Erst beflissen, dann befreit
Na schön, es gibt Elektro-Autos, aber gibt es auch Elektro-Opern? Jetzt schon: Die innovativen Geschwister The Knife aus Schweden haben’s erfunden, zusammen mit Planningtorock und Mt. Sims. Von Tina Manske
Gerade ging das Darwin-Jahr 2009 zu Ende, und einer seiner kulturellen Beiträge kam aus Schweden. Die Elektro-Oper „Tomorrow, In A Year“, uraufgeführt im September 2009 in Kopenhagen, ist eine musikalische Hommage an den Begründer der Evolutionsbiologie: Das Geschwisterduo The Knife aus Schweden hat sich mit Planningtorock und Mt. Sims zusammengetan, um eine Auftragsarbeit für die dänische Performance-Gruppe Hotel Pro Forma abzuliefern. Ausgangspunkt waren Darwins Texte aus „On the Origin of Species“, die Arbeit sollte genau 100 Minuten dauern und sowohl eine Opern- wie eine Popsängerin sowie eine Schauspielerin vorstellen. Das Libretto sollte die Sprache des 19. Jahrhunderts ebenso abbilden wie zeitgenössische Kontexte, und überhaupt sollte das Ganze aufgeteilt sein auf 2 CDs.
Strikte Vorgaben, an die sich The Knife aber ebenso streng gehalten haben. Die Inspiration holte sich Olof Dreijer am Amazonas, wo er lange Zeit den verschiedenen Tieren zuhörte, sich von ihren Rhythmen beeinflussen ließ und sich einem veränderten Zeitgefühl überließ. Manche Feldaufnahmen fanden auf elektronisch verändertem Pfad auch direkt den Weg auf Platte, manche Soundeffekte versuchen Funktionen der Evolution nachzuempfinden, so das self copying, ein Begriff, der die Entwicklung von Genen erklären soll. Auf musikalischer Ebene wird daraus ein Effekt, der durch eine Reaktionskette gejagt wird und bei jedem Kopieren Veränderungen erfährt. Und natürlich ist die Platte auch eine Reise von den ersten Einzellern hin zum heutigen Menschen – musikalisch nachgebildet.
Die Evolution geht weiter
„Tomorrow, In A Year“ arbeitet also sowohl auf inhaltlicher wie auch auf struktureller Ebene. Das ist gewollt und klingt manchmal auch so. Besonders CD 1 krankt an einer unverständlichen Hölzernheit, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass man Operngesänge tatsächlich nur erstaunlich mühsam mit elektronischen Tönen zusammenbringt. Es klingt schwerfällig (Dinosaurier!), es hakt, es reibt sich – sicher alles nichts Negatives per se, aber eben doch eher Musik vom Typ ‚Kulturbeflissenheit‘. CD 2 jedoch orientiert sich mehr an den elektronischen Klängen, die The Knife auch schon auf ihren anderen Platten perfektioniert haben – und schon werden die Songs luftiger, spielen sich Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer geradezu frei.
In Deutschland wird das ebenso sound- wie bildmächtige Spektakel am 5. Juni in Münster zu sehen sein. Übrigens wird die Musik von „Tomorrow, In A Year“ unter Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht, das heißt, sie darf auf nichtkommerzieller Basis von jedem gemixt, verändert und weiterverarbeitet werden. Die Evolution geht weiter.
Tina Manske
The Knife: Tomorrow, In A Year. 2 CDs. Rabid Records/Cooperative Music (Vertrieb: Universal).