Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Musikmag

Stagetime: Rolling Stone-Weekender, 6./7. November 2015, Weißenhäuser Strand, Ostsee

Rolling Stone WeekenderJohn, Thurston, die Mods und Ron…

− Nach drei Jahren Pause bin ich heuer mal wieder dabei, beim großen Indoor-Festival am Weißenhäuser Strand, dem Rolling Stone-Weekender. Ein vielversprechendes Line-up an Künstlern der eher gitarrenorientierten Pop-Musik erzeugt schon mal Vorfreude und lässt einen die fünfstündige Zuganreise gerne auf sich nehmen.

Und es geht direkt mit einem Highlight los, wenn nicht sogar dem Highlight des Festivals, dem Kanadier John Southworth und seiner Band. Im letzten Jahr wurde sein Album „Nicaragua“ vom Rolling Stone zur Platte des Jahres gekürt und bis dato hatte er erst einem Auftritt in Deutschland, in Berlin, gespielt. Daher merkt man dem Künstler eine gewisse Nervosität an. Zwar leert sich der anfangs volle Saal mit der Dauer des Konzertes, aber Intensität und Atmosphäre der Aufführung legen deutlich zu. Eine facettenreiche Stimme, ungewöhnliche Songstrukturen und eine coole Band zeichnen das Konzert aus. Leider ist das Vergnügen etwas kurz, macht aber Lust auf mehr. Und das Schöne am Weekender ist, dass man Southworth später noch an der Wurstbude trifft und er nett erzählt, dass es von ihm schon diverse Alben gibt und ein Neues demnächst in Arbeit geht.

Danach spielt einer der Gitarren-Heroen des Alternative-Rocks mit seiner neuen Band: Thurston Moore – und ein weiteres Highlight des Festivals steht an. In gleicher Besetzung wie Sonic Youth, allerdings ist die Bassistin Debbie Googe klein, schwarzhaarig und singt nicht, spielt sich die Band durch wenige aber gewohnt ausufernde Stücke. Auch hier Gitarrenduelle mit dem Counterpart James Sedwards und das krachende Schlagwerg von Steve Shelly im Rücken. Sicher, Kim Gordon und Lee Ranaldo würde man sich hier auf der Bühne auch gut vorstellen können, aber dann wäre es sicher schwierig direkt vor der kleinen Bühne in zwei Meter Abstand von Thurston Moore zu stehen. Und das ist nochmal was anderes, hier kommt die Energie der Gitarrenschlachten bei „Forevermore“ oder „Speak to the wild“ unmittelbar rüber und das in akzeptabler Lautstärke, für mich ein wirklich denkwürdiger Moment. Viel geht da nicht mehr. Schade, Build to spill z.B. bekommen nur einen kurzen Abstecher von mir.

Was am Ende des Tages immer geht ist aber dann Element of crime auf der großen Zeltbühne. Tiefenentspannte Musik und lakonische Texte dargeboten von Sven Regner und seinen Mannen, erweitert um ein Saxofon. Sicher das siebte oder achte Konzert der Band, das ich sehe, und das Zweite auf der Tour zur aktuellen Platte. Was soll man sagen, ich würde wieder hin gehen. Auch wenn das Rad nicht neu erfunden wird schafft es Element of crime immer zu überzeugen. Es geht richtig disruptiv mit „Don’t you ever come back“ los, danach viele neue Songs, einige Klassiker und einige Überraschungen. So ziemlich das gleiche habe ich glaube ich bei der Konzertkritik zum Weekender 2010 auch schon geschrieben… Danach Scheidebecher auf der Aftershow-Party und ab geht’s in die Poofe.

Am nächsten Tag startet der Tag dann zeitig mit der Rolling Stone Redakteure-Talkrunde, der Lesung von Maik Brüggemeier aus Catfish und einer Halbzeit Fußball Bundesliga, und dann kommen die Sleaford Mods…

Und sowas habe ich noch nicht gesehen, vielleicht früher mal DAF. Auf der Bühne stehen drei Bierkisten, darauf ein Laptop, dahinter ca. fünf Flaschen Bier und Andrew Fearn, der das Bier im Laufe des Konzerts (ca. 45 Minuten) trinkt, für jeden neuen Song eine Taste drückt, um die treibenden Bass- und Schlagzeugbeats zu starten und sich seltsam bewegt. Er sieht aus wie der frühere Happy Mondays Tänzer Bez mit ungepflegtem Zottelbart in Runtergekommen. Daneben mit Wasserflasche und Mikroständer Jason Williamson, der seine Tiraden und Beschimpfungen mit einer Stimme, Kaliber „Johnny Rotten at his best“, in’s Mikrofon bellt. Die linke Hand hält die Flasche und ab und an das Mikro, die rechte wedelt seltsam auf dem Rücken oder schlägt gegen die rechte Schläfe – während des ganzen Konzertes wohlgemerkt. Zwischen den Liedern läuft oder hüpft er wie ein angeschossener Coyote um den Mikroständer, und das Wasser ist nötig um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Ein wilder Par-force-Ritt durch das neue Album der Band, ergänzt durch ältere Kracher wie „Jollyfucker“ oder „Tweet, tweet, tweet“. Das klingt sehr gut und ist „very strange“, kommt aber mit einer solchen Intensität rüber, die ich selten erlebt habe, und es ist gerade mal halbsechs am Samstag. Ein Rolling Stone-Redakteur bemerkte vorhin: “Mal wieder ne Band, die die Tür eintritt“. Das trifft es wunderbar.

So was von völlig anders geht es dann an gleicher Stelle weiter mit Ron Sexsmith, der im Übrigen zwei dreimal an seinem Wasserfläschchen nippt. Alleine mit seiner butterweichen Stimme, seinem filigranen Gitarrenspiel und natürlich den wunderbaren Liedern seiner mehr als zehn Alben bestreitet Sexsmith ein knapp 70 Minuten-Programm ohne dass, zumindest für mich, der Spannungsbogen abfällt.

Im großen Zelt ist danach Entertainment angesagt, Olli Schulz rockt die Bühne. Der hat mittlerweile die Clubs verlassen, spielt in Hallen und er kann aber auch Zelt. Bombastische Stimmung, die auch durch Herrenwitze und Publikumsbeschimpfungen nicht getrübt wird, im Gegenteil. Die Band weiß oft nicht was ihr Frontmann vorhat, amüsiert sich aber auch prächtig. Und Gassenhauer wie „Spielerfrau“, „Saunaaufguss in Lankwitz“ oder „Halt die Fresse, krieg‘n Kind“ sind Selbstgänger.

Als nächstes kommt mit Gaz Coombes, eine weitere Überraschung. Der Ex-Supergrass Sänger spielt eine soulige, groovende Pop-Show mit sehr live-tauglichem Songmaterial.

Ein weiterer Höhepunkt sind dann die New Wave-Ikonen Gang of Four. Aus der Originalbesetzung ist zwar nur noch Stinkstiefel Andy Gill an der Gitarre dabei, aber die ist ja das prägende Sound-Element. Die alten Platten der Band „Entertainment“, „Solid Gold“ und „Songs of the free“ waren absolut stilprägende Alben für ganze Horden an Nachfolgebands. Neben Gill besteht die Band heute aus drei jüngeren Mitmusikern, einer exzellenten Rhythmus-Fraktion an Bass und Schlagzeug und einem Sänger, der täuschend echt nach Jon King klingt. Einer meiner Begleiter meint, das kommt rüber, wie eine Gang of Four-Coverband. Insgesamt wird etwas viel gepost. Muss das sein, in deinem Alter, Andy? Musikalisch kommt die Sache aber gut rüber, die alten Sachen, in der Mehrzahl im Repertoire, klingen frisch, die neuen Lieder sind eher belanglos. Aber „At home he feels like a tourist“, „Damaged goods“ oder „Anthrax“ noch einmal live zu erleben, das entschädigt. Also Daumen hoch für Herrn Gill und seine Mannen.

Im großen Zelt feiert derweil „Of Monsters and Men“ mit dem Publikum, nicht ganz meine Kragenweite, aber sicher ein würdiger Festivalabschluss. Summa summarum mal wieder zwei Tage musikalisches Amusement vom Feinsten an der Ostsee. Wenn ich Zeit habe, im nächsten Jahr auch wieder mit mir.

Wolfgang Buchholz