Tragisches Talent der Musikgeschichte
– Am 27.11 spielte der in der Musikwelt vielbeachtete, aber den meisten Hörern unbekannte Soul-Sänger, Multiinstrumentalist, Songwriter und Produzent Shuggie Otis in Hamburg das einzige Deutschlandkonzert seiner derzeitigen Tournee. Julian Klosik blickt auf das Konzert zurück und zeichnet die tragische Geschichte eines großen musikalischen Talents nach, das bis heute leider wenig Erfolg hatte.
Neben den Künstlern, die mit ihrer Musik sehr erfolgreich werden und einer riesigen Zahl an Musikern, die – verdient oder unverdient – gänzlich ohne Erfolg bleiben, gibt es einige, die am Erfolg anderer entscheidend beteiligt waren und einflussreiche, innovative Musik geschaffen haben, denen dennoch der große Erfolg versagt blieb.
Warum? Nun, vielleicht waren sie ihrer Zeit voraus, vielleicht waren die Massen und vielleicht auch die Labels noch nicht bereit für den neuen Sound – vielleicht haben sie selbst aber auch nicht jedes Spiel der Musikindustrie mitgespielt.
Fest steht jedoch zweifelsohne: Zu diesen Künstlern gehört Shuggie Otis. Schon als Jugendlicher galt Johnny Alexander Veliotes Jr., Sohn des R&B-Bandleaders Johnny Otis, als Wunderkind an der Blues-Gitarre und spielte in der Band seines Vaters, an deren Studioproduktionen er auch beteiligt war, sowie im Alter von 15 an der Seite von Al Kooper und Frank Zappa, für den er bei dem Song „Peaches en Regalia“ von dem Album „Hot Rats“ von 1969 Bass spielte. Schon 1970 nannte kein geringerer als B.B. King ihn seinen „favorite new guitarist“. Ebenfalls 1970 erschien sein erstes eigenes Album „Here Comes Shuggie Otis“, gefolgt von „Freedom Flight“ 1971. Doch der große Durchbruch gelang ihm damit nicht. Erst später – 1977 – landeten The Brothers Johnson mit einem Cover des „Freedom Flight“-Tracks „Strawberry Letter 23“ einen internationalen Riesenhit.
Für sein bedeutendstes Album „Inspiration/Information“ von 1974, dass knapp drei Jahre Arbeit in Anspruch nahm, schrieb Otis alle Songs eigenhändig, arrangierte alles, spielte alle Instrumente (Gitarre, Bass, Piano, Orgel, Vibraphon und Percussion) bis auf Bläser und Streicher, sang die Vocals und produzierte die Platte eigenständig – wenn das nicht schon ein früher DIY-Spirit ist. Tim Gane von Stereolab sagte über das Album „’Inspiration Information’ is almost like a new style of music that could’ve developed but never did”. Und in der Tat enthält das Album eine bis dahin unbekannte Art von psychedelischem Soul, die musikalisch zukunftsweisend war und auch vor Drum-Maschines nicht zurück schreckte.
Shuggie Otis: ‚Aht Uh Mi Hed‘ (1974) from Music Collector on Vimeo.
Um die Zeit der Veröffentlichung des Albums boten sogar die Rolling Stones Otis Mick Taylors Platz an der Gitarre für ihre Welttournee an. Von der Hoffnung auf den Erfolg seines eigenen Meisterwerks getrieben, lehnte er eigensinnig ab. Im Interview kommentierte er:
“Yeah I was too deep into my own music. There were others too, Blood, Sweat & Tears and David Bowie, to recall a few, but I turned all of them down […] I had my own identity and simply wanted to lead my own group.”
Doch auch „Inspiration/Information” erzielte nicht den erhofften großen Erfolg. Zwar nennen Leute wie Prince und Lanny Kravitz das Album bis heute als Inspirationsquelle, aber dass nur der Titeltrack die Billboard 200-Grenze knackte und Otis wenig Kompromissbereitschaft in seiner Musik zeigte (vor allem wollte er von niemand anderem produziert werden, als von sich selbst) führte schließlich dazu, dass Shuggies Plattenvertrag gekündigt wurde.
Aus den nächsten knapp 40 Jahren seiner Musiklaufbahn ist wenig bekannt. Doch nun gab Shuggie Otis im Rahmen seiner überraschend begonnenen „Never Ending World Wide Tour“ betitelten derzeitigen Tournee ein einziges Deutschlandkonzert im Hamburger Grünspan.
Wie angesichts seiner mangelnden Bekanntheit zu erwarten, war der Club nicht randgefüllt. Dennoch hatte sich eine gewisse Anzahl an Musikliebhabern – von denen viele scheinbar versuchten, mit ihrem Erscheinungsbild an die 70er-Jahre anzuknüpfen – im Grünspan eingefunden. Nichtwissend, was genau sie erwarten würde – etwas bösartig könnte man fragen, ob Otis tatsächlich von einem erneuten Wunsch, seine Musik den Leuten nahezubringen getrieben ist, oder ob er vielleicht nur dringend Geld benötigt – oder warum dieses Konzert gerade jetzt eigentlich hier stattfindet, warteten sie auf Shuggie Otis, der sich eine Weile bitten ließ.
Auch wenn die ersten Songs noch nicht komplett überzeugten und Shuggie Otis‘ Stimme altersbedingt nicht mehr die stärkste ist, konnte man bereits hier die Klasse der Kompositionen und der Band erkennen und spätestens mit dem großartig groovenden „Aht Uh Mi Hed“ von „Inspiration/Information“ war der Knoten geplatzt. Während des Songs versuchte vielleicht mancher vergeblich die Absoluten Beginner zu erblicken. Die hätten Otis für ihren Hittrack „Liebeslied“, dessen Beat hauptsächlich aus einem Sample von eben „Aht Uh Mi Hed“ besteht, zumindest mit ihrer Anwesenheit bei seinem einzigen Deutschlandkonzert (und das auch noch in Hamburg) Tribut zollen können.
Je länger das Konzert, desto mehr wagte sich die gesamte Band, von der besonders der für den tighten Groove verantwortliche Marvin ‚Smitty‘ Smith an den Drums und der virtuos improvisierende Nick Smith an den Keyboards hervorstachen, an psychedelische Improvisationen und auch Shuggies Gitarrenspiel wurde zunehmend virtuoser und effektbeladener. Eine R&B-Bluesrock-Funk-Soul-Fusion, die sowohl Raum für Wah-Wah Pedale, als auch für Flötenimprovisationen bietet, ist wohl das, was Otis Musik ausmacht.
In der Zugabe kam er dann: Der längst erwartete Hit, der wohl am ehesten symbolisch für den ganzen musikhistorischen Fall „Shuggie Otis“ steht: „Strawberry Letter 23“.
Ein sehr gelungenes Konzert einer extrem interessanten, einflussreichen, aber auch tragischen Figur der Musikgeschichte.
Julian Klosik
Voraussichtlich im April 2013 erscheint ein Reissue von „Inspiration/Information“ bei Sony Music Entertainment.
Foto Shuggie Otis: Michael Ochs für luakabop.com