Geschrieben am 8. Mai 2013 von für Musikmag

Spotify und Co: Die Streaming-Dienste der Musik-Industrie sind noch lange nicht so weit

Das Bo_Sommer der HerzenSommer der Herzen?

Die Zukunft der Musik: Eine Flatrate. 10 Euro im Monat. Alle Songs und Longplayer der Welt. Immer und überall verfügbar. Kann das wahr sein? Es sieht ganz danach aus. Die Industrie bastelt jedenfalls wie wild an den Angeboten ihrer Musik-Streaming-Dienste, die weltweit boomen. 36 Mio Euro wurden damit 2012 in Deutschland umgesetzt, berichtet der BVMI, Verband der Musikindustrie. Gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 38, 7 %. Mit 19, wahrscheinlich bald 20 und mehr Anbietern soll das in den nächsten Jahren kontinuierlich gesteigert werden. Thomas Backs schaut sich die aktuelle Situation genauer an.

Für mich persönlich sind diese Playlists eine nette Spielerei, mehr nicht. Mit meinem Account beim Marktführer Spotify habe ich gerade mal wieder ein Mix Tape gebastelt, Titel: ‚Sommer der Herzen‘. Mit den besten Wünschen für die Ferienzeit 2013! Die entscheidenden Fragen bestehen trotzdem weiterhin: Wo bleiben in diesem ganzen Spiel eigentlich die Künstler? Es ist von 0,001 bis 0,003 Euro pro Stream eines Titels die Rede. Wohin soll das führen?

Eines vorweg: Solange nicht der mobile Player auf dem Smartphone oder Tablet gefragt ist, lässt sich das Angebot von Marktführer Spotify auch kostenlos nutzen, zumindest 10 Stunden im Monat. Drei verschiedene Nutzungsmodelle werden aktuell angeboten: ‚Unlimited‘ nennt sich der komplett werbefreie Account für zuhause. Kostenpunkt: 4,99 Euro im Monat. ‚Premium‘ heißt die mobile Variante, das dürfte also der Nachfolger des MP 3-Players werden. Gebühr: 9,99 Euro im Monat. Aktuell, also auch für den neuen Mix, habe ich noch einmal die Gratis-Version gewählt – weil es eben einfach ist. Nervige Werbespots hin oder her: Bei Musikern und Produzenten stößt dieser gewaltige Selbstbedienungsladen auf wenig Gegenliebe. Was ja auch wenig verwundert. Wer liefert seine Werke schon gerne kostenlos an die weltweiten ‚Kunden‘?

Verlockend

„Verlockend ist das schon, wenn man sich das vorstellt.“ Sagt ein befreundeter Musiker (nennen wir ihn ‚Mr. D.‘), als ich ihn nach seiner Meinung zu eben diesen Streaming-Angeboten wie Spotify, Simfy, MTV Music etc. frage. Wir sind uns ziemlich schnell einig: Junge Menschen, die nun mit den Angeboten aufwachsen, werden sie in der Mehrzahl gut finden. Diese Musik-Streaming-Dienste werden sich etablieren, das wird sich kaum verhindern lassen. Meint Mr. D, und ich sehe das genau so. Vor allem, weil Musik-, Medien- und Telekommunikations-Konzerne die Geschichte gemeinsam pushen – und das nicht zu knapp.

Verfügbar sind die Wunscherfüllungsmaschinen bereits seit einiger Zeit,: 10 Euro im Monat zahlen, und dafür mit dem entsprechenden Endgerät Zugriff auf (beinahe) unendlich viele Tracks und Alben haben, Spotify kooperiert nicht nur mit Facebook, hat sich auch die Telekom mit ins Boot geholt, und wirbt mit „über 20 Mio Songs“, die immer und überall verfügbar sind.

Bemerkenswert ist das Tempo, in dem sich der mediale Wandel vollzieht. Mit Download-Angeboten wie MP 3 füllen Amazon, Apple (iTunes) & Co. aktuell ihre Kassen, für die Urheber bleiben Kleckerbeträge (ca. 9 Cent pro Download), mit denen sich nicht viel anfangen lässt. Jetzt also scheint bereits die nächste Stufe der Kette erreicht, die neuen Dienstleister verändern den Markt radikal, zumeist im Duett mit mächtigen Geschäftsspartnern, die ebenfalls profitieren wollen.

Global Player: Von Redmond bis Köln

Spotify (Sitz: Stockholm) kooperiert also im großen Stil mit der Telekom, dort kann die Musik-Flatrate für 10 Euro als ein Element des Handy-Vertrags gebucht werden. Ein Baustein, genau wie SMS-Flat, Internet-Flat oder Cloud. Das Geschäft mit den Audio-Strömen scheint zu brummen, auch wenn die Anbieter sich bisher mit Zahlen zum Thema Kunden und Nutzung sehr bedeckt halten. Wenn die Industrie kein Potenzial erkennen könnte, dann wären es jedenfalls kaum 19 Unternehmen, die bereits massiv um Kunden werben. Und vor allem: Es wären nicht die großen Player, die sich hier bereits tummeln: Xbox Music heißt z.B. der Streaming-Dienst von Microsoft (Sitz: Redmond, Washington (USA). Klare Sache: Da muss Profit winken, sonst wäre der Software-Riese nicht im Boot.

Die Nummer zwei der Streaming-Dienste war in Deutschland hinter Spotify zunächst noch Simfy (Sitz: Köln), das sein Angebot als einer der ersten Anbieter gestartet hatte. Die junge Branche ist im Wandel, 2013 dürfte sich an der Rangfolge einiges ändern. Weltweit im Geschäft ist zum Beispiel das französische Unternehmen Deezer (Sitz: Paris). Offenbar auch keine kleine Nummer, mit finanzstarken Investoren im Hintergrund. Die nächsten Wettbewerber stehen zudem bereits in den Startlöchern: E-Plus (Sitz: Düsseldorf) positioniert sich gerne als ‚Challenger‘ der großen Konzerne Telekom und Vodafone, und bringt seinen Base-Kunden jetzt die eigene Musik-Flatrate. MTV-Music powered by Rhapsody heißt der Spaß. Ein Unterschied zur Telekom ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Heißt: Wer die Musik-Flatrate für 10 Euro/Monat bucht, soll wunschlos glücklich werden, mit Zugriff auf beinahe unendlich viel Material. Wir sehen: Es sind große Player, die den Smartphone-Walkman melken wollen. Und es werden immer mehr, zum Beispiel mit Ampya , das bald für eine Menge Wirbel sorgen dürfte. Hinter dem klangvollen Namen steckt die Magic Internet Musik GmbH. Letztlich also niemand anderes als deren Mutter , der ProSiebenSat.1-Konzern (Sitz: München).

TV-Konzerne, Telekommunikationsunternehmen, Major-Labels, Streaming-Dienste – sie alle pushen die Audio-Ströme also gemeinsam, wollen neue Bezahlmodelle erschließen. Die Weichen scheinen längst gestellt, weil die Industrie es so will. Was bleibt Musikern und Urhebern?

Der Künstler als Kaufmann

Das Ziel, es kann eigentlich nur eines sein, nämlich die Koexistenz von physischen Tonträger und digitalen Medien. Ein Premium-Segment, das den Künstlern selbst gehört, mit eigenen Labels, eigenen Vinyl-Scheiben und eigenen Web-Shops. Mein Musiker-Freund, Mr. D., der sieht es jedenfalls genau so. Aus seiner Sicht die einzige plausible Antwort: „Neben Live-Auftritten und Events wird es bei den Tonträgern eben noch viel mehr um Specials und Exklusivität gehen“. Also: Die limitierte Vinyl-Auflage des neuen Albums, die handsignierte 7inch, das exklusive T-Shirt – sie werden für Musiker und Freunde eben noch mehr Bedeutung bekommen als sie es bereits jetzt haben. Sprich: Der Produzent muss in dieser schönen neuen Medienwelt auch selbst Unternehmer/ Kaufmann sein, mit eigenem Shop, möglichst ohne Zwischenhändler.

Honig_Shop

Realität ist dieses Modell längst, es dürfte sich in Zukunft noch weiter verbreiten. Ob ein Herr Boa, die Engländer British Sea Power oder der Singer-Songwriter Honig früher davon geträumt haben, später mal ein eigenes Geschäft zu eröffnen ? Ich wage es zu bezweifeln, aber im Grunde ist es bei diesen Musikern längst geschehen, wie wir sehen.

Was mache ich selbst, als Musikliebhaber und Journalist, aus diesem ganzen Wirrwarr und den rasanten Veränderungen der Branche? Die Antwort: Eigentlich genau das, was ich seit Jahren mit bewährten Audio- und Video-Streams wie MySpace,YouTube (wann kommt eigentlich der Google-Stream?) und Soundcloud mache: Ich nutze das Netz, um reinzuhören. So wie früher, im Plattenladen, damals noch mit Kopfhörern. Heute eben zuhause, am eigenen Rechner. Und dann werden weiter physische Tonträger gekauft, Vinyl und CD, für meine gute alte Stereo-Anlage. Ob die nächsten Generationen, die heutigen Schüler und unsere Kinder, das auch noch so machen werden? Mr. D. und ich wissen es nicht, woher auch? Möglich, dass viele Menschen in zehn Jahren alles aus dem Netz ziehen: Musik, Filme, Turnschuhe, Tennissocken etc. Aber es wird auch weiterhin die Musikliebhaber geben, die Bands und Künstler begleiten und mit mehr als 0,003 Euro pro Stream unterstützen, da bin ich mir sicher.

‚Sommer der Herzen‘ habe ich meinen neuen Spotify-Mix genannt. Dass die Streaming-Dienste diesen Sommer noch nicht erreicht haben, dass sie von einem fairen Bezahlmodell für die Urheber meilenweit entfernt sind, dass sollte jedem klar sein. Mehr als ein kleiner Zusatz, ein feine Werbeplattform, mit dem über stationäre Rechner und Smartphone-Walkmen für Live-Konzerte und physische Tonträger geworben wird, können die Audio-Ströme noch nicht sein.

‚Sommer der Herzen‘ ist eine kleine Spielerei, Ausgangspunkt war der Gedanke, möglichst viel Sommer, Summer und Sonne einzufangen. Übrig blieben: ‚Asleep On A Sunbeam‘ (Belle & Sebastian), ‚Sunday Shining‘ (Finlay Quaye), ‚Die Sonne, Die Scheint‘ (Jan Delay feat. D-Flame), ‚Taschen Voller Sonnenschein‘ (Blumentopf) und ‚Sun‘ (Caribou). Was sonst so läuft: Hört es Euch selbst an, wenn Ihr mögt.

‚Sommer der Herzen‘ ist ein Track von Das Bo featuring Kassim Auale. Ein Hit, der gehört auf jeden Fall in den Mix für den Sommer 2013. Entdeckt habe ich den tatsächlich bei Spotify, was vielleicht auch kein Zufall ist. Gemeinsam mit dem Coca Cola-Konzern (Sitz: Atlanta, Georgia /USA ) hat Spotify im November (!) 2012 offenbar im größeren Stil geworben, eben mit Das Bo („Hamburgs Finest“ wird der da genannt. So, so…) featuring Kassim Auale. Fernsehzuschauer könnten noch mehr darüber wissen, offenbar hatten beide etwas mit einer Casting-Show namens ‚X-Factor‘ am Hut. Betrachten wir das Ganze hier mal völlig losgelöst, für diese Playlist spielt es jedenfalls keine Rolle. Okay, Sommerhits, die werden eher selten im November geboren. Aber das ist schon wieder ein ganz anderes Thema…

Thomas Backs

P.S.: Was wir im Zukunft immer häufiger im Blick haben sollten: Das Thema Netzneutralität. Das zeigt sich gerade in diesen Tagen, wo die Telekom ankündigt, neue Verträge und Obergrenzen für Datenmengen einzuführen. Eben jene Telekom, die in der Kritik steht, weil sie offenbar das Volumen ihrer eigenen Entertainmentprodukte und das von Kooperationspartnern wie Spotify nicht anrechnet, wenn es um die Konten ihrer Kunden geht. Bei den Volumen, die Produkte anderer Dienstleister und Wettbewerber verbrauchen, soll es dagegen anders sein. Wenn dem so ist, dann wäre das eine Verletzung der Netzneutralität, und es ist klar, welche Konflikte dann auf Kunden und Anbieter warten.

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