Geschrieben am 20. Juni 2012 von für Musikmag

Stagetime: Liars

Liars: WIXIWMUTE-Taste

– Im allgemeinen Retrowahn und den historischen Querverweisen der Popmusik auf sich selbst ist auf eines Verlass: Die Liars wiederholen nichts, nicht einmal sich selbst. Und das bereits seit 12 Jahren und dem nunmehr sechsten Studioalbum.Von Janine Andert

Sänger Angus Andrew und Gitarrist Aaron Hemphill lernten sich einst beim Kunststudium in Los Angeles kennen und verfolgen seit der Gründung der Band in New York das Konzept, sich selbst und ihre Hörer immer wieder aufs Neue zu überraschen. Das Repertoire wabert von Kiffermucke über unhörbare Soundexperimente hin zu krachigen Schlägen mitten in die Fresse rein. Das war immer weit entfernt vom Mainstream. Entsprechend ungewohnt, aber durchaus gelungen, wirkt die Eingängigkeit des neuen Albums „WIXIW“. Eingängig versteht sich hier selbstverständlich im Vergleich zu den Liars und nicht zum Radiopop. Man könnte auch sagen, „WIXIW“ ist ein großartiges Einstiegsalbum für all diejenigen, denen die Liars noch nichts sagen oder denen das Trio bisher zu experimentell war.

Entgegen der ersten Vermutung handelt es sich beim Albumtitel übrigens nicht um eine Anspielung auf das deutsche Wort „wichsen“. Hätte ja sein können. Nach Berlin-Aufenthalt 2006 und der damit verbundenen Aufnahme von „Drum’s Not Dead“ ließen sich Deutschkenntnisse dieses Kolorits durchaus denken. (Solche Wörter lernt man komischerweise immer zuerst.) Jedoch verbirgt sich hinter dem Albumtitel „Wish You“ – ein poetisches Palindrom, das auf Wünsche und Hoffnungen verweist. Aber hey, wir reden hier über die Liars! Natürlich ist die negative, pessimistische Konnotation von Wünschen und der damit verbundenen noch nicht verwirklichten Umsetzung in der Realität inklusive. So sagt Hemphill, von dem die Idee des Titels stammt: „Immer, wenn Du Dir etwas wünscht, verneinst du die Situation, in der du gerade bist. Je mehr du dir etwas wünschst, was nicht ist, je mehr du dich nach etwas sehnst, was nicht existiert, desto mehr verfällst du in so einen selbstmitleidigen Zustand. Der ist verlockend … und bequem. Aber es ist unmöglich, ihm zu entkommen, wenn du zu tief darin versinkst.“

„WIXIW“ ist ein Album über sich widersprechende Selenzustände, über menschliche Abgründe, und je nach dem, ob man gerade auf dem Berg oder im Tal verharrt, optimistisch und pessimistisch zugleich. Musikalisch dröhnen und plonkern die elf Songs über ausschweifende Synthieteppiche. MUTE-Gründer Daniel Miller hinterließ seine Handschrift als Produzent, was vor allem live unüberhörbar ist. Da ist dieser unverwechselbare Sound seines Hits „Warm Letherette“, nennen wir es mal MUTE-Taste auf dem Keyboard, der sich auch in den ein oder anderen Song der Liars geschlichen hat.

Das ist ein klares Statement für eine super Zusammenarbeit. Diese Klänge waren es dann auch, die das Liars-Konzert am 10. Juni im Roten Salon der Volksbühne in Berlin zum Leben erweckten. Aber ganz ehrlich, wer kommt eigentlich auf die selten dämliche Idee, die Liars im Roten Salon spielen zu lassen?! Das kann eigentlich nicht gut gehen. Die Location wurde dank vehementer Beschwerden der Nachbarn vom Senat mit einem Limiter ausgestattet. Heißt, ab einer bestimmten Dezibel-Stärke ist Schluss. Aber die Liars gehören verdammt noch mal LAUT! Wenn die Liars loslegen, MUSS das Trommelfell platzen und der Wumms jede Faser des Körpers ergreifen. Ein Vibrieren und Pulsieren im Blut gehört einfach dazu. Entsprechend lahm wirkte der erste Teil des Konzerts in einem engen, furchtbar heißen und überfüllten Raum. Dröge lullte die Hitze das Publikum ein. Der leise Sound ließ die Liars wie eine Schülerband in weiter Ferne wirken.

Aber Angus und Mannen spielten sich warm. Nach etwas mehr als einer halben Stunde gewann die Show an Drive. Das Trio entdeckte bereits erwähnte MUTE-Taste. Ab diesem Moment herrschte Bühnenpräsenz, die ganz unerklärlich die fehlende Lautstärke überspielte. Das innere Dröhnen begann. Mit Beginn der Zugabe war die Band endgültig bei ihren melodiegetriebenen, gewaltsam zerstückelnden Brachialrhythmen angelangt. Was zuvor durch die Räumlichkeit erdrückt wurde, brach nun hervor und griff auch auf das Publikum über. Es bleibt zu hoffen, dass die für den Herbst geplante Tour in einem Venue stattfindet, in dem die Musik der Liars atmen kann – und das Publikum etwas Bewegungsfreiheit zum Tanzen hat.

Bis dahin legen wir allen das aktuelle Album „WIXIW“ ans Herz. Klasse Songs, die mal entspannt elektronisch grooven und dann wieder mit experimentellen Arty-Bumms auf die Kacke hauen.

Janine Andert

Liars: WIXIW. Mute. Zur Homepage und zu Facebook. Liars bei Soundcloud. Album kommentiert.

Tags :