Geschrieben am 24. November 2019 von für Musikmag

Stagetime: Rolling Stone-Weekender, 15./16. November 2019, Weißenhäuser Strand, Ostsee

Nite Klub at Weißenhäuser Strand

The Specials bei ihrem Auftritt. Foto: Wolfgang Buchholz

Und wieder bietet das Line-up des diesjährigen Rolling Stone Weekender – oder besser gesagt Rolling Stone Beach, wie das Festival jetzt heißt, da es eine zweite Veranstaltung (Rolling Stone Park) im Freizeitpark Rust gibt – zwei großartig anmutende Tage Musikvergnügen für Pop-Musik-Freunde. Wie immer in den letzten Jahren ist das Festival bereits ausverkauft, bevor die auftretenden Künstler bekannt sind. Und wie immer ist es dann eine Herausforderung, sich aus dem in vier Parallelslots laufenden Programm das Passende herauszusuchen.

Das Moka Efti Orchestra, bekannt aus der Serie Babylon Berlin, eröffnet das Programm mit opulenten Orchesterklängen. Insbesondere die zwischen dem Timbre von Andrea Schröder und der Betonung von Kenji Kitahama (Friedrich Sunlight) angesiedelte Stimme der Sängerin vermittelt Berliner Ballsaal Atmosphäre.

Leider gehen danach die stimmungsvollen, leise gespielten Lieder von Joan as Police Woman etwas unter im lauten Stimmengewirr der erst nach und nach eintrudelnden Konzertbesucher. Aber sowohl diese widrigen Umstände als auch technische Probleme und eine kurz vor dem Auftritt zugezogene Kopfverletzung können Joan Wasser nicht davon abhalten, ein beeindruckendes Konzert zu spielen.

The Charlatans starten ihren Gig mit der röhrenden Hammond-Orgel von „Weirdo“, einem ihrer alten Hits. Der Rave-Boom aus Manchester ist auch schon fast dreißig Jahre her, aber der Charlatans Sänger Tim Burgess wirkt in seinem zu großen Sweat-Shirt und seinem Pilzkopf wie aus der Zeit gefallen. Ich kenne die neueren Platten nicht, aber es gibt einige und die Musik ist wirklich nach wie vor sehr „catchy“. „The Only One I Love“ war einer der Hits auf Studentenpartys früher und auch der geht heute immer noch gut. Das Konzert der Charlatans bietet für mich eine wirklich schöne Wiederentdeckung.

Nicht wieder entdecken muss ich Tom Liwa, da ich alle seine Schallplatten besitze. Schade, dass das Konzert durch Soundprobleme zu Beginn etwas holprig anfängt. Tom spielt in einer recht außergewöhnlich instrumentierten Viererbesetzung, mit einer Armada an Blas- und Perkussionsinstrumenten. Man hätte einen solchen Festivalauftritt sicher auch einmal nutzen können, um ein stärker „mainstream-orientiertes Programm“ zu spielen. Nicht so Tom, der viele neue Lieder spielt oder beispielsweise zu einer Geräuschkulisse einen Text vorliest. Ich habe schon viele Tom-Liwa-Konzerte gesehen, das war ok heute, ich habe aber auch schon bessere gesehen.

Nach einem kurzen Abstecher bei den routiniert ihr Programm abspulenden Maximo Park und dem heftig groovenden Curtis Harding bin ich freudig gespannt auf Bob Mould. Doch der alleine auf der Bühne stehende Verstärker bedeutet im Vorfeld nichts Gutes. Ich habe Mould vor gut 30 Jahren schon einmal mit einem Solo-Auftritt gesehen und hatte mich wahnsinnig auf ein Band-Konzert gefreut.

Sein heutiger Solo-Auftritt ist aus meiner Sicht eher als misslungenes Experiment zu werten. Er brettert seine unzweifelhaft genialen Songs wirklich alleine mit verzerrter Gitarre und in Hochgeschwindigkeit herunter. Das mag zwar gewagt und innovationsfreudig erscheinen, mir hat es aber nicht gefallen. Etwas Variation in der Gitarrenbegleitung und den Arrangements wäre hier angeraten gewesen. Andere fanden es genial, ich nicht und bin nach gut zwanzig Minuten gegangen, um dann einen Platz ganz vorne beim Top-Act des heutigen Tages zu ergattern. Und diese Künstler tragen heuer zu recht einmal diese oft inflationär verwendete Einstufung als Top-Acts: The Specials.

Es gibt in meiner bewusst wahrgenommenen Laufbahn als Musikhörer einige wenige Platten, denen ich das Prädikat „bahnbrechend innovativ“ zukommen lassen würde. „Nevermind“ von Nirvana, „Daydream Nation“ von Sonic Youth oder „Monarchie und Alltag“ von Fehlfarben fallen mir ein. Im zweiten Halbjahr 1979 gab es neben dem Debut der B-52‘s und „Fear Of Music“ von den Talking Heads ein weiteres Album, das mich als damals Fünfzehnjährigen umgehauen hat: Das Debütalbum der Specials.

Obwohl ich kein ausgesprochener Ska-Fan oder Rude-Boy war und bin, war diese Art von Musik, ihre politische Positionierung und diese ausgesprochene Coolness der Specials einzigartig zu der Zeit. Es gab dann ein Jahr später noch ein weiteres Album „More Specials“, auch toll, aber anders, bevor sich Terry Hall und Jerry Dammers, die beiden musikalischen Köpfe der Band, zerstritten und jeweils ihre eigenen Wege gingen. Vierzig Jahre nach dem Debüt erscheint in 2019 dann tatsächlich ein neues Album mit den drei Originalmitgliedern Terry Hall, Lynval Golding und Horace Panter.

Ganz so cool wie damals sehen die Jungs zwar nicht mehr aus, aber die Musik und auch die politischen Botschaften sind aktueller denn je. Wortführer ist der einzige verbliebene dunkelhäutige Musiker in der Band, Lynval Golding. Sehr zurückhaltend agiert Terry Hall, der durch seinen Wiedereinstieg die Reunion und die Aufnahme der neuen Platte erst ermöglicht hat. Er wirkt etwas abwesend, seine Stimme hat aber im Alter nochmal an Qualität gewonnen. Von der neuen Platte spielen die Specials auch einige Songs. Im Mittelpunkt steht aber ihr erstes Album. Und sie bringen Hit auf Hit, „Gangsters“, „Too Much, Too Young”, “Nite Klub”, “Concrete Jungle”, „Do The Dog“, und obwohl ich die Platte gefühlte Ewigkeiten nicht mehr gehört habe, gehen mir die Texte wie geschmiert über die Lippen. Und dass sich die Generation 50+ inklusive meiner Person bei wildem Pogo anrempelt und in den Armen liegt, hätte ich auch nicht gedacht. Das war mein Konzert des Jahres, auf jeden Fall.

Ganz zarter Singer-Songwriter Folk bietet zum Einstieg in das Samstagsprogramm auf kleiner Bühne die erst 20-jährige Engländerin Billie Marten. Nach einem kurzen Abstecher bei der großen Bühne, wo Mark Lanegan abgezockt, souverän und mit toller Band seine Hymnen röhrt, spielt mein Höhepunkt dieses Tages: die „Villagers“ aus Irland, um ihren Mastermind und Frontman Connor O’Brian.

Sehr jugendlich aussehend, nur entstellt, nach meinem Empfinden, durch einen buschigen Pornobalken zwischen Nase und Mund. Zu diesem Thema und seine pop- und fußballkulturellen Implikationen aus den 70er Jahren, anhand von Beispielen wie Paul McCartney oder Toni Schumacher, konnte man schon am Nachmittag in der Lesung von Jens Balzer aus seinem Buch „Das entfesselte Jahrzehnt: Sound und Geist der 70er“ eine Menge lernen. Und auch bei den Redakteuren der Musik-Zeitschrift „Rolling Stone“ scheint es einen verstärkten Trend zum Tragen dieses männlichen Gesichtsschmuckes zu geben. Na ja, aber zurück zu den Villagers. Mit seiner brüchigen hohen, an seinen Namensvetter Conner Oberst erinnernden Stimme singt der irische Connor seine wunderschönen Lieder. Nicht ganz so stark mit Elektronik durchsetzt, wie auf der letzten Platte, teilweise sparsam instrumentiert, entwickelt sich ein sehr intensives, atmosphärisches Konzert. Es hat sich gelohnt dafür auf den parallel spielenden Jon Spencer zu verzichten.

Zu Abschluss dann noch Blumfeld. Deren Songs sind natürlich „unkaputtbar“ großartig, musikalisch und auch insbesondere bei den älteren Liedern auch textlich. In der Original-Dreierbesetzung spielt die Band die Lieder in wirklich gelungenen Versionen. Verstärkt werden sie durch einen Gitarristen und in der zweiten Konzerthälfte durch einen weiteren, bei dem es sich tatsächlich um Tobias Levin handelt, Kopf von Cpt. Kirk &., eigentlich meine Lieblingsband der Hamburger Schule. Er liefert eine tolle Verstärkung für Blumfeld. Schon bessere Zeiten hat hingegen Jochen Distelmeyer gesehen. Er wirkt etwas fahrig und arrogant, so richtig nimmt man ihm die Haltung der frühen Blumfeld-Lieder nicht mehr ab. Aber egal, das Gesamtpaket hat gepasst.

Das gilt natürlich auch wieder einmal für das Gesamtpaket Rolling Stone Beach.

Wolfgang Buchholz