Keine Frage des Geschlechts
Stereo Total singen und sinnieren über Verirrungen und Verwirrungen von Männlein und Weiblein – mit gewohnt-ungewohnten Texten und ihrem sogkräftigem Sound. Von Jörg von Bilavsky
Brezel Göring muss sich wohl noch etwas gedulden. Bis der Sänger und Multinstrumentalist von Stereo Total leibliche Mutter werden kann, werden die Mediziner und Biologen noch einige Hürden im Labor nehmen müssen. Sein im schönsten NDW-Discosound vorgetragener Kinderwunsch „I Wanna Be A Mama“ sollte vielleicht besser nicht Erfüllung gehen, betrachtet man seine daran geknüpften Erziehungsvisionen, die nichts Gutes erahnen lassen. Der Wunsch seiner Partnerin Francoise Cactus „Babyboom ohne mich“ ist längst Realität, die Frage der Erziehung erübrigt sich damit von selbst, die Frage nach der Zukunft unserer Gesellschaft bleibt angesichts des Geburtenrückgangs virulent.
Ironisch, mal romantisch, mal ätzend
Das exzentrische Berliner Duo wälzt nach dem sozialkritisch angehauchten „Paris-Berlin“ (2007) auf ihrer neuesten CD „Baby Ouh“ verstärkt die Verwirrungen und Verirrungen zwischen den Geschlechtern. Wie etwa in der Coverversion des Schlagers „Wenn ich ein Junge wär“. Im Original 1963 von Rita Pavone kess dahingeträllert, danach von Nina Hagen bis heute parodistisch-punkig verballhornt und nun elektronisch aufgepeppt im typischen Stereo-Total-Sound.
Wie all ihre Songs nicht bierernst, sondern mal ätzend-ironisch, mal romantisch-ironisch, immer mit einem gehörigen Schuss guter Laune und der bewährten Mischung aus „40 % Chanson, 20 % R’n’R, 10 % Punkrock, 3 % DAF-Sequenzer, 4 % Jacques-Dutronc-Rhythmique, 7 % Brigitte Bardot and Serge Gainsbourg, 1,5 % Cosmonaute, 10 % really old synthesizers, 10 % 8-bit Amiga-sampling, 10 % transistor amplifier, 1 % really expensive and advanced instrument“ (Stereo Total über Stereo Total).
Sogwirkung
Natürlich darf auch diesmal die Selbstironie nicht fehlen, wie sie in „Hallo Damenklo“ mit einem spießig-satirischen Seitenhieb auf die Generation Girly anklingt. Am originellsten auf dieser launigen Liedersammlung aber ist der „Radiosong“: Mit kompositorischer Tristesse und rhetorischer Direktheit fordert der über achtminütige Titel Plattenbosse und Publikum zum Zuhören auf und zieht trotzdem sofort in seinen Bann. Diese Sogwirkung entfalten auch alle anderen Songs auf diesem wunderbar schrägen Album. Auf unnachahmliche Weise und unabhängig vom Geschlecht des Zuhörers.
Jörg von Bilavsky
Stereo Total: Baby Ouh!
Disko B (Vertrieb: Indigo).