Boston Frank Yeah!
30th-Anniversary-Tour, nicht viele Indie-Bands können so etwas für sich reklamieren. Und dann auch noch in der Besetzung, mit der in den 90ern ihre besten Platten eingespielt worden sind. Die Power-Pop Band The Posies ist in 2018 ein halbes Jahr mit ca. 90 Gigs in Amerika und Europa unterwegs, um ihren Geburtstag zu feiern. Da ich in Düsseldorf zu tun habe, noch nie im Zakk war und die Posies klasse finde, bin ich anstatt Euro-League mit dabei.
Der Kern der Posies sind die beiden Music-Nerds Jon Auer und Ken Stringfellow, die auch durch unzählige andere Projekte, am bemerkenswertesten vielleicht REM-Tourband und Big Star-Reunion, bekannt sind.
Sehr positiv überrascht bin ich heute vom Support. Die Künstlerin Hanna Fearns spielt ein Soloprogramm. Sie ist schon in der Vergangenheit mit Stringfellow im Duo aufgetreten und dieser unterstützt sie auch heute bei einigen Liedern. Die Sängerin ist einzuordnen zwischen Andrea Schröder (Stimme) und Lucinda Williams (Songthemen und Country-Referenz) und hat erstklassiges Songmaterial im Gepäck. Bei einigen Liedern läuft ein Schallplattenspieler mit, ihre Gitarren sind Mega-Vintage und ein aufmerksames Publikum goutiert ein sehr ansprechendes Vorprogramm.
Deutlich wilder und lauter wird es dann bei den Posies. Zwar gelingen die Sprünge der Protagonisten auf der Bühne nicht mehr ganz so hoch wie früher, aber beim dritten Song sind die karierten Holzfällerhemden schon ziemlich verschwitzt. Die Band spielt ein Hitprogramm, vorwiegend mit Material der 90er-Alben „Frosting On The Beater“ und „Amazing Disgrace“. Es wird aber nicht nur gerockt. „You Avoid Parties“ spielen Auer und Stringfellow unplugged vor der Bühne stehend, Auge in Auge mit dem Publikum. Tatsächlich stehe ich wirklich Nasenspitze an Nasenspitze mit Jon Auer. Und bei den leisen Tönen wird deutlich, welch grandiose Sänger die beiden Frontmänner sind. Ganz wunderbare kongeniale Gesangsharmonien prägen das Lied. Ab ungefähr dem fünften Lied ist Jon Auer dann komplett durchgeschwitzt.
Außerdem passt bei ihm der sonst mehr im Fußball verortete Begriff der „Beidfüßigkeit“. Zwei Batterien an Effektgeräten stehen links und rechts von ihm, die er in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit mal mit dem linken, mal mit dem rechten Fuß tänzelnd bedient. Natürlich singt er dazu auch noch perfekt, stimmt seine Gitarre während er spielt nach und parliert unterhaltsam mit dem Publikum. Dies gilt auch für Stringfellow, der bei einigen Liedern noch den Klavierpart übernimmt.
Im Publikum sind weitgehend Fans, die die Lieder frenetisch bejubeln und große Teile mitsingen können. Die Hits „Flavor Of The Year“ und „Solar Sister“ beenden das Konzert vor dem Zugabenblock. Der kommt und hat es auch nochmal in sich. Auer malträtiert seine Gibson SG dermaßen, dass am Ende keine Saite mehr heil ist und er das Instrument an der Bühnendecke aufhängt. Aber es ist immer noch nicht Schluss. Mit Ersatzgitarre, Ken am Piano und mit einem staunenden, begeisterten Publikum endet der großartige Abend.
Noch älter als 30 Jahre ist das legendäre Debut Album „Burning In Water“ der Alternative Punk Band Moving Targets. Nach vier Platten löste sich die Band in 1993 auf. Insbesondere ihr erstes Album genießt bei Anhängern von Hüsker Dü, The Wipers oder The Replacements absoluten Kultstatus. Ich muss gestehen, ich bin ein großer Anhänger der drei genannten Bands, Moving Targets hatte ich allerdings verpasst. Bill Janovitz (Buffalo Tom) schreibt z. B. bei AllMusic: „Burning in Water is an overlooked post-punk masterpiece, a holy grail of 1980s Boston rock … Any mid-’80s underground Rock & roll band in Massachusetts would have been affected by its release“. Umso größer ist der Spaß als ich mir die Platte im Vorfeld des Konzerts anhöre und feststelle, die ist wirklich großartig. Ken Chambers, der Kopf der Band, hat später wohl noch einige wenig bemerkenswerte Soloplatten gemacht, war aber dann von der Bildfläche verschwunden.
Jetzt schreiben wir das Jahr 2018, und diese Moving Targets stehen tatsächlich auf der Bühne im Gleis 22 in Münster. Ich fühle mich zurückversetzt in die späten 80er Jahre. Die drei vorne genannten Bands habe ich leider nie live erleben dürfen, dafür aber z. B. Das Damen und Redd Kross im Cooky‘s, Speedniggs im KFZ, Boxhamsters im Jokus oder Bad Religion in der Batschkapp. Und genauso fühlt sich das heute Abend an, alle haben 30 Jahre mehr auf dem Buckel, haben sich aber gefühlt in die 80er gebeamt. Vor 27 Jahren waren die Moving Targets auch schon einmal im legendären Odeon in Münster zu Gast, und Ken Chambers hat bei Manni im Plattenladen übernachtet, wie der mir letztens erzählt hat.
Der Band gelingt es heute, Energie und Melodie wunderbar unter einem Hut zu bringen. Obwohl ich viele Lieder nicht kenne, klingen sie wie alte Vertraute. Der neue Bassist und Drummer freuen sich mit Ken Chambers zusammen spielen zu dürfen, der bedankt sich bei den beiden, dass sie ihn wieder ausgegraben haben. 45 Minuten dauert das Spektakel, bevor sie, wohl zum ersten Mal auf der Tour, „Youth Of America“ von den Wipers als Zugabe spielen. Jetzt brodelt es komplett im Gleis 22, Energie und Glücksgefühle werden zu einer Einheit. Eine solche Intensität erlebt man nicht oft bei Konzerten, heute war dies der Fall. Vielen Dank an Frank, den Booker vom Gleis 22.
Wolfgang Buchholz