Keine unnötigen Gesten, sondern pure Energie
– Die Band Savages aus London erlebt zurzeit einen beispiellosen Hype – man kommt an dem Postpunk-Quartett und ihrem Album „Silence Yourself“ nicht vorbei. Und live sind sie nochmal so gut, findet Tina Manske.
Beim Betreten des Lido zeichnen sich gespenstische Schattenrisse an den Wänden ab. Die stammen von Johnny Hostile, der an diesem Abend den Auftritt des angesagten Quartetts aus London eröffnet. Hostile hat auch das Album der Savages produziert und zusammen mit Sängerin Jehnny Beth das Label Popnoire gegründet. Er steht da ganz allein auf der Bühne, bewehrt mit einer Gitarre, einem Drumcomputer und einem Effektmikro, in das er seine dunklen Texte flüstert und schreit, die dann verzerrt und als Echo wiedergegeben werden. Irgendwie muss man schon an diesem frühen Punkt an Ian Curtis von Joy Division denken, vielleicht liegt es an den dunklen Schatten. Aber spätestens nach drei Songs hat man das Prinzip verstanden und benötigt dann auch nicht unbedingt mehr davon.
Erste Bedenken bezüglich des Venues waren glücklicherweise unbegründet. Das Lido in Berlin hat manchmal leichte bis schwere Probleme, einen satten und nicht scheppernden Sound zu ermöglichen. Nicht so an diesem Abend: gerade die doch sehr powervollen Klänge des Postpunk-Quartetts Savages aus dem Londoner Norden kommen ungefiltert beim Publikum an. Wie ein Uhrwerk bearbeitet dabei die Schlagzeugerin Fay Milton ihr Instrument und sorgt für die Schienen, auf denen der Sound der Band ungehindert reisen kann. Sängerin Jehnny Beth, deren Name als eine Mischung aus Jenny und Johnny daherkommt, ist selbst eine Mischung aus Siouxsie Sioux und Ian Curtis – Siouxsie natürlich wegen ihrer Stimme, Ian wegen ihrer Bühnenpräsenz. Ihre liebste Geste: das kurze Kopfschütteln (einmal – zweimal) zwischen zwei Songzeilen. Ansonsten: keine Gesten, sondern pure Energie.
Als Geschenk gibt es sogar einen extra für die Hauptstadt komponierten Song „Flying To Berlin“. Die Ankündigung dieses Songs ist auch fast die einzige Gelegenheit, die Beth für eine Interaktion mit dem Publikum nutzt. Ansonsten wird das Album „Silence Yourself“ gespielt, und wer würde da etwas vermissen – schließlich sagen Songs wie „Shut Up“ oder „No Face“ ja eh alles. Den lauten und unglaublich guten Höhepunkt bildet der das Konzert beendende „Don’t Let The Fuckers Get You Down“ (oder wie auch immer der Song heißt), der die gesamte Klasse dieser Band inklusive energetischer Umsetzung noch einmal auf den Punkt bringt.
Dass da vier Frauen auf der Bühne stehen, ist natürlich auch an diesem Abend ein Thema. Zu fortgeschrittener Stunde meldet sich ein in die Jahre gekommener und schon leicht angetüdelter Rocker zu Wort: „Dagegen kannste die ganzen anderen englischen Hype-Bands vergessen. Vier Frauen blasen die ganzen Männer einfach weg!“ – „So wie im richtigen Leben eben“, antwortet eine auch schon nicht mehr taufrische Blondine. Ja, so ein bisschen Gender-Utopie wehte da durch Berlin, bei diesem denkwürdigen Konzert.
Tina Manske
Savages: Silence Yourself
. Matador/Beggars Group (Indigo). Zur Homepage.