Geschrieben am 30. November 2011 von für Musikmag

Soundcollage: Neues vom Jazz

Es gibt einiges aufzuarbeiten im Jazz, aber auch viel Neues zu entdecken – Tina Manske hat sich Neuveröffentlichungen angehört von Nicholas Payton, Alfred Vogel sowie eine Anthologie zum Thema Boosa Jazz.

Various: Bossa JazzMitreißend

Ende der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts machten sich viele brasilianische Jazzmusiker auf in die USA, um dort mit ihren amerikanischen Kollegen zusammenzuarbeiten. Heraus kam der sogenannte Brazilian Fusion Jazz, auch bekannt als Hard Bossa oder Samba Jazz, eine wilde Mischung aus nord- und südamerikanischen Rhythmen und Sounds.

Die Hauptdarsteller dieser ungemein produktiven Phase waren Musiker wie Sergio Mendes, Paolo Moura, das Sambalanco Trio, das Quarteto Novo und und und. Einige der mitreißendsten Sounds dieser Ära kann man nun auf diesem Doppelalbum aus dem Hause Soul Jazz Records nachhören. Diese Musik verführt ebenso zum Tanzen wie zum genauen Nachhören der verschiedenen Einflüsse, die sich in diesen ebenso melodiösen wie zum Teil rhythmisch vertrackten Stücken offenbaren.

Leider im Promo-Package nicht enthalten waren die vom Label versprochenen ausführlichen Linernotes, die die Stücke in ihren geschichtlichen Kontext einordnen – wir gehen aber davon aus, dass dieses Booklet tatsächlich ebenso gut rüberkommt wie diese CDs.

Various: Bossa Jazz. The Birth of Hard Bossa, Samba Jazz and the Evolution of Brazilian Fusion 1962-73. 2 CD. Soul Jazz Records (Indigo).

Various: Vogelperspektive Vol. 1Wie mit Watte getupft

Bevor sich der Schlagzeuger Alfred Vogel dem Jazz verschrieb, war er als Soul-Musiker unterwegs. So ist es kein Zufall, dass die Stücke auf „Vogelsperspektive Vol. 1″ einen souligen Hintergrund haben. Soul, den muss man beherrschen, wenn man mit Vogel kooperieren will, so wie die Musiker, die er für den ersten Teil seines fünfteiligen Zyklus in dem kleinen österreichischen Kaff Bezau um sich gesammelt hat. Wir reden hier aber nicht von Samt und Seide: „Vogelperspektive“ präsentiert komplizierte Musik, keine Frage, aber mit einer großen Leichtigkeit vorgetragen.

Alles beginnt mit einer klassischen Melodie, dargeboten von zwei Violinen, denen Vogel lediglich bruchstückhafte Percussion hinzufügt. Das folgende „Man On The Harmonica“ ist hingegen inspiriert von Morricone und stellt mit Bass und Gitarre ein wenig mehr Härte in den Vordergrund. Doch auch hier bestimmt Luftigkeit das Arrangement, auch die Seiten werden wie mit Watte getupft. Titel wie das abschließende „Facebook love affair“ zeigen, dass man aktuelle Themen auch ganz universell behandeln kann.

Für das Jahr 2012 sind vier weitere Folgen von „Vogelperspektive“ angekündigt – mit „Die Glorreichen Sieben“, „Le Noir“, „Intensivstation“ und „Solo Duo Trio“ allesamt vielversprechende Titel, und alle auf dem hauseigenen Label Boomslang Records. Dort werden die hier bereits vorgestellten verschiedenen Konstellationen ausführlicher präsentiert.

Various: Vogelperspektive Vol. 1. Boomslang Records.

Nicholas Payton: BitchesMitten in den Sozialstatistiken

Vom Hoffnungsträger des Neo-Bop gibt es ebenfalls erfreulich Neues. Mit „Bitches“ hat Nicholas Payton ein Konzeptalbum aufgenommen, das sich ganz der Liebe zwischen Mann und Frau (auch Heteronormativität genannt) widmet und dabei auch nicht vor Bezugnahmen auf die Schöpfungsgeschichte zurückschreckt. Vom Titel des Albums sollte man sich nicht täuschen lassen: „Bitches“ ist keine Beschimpfung von, sondern eine Ode an die Frauen und an die Liebe an sich. Und was für eine: Bis auf die Vokalgäste und den Produzenten Mark de Clive-Lowe hat Payton das Album quasi im Alleingang aufgenommen.

Im Sound bedient sich Payton stark beim R’n’B und auch bei Hip-Hop, zwei Genres, die seiner Auskunft nach bereits lange eine Rolle in seinem Klanguniversum einnehmen. Die erwähnten Gastvokalisten sind übrigens auch fein gewählt: Esperanza Spalding gibt die gefühlvolle Eva, im Finale greift Cassandra Wilson ein, darüber hinaus sind Chinah Blac, N’dambi und Saunders Sermons zu hören. Übrigens ist man auch hier – trotz aller mythologischen Bezüge – ganz in der Gegenwart: „60 percent of marriages end in divorces/ it’s a miracle we still take the time“, singen Payton und N’dambi in „Togetherness Foreverness“ – auch R’n’B ist mitten in den Sozialstatistiken angekommen.

Nicholas Payton: Bitches. IN+OUT Records (in-akustik).

Tina Manske

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