg auf das Album. In den letzten 20 Jahren wählten Metal-Bands wie auch Schlager-Sternchen die Möglichkeit, die eigenen Arrangements durch klassische Orchesterbegleitung aufzupeppen. Im Regelfall zeigt sich dabei aber, dass die Tracks nicht die kompositorische Tiefe besitzen, um einer klassischen Dramaturgie zu folgen. Diese Untiefe schied bei Tori Amos ohnehin aus, jedoch ist es auch der Arbeit John Philip Shenales zu verdanken, dass „Gold Dust“ nicht vom Bombast eines 30-köpfigen Orchesters begraben wird. Der kanadische Komponist und Arrangeur beließ den Songs ihre eigene Charakteristik, das Piano bleibt das zentrale Element.
Im Gegensatz zu europäischer Neuer Musik zeichnet sich deren nordamerikanisches Pendant (trotz oder wegen) John Cages Rolle als Übervater durch Mut zur Harmonie aus. Dies kennzeichnet auch „Gold Dust“. Gerade Songs von „Under The Pink“ und „Boys For Pele“ wie „Precious Things“ oder „Marianne“ klangen im Original sperriger dank leichter Dissonanzen. Diese scheinen in der orchestralen Fassung glattgebügelt. Doch derartiger Nuancen erweist sich „Gold Dust“ als ebenbürtige Tori-Amos-Veröffentlichung, die vor allem in der Live-Variante zu bezaubern weiß. Als die Musikerin kürzlich erneut in Berlin gastierte, trat sie mit dem Metropole Orchestra in der Philharmonie auf und schenkte dem Publikum 150 außergewöhnliche Minuten. Tori Amos konterkarierte dabei die angesprochene visuelle Unnahbarkeit und bestach mit einer ebenso intensiven wie auch energetischen Performance. Dass die Live-Darbietung zu frenetischem Jubel führte, beruht eben auf „Gold Dust“, das sich insbesondere nach mehrmaligem Hören als würdiges Jubiläumswerk erschließt.
Ronald Klein
Tori Amos: Gold Dust. Deutsche Grammophon (Universal). Zur Homepage.