Geschrieben am 15. Mai 2018 von für Musikmag

Stagetime: Swutscher / Isolation Berlin; 5. Mai 2018; Münster, Gleis 22

Im Bierstübchen bei Nacht

Für große Jungs wie mich, die in den 70ern und 80ern schon coole Musik gehört haben, sind der Vergleichsmaßstab für deutschsprachige Bands irgendwie immer die Fehlfarben. Und tatsächlich, es gibt ab und an neue deutsche Bands, die bei diesem Maßstab gut mithalten können. Zwei davon spielen Anfang Mai im Gleis 22 in Münster.
Zunächst tritt die Kapelle Swutscher aus Hamburg auf. Ich hätte darauf gewettet, dass die sechsköpfige Truppe aus Berlin kommt. Das klingt wie Ton Steine Scherben, die Jungs sehen aus wie eine Mofa-Gang, und Sänger Bodo geht als Biologielehrer im abgetragenen, aus der Zeit gefallenen Anzug durch. Das würde auch wunderbar in ein Berliner Hinterhofkabarett passen, geht aber auch im Münsteraner Indie Club.
Auf der Bühne ist eine Stimmung wie am Tresen vom Bierstübchen, wohltuend anders als die wassertrinkenden, auf Perfektion abzielenden Bands, die man sonst oft sieht. „Bierstübchen“ heißt auch der Song, bei dem Swutscher von Tobias Bamborschke, dem Sänger von Isolation Berlin unterstützt wird und bei dem es um „die Crème-de-la-crème der Alkoholiker-Boheme“ geht. Die Musik ist ein bunter Mix aus Chanson, Country, Pop und Folklore mit cleveren Texten. „Bodo“ hat sogar etwas von Bowies „Heroes“, und damit endet das kurzweilige Konzert. Die Tage erscheint das Album „Wilde deutsche Prärie“ und im Netz gibt es diverse skurrile Videos. Eine absolut sehenswerte Combo, sehr unterhaltsam.

Danach spielen Isolation Berlin, eine Band, die ich erst vor kurzem mit ihrem neuen Album „Vergifte dich“ entdeckt habe. Und die Platte ist für mich bis dato schon eine der Scheiben für die Jahres-Best-of 2018. Zwei EPs und ein Album gab es schon vorher, die es gilt nun aufzuarbeiten. Sehr poppig ist die erste EP, die zweite etwas ruppiger und das neue Album ist richtig chansonesque, ich höre hier den Nihilismus von Ja, Panik kombiniert mit der Kneipen-Melancholie von Element of Crime. Die Texte sind von Tobias Bamborschke, der Rest der Band ist musikalisch voll auf der Höhe, was auch live mit einer routinierten Show rüberkommt.
Bamborschke mit besprühter Lederjacke und Swutscher T-Shirt ist sehr aufgedreht, irgendwie wie der kleine Bruder von Andreas Spechtl. Der Rest der Band ist eher cool und abgeklärt. Am Anfang spielen sie z. B. „Serotonin“ und „Antimaterie“, zwei meiner Top-Favoriten vom neuen Album, später ältere Titel, wie „Der Bus der stillen Hoffnung“ oder „Prinzessin Borderline“. Die klingen mehr nach Post-Punk als nach Chanson und es wird sogar Pogo getanzt im Gleis 22. Der Laden ist so gut wie ausverkauft, es haben noch andere gemerkt, dass diese Band gut ist.
Das Konzert ist es auch, Isolation Berlin hat das Gleis voll im Griff. „Isolation Berlin“ von der EP „Körper“ heißt auch das letzte Lied vor dem Zugabenblock. Ganz am Ende wird es dann nochmal tieftraurig und so schließt sich dann der Kreis zu den Fehlfarben. Peter Hein sang vor fast vierzig Jahren in „Paul ist tot“ einst die Zeile „Was ich haben will, das krieg ich nicht und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht“. Bei Bamborschke heißt das heute „Ich treffe falsche Freunde und manchmal sogar ein paar echte. Manchmal sogar Frauen. Doch die gefallen mir alle nicht“. „Vergeben heißt nicht vergessen“ nennt sich dieser Titel vom neuen Album und dieser beschließt den wirklich gelungenen Konzertabend.

Wolfgang Buchholz