Traumpfade
Ein Klangteppich mit suggestiver Ausstrahlung eröffnet das erste Album des australischen Popduos „The Dissociatives“. Man wähnt sich auf den Traumpfaden der Aborigines, wenn die ersten Töne von „We’re Much Preferred Customers“ erklingen. Und die geheimnisvoll angehauchte, chorisch multiplizierte und immer wieder verfremdete Stimme des ehemaligen Frontmanns von „Silverchair“ gibt sofort den experimentellen Ton an, der die ganze Platte beherrscht und keine Sekunde Langeweile aufkommen lässt.
Nachdem vom fünften Kontinent nur Lobeshymnen nach Europa gedrungen waren, durfte man auf die australischen Ausnahmemusiker mehr als gespannt sein. Und was Daniel Johns (Vocals) und Paul Mac (Keyboard) hier klanglich und atmosphärisch gezaubert haben, kann sich nicht nur hören, sondern auch vor dem inneren Auge sehen lassen. Die zehn ganz individuell arrangierten Songs lassen sofort Bilder von wilden und sanften Landschaften entstehen. Wenn man „Lifting The Veil From The Braille“ gehört hat, muss man die Weiten des australischen Kontinents nicht mehr durchwandern.
Weit entfernt von jeder esoterischen Botschaft verbreiten die einfallsreich komponierten Stücke auch noch gute Laune, wie es sich für anständige Ohrwürmer ziemt. Dezent legt der Pionier der australischen Elektro-Szene Paul Mac Vogelgezwitscher und synthetische Klangbänder um die verspielten Melodien. Angetrieben von komplex und kurzweilig variierten Elektrobeats, wie in „Thinking In Reverse“. Oder mit überraschenden Breaks, die „Horror With Eyeballs“ neben dem Instrumental „Paris, Circa 2007slash08“ zu den originellsten Popsongs auf der Platte machen.
Wenngleich das als Single ausgekoppelte „Somewhere Down The Barrel“ eher aus den Ingredienzien der „klassischen“ Rock- und Popmusik gemixt ist, verleiht Daniel Johns dem Song mit seiner süßlich-sinnlichen Gesangsstimme eine unverwechselbare Note. Auf das gleiche Pferd haben die beiden bereits bei der ersten Single „Young Man, Old Man“ gesetzt, in dem die Harmoniefolgen der Beatles herumgeistern. Relativ schnell stellen sich noch eine ganze Reihe weiterer musikhistorischer und aktueller Reminiszenzen ein. So unterschiedliche Bands wie die Beach Boys, die Super Furry Animals oder Muse scheinen in ihren Liedern Spuren hinterlassen zu haben.
Doch sicher kann man sich nicht sein, weil das Duo aus dem Fundus musikalischer Versatzstücke einen unverkennbaren Sound entwickelt hat, der meilenweit vom Mainstream entfernt liegt. Ein gelungenes Pop-Experiment, bei dem es noch viel zu entdecken gibt. Australien ist für Europäer musikalisch eben noch immer eine „Terra incognita“.
Jörg von Bilavsky
The Dissociatives: dito. Virgin (EMI).