
„Tilman bei Heinz”
Am 25. März kam das neue Album der Regierung raus, und zwei Tage später bin ich beim Konzert in Hannover. Da muss ich doch nochmal „zur Feder greifen“, obwohl ich doch schon so oft über Tilman Rossmy, seine Band, seine Konzerte und seine Musik geschrieben habe.
Das Album heißt „Was“ und es gefällt mir mittlerweile ausgesprochen gut. Es gibt glaube ich keinen Musiker, den ich über die Geschichten seiner Lieder so gut kenne, oder zumindest glaube zu kennen, wie Tilman Rossmy. Niemand gibt so tiefe Einblicke in sein Leben, seine Befindlichkeiten, seine Gefühle. Und auch auf der neuen Platte gibt es wieder einige Neuigkeiten zu erfahren. Kindheit, Einlieferung in die Psychiatrie und natürlich die ewigen und leidigen Themen Liebe und Beziehungen, deren Auf und Ab Tilman Rossmy wie kein anderer in den Geschichten seiner Lieder seziert.
Und wie ist diesmal die Musik? „Regen“ und „Alles was du verlierst“ klingen für mich mehr nach Tilman Rossmy Quartett als nach „Die Regierung“. Das ist wahrscheinlich kein Wunder, da der Einfluss von Ralf Schlüter an den Tasten deutlich größer geworden ist, und der war auch eine tragende Säule beim Quartett. Kurz und heftig mit typischem Rossmy-Sprechgesang kommt als nächstes „Geschichte“ daher. Harter Tobak, was Tilman da erlebt hat, in noch nicht einmal zwei Minuten auf den Punkt gebracht. Irgendwo habe ich gelesen, andere machen dazu ganze Konzeptalben, hier wird die Essenz destilliert.
Oft rumpelt und knarzt es dann doch mächtig auf dem Album, was zu dessen oft depressiver Grundhaltung gut passt. „Besessen“, „Mörder“ und „Zurück in die Welt“ gehören in diese Kategorie. „Schönes Paar“ ist wieder eine Episode aus Tilmans vergangenen Beziehungskrisen, „Zeit“ eine gelungene Adaption von Flowerpornoes „Ophelia“. Das schon als Single bekannte und schon vor zwei Jahren beim Konzert solo gespielte Lied „Vielleicht in Hamburg“ ist die Hymne der Platte. Alles in allem wieder zwölf weitere sehr gelungene Kapitel im „Grand Songbook“ von Tilmann Rossmy.
Dann geht es auf nach Hannover zum Konzert. Im Vorprogramm spielt die Band „Botschaft“, deren Album gerade bei Tapete erschienen ist und die gefälligen deutschen Pop der ostwestfälischen Schule spielen. „Die Antwort“ und „Jetzt!“ kommen mir in den Sinn. Das Konzert fängt sehr gut an mit dem Highlight „Treptower Park“. Am Ende quatschen die Jungs aber etwas sehr viel. „Anspruchsvolle Texte“ dem Publikum erklären zu wollen, ist meistens ein Schuss ins Knie, so auch hier. Am Ende nerven die Ansagen, insbesondere die des Sängers. Die Songs sind aber gut, und auch deren Darbietung ist ok.
Zu wissen wie man Ansagen improvisiert und damit das Publikum bestens unterhält, ist eine der Kernkompetenzen von Tilman Rossmy. Ich habe schon sehr viele Rossmy-Konzerte gesehen, dies ist das fünfte Konzert der Regierung, das ich mir nach der Reformierung anschaue. Es ist eigentlich immer ein Erlebnis, aber heute habe ich etwas zu meckern.
Das „Chez Heinz“ ist nur mäßig gefüllt und so richtig will der Funke nicht überspringen. Das ist aber nicht das Hauptproblem, ich habe auch schon Rossmy-Konzerte mit zwanzig Zuschauern erlebt, die ich trotzdem herausragend fand. Was mich heute etwas stört, sind die für meinen Geschmack etwas einfallslosen Arrangements mancher Stücke. Insbesondere die Gitarre von Ivi spielt immer nach dem gleichen Muster. An sich mag ich ein rhythmusbetontes Gitarrenspiel, aber hier ist die Gitarre zum einen zu laut in Relation zum Rest, und zum anderen wäre etwas mehr Abwechslung in der Spielweise schön gewesen. Es muss ja nicht direkt das große Besteck eines Folke Jensen sein. (Was macht der eigentlich?) So kratzt die Gitarre auch bei eher melodiösen Liedern wie „Nicole“ ungeniert durch, was dem Song eher schlecht bekommt. Und auch das Gezirpe und Rauschen des Synthesizers wird etwas oft eingesetzt. Schließlich muss auch Tilmans Stimme nicht unnötig durch Effekte begradigt werden, gerade das Raue, Tiefe, Ungeschliffene macht sie aus. Trotzdem war das Konzert natürlich noch gut…
Im Vordergrund der Setlist steht ganz altes und ganz neues Material. Die alten Nummern „Elektrische Welt“ oder „Müllmann“ passen gut zu den neuen Liedern. „Was“ wird fast zur Gänze gespielt. Ich hätte mir manchmal zwar etwas mehr Melodie aus der „So drauf“ und „Unten“-Zeit gewünscht. Aber gut, wer ein solches Repertoire an wunderbaren Songs hat, kann halt nicht alles spielen, und sich dem neuen Material zu widmen ist natürlich an sich gut.
Also, tolle neue Platte, diesmal nicht das Konzert des Jahres, Gigs in Berlin, Hamburg oder Essen wären wahrscheinlich besser gewesen. So war ich aber mal im „Chez Heinz“, habe die Regierung auf dieser Tour gesehen und bin beim nächsten Mal natürlich wieder dabei.
Wolfgang Buchholz