Geschrieben am 10. Oktober 2012 von für Musikmag

Soundcollage: John Cage zum 100. Geburtstag

John Cage, einer der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Dieses Jubiläum nehmen viele Labels zum Anlass, mit Veröffentlichungen an den Künstler und sein Werk zu erinnern. Cage selbst mochte keine Musikaufnahmen, er schätzte die unmittelbare musikalische Aufführung. Tina Manske hat sich trotzdem drei Konserven angehört.

John Cage: As It IsAs It Is

Der Pianist Alexei Lubimov und die Sängerin Natalia Pschenitschnikova widmen sich auf dieser CD einiger Kompositionen des frühen John Cage aus den 30er- und 40er-Jahren. Es sind Stücke, in denen Cage Texte der Schriftsteller E. E. Cummings, James Joyce und Gertrude Stein vertonte. Lubimov verband mit Cage eine enge Arbeitsbeziehung: im Jahr 1988 luden russische Komponisten den Amerikaner nach Leningrad zum Internationalen Festival für Zeitgenössische Musik ein. John Cage war damals so etwas wie ein Guru für den russischen musikalischen ‚Untergrund‘, wie Lubimov in den Linernotes erzählt.

Die Kompositionen entstammen der Frühzeit der musikalischen Moderne. Als Cage seine Karriere begann, war Schönbergs Idee der seriellen Musik gerade mal ein paar Jahre alt. Und Cage blickte über den musikalischen Tellerrand hinaus, ließ sich von der innovativen Literatur seiner Zeit beeinflussen. So nimmt er die Repetitionen von Steins „Is It As It Was“ auf und ‚übersetzt‘ sie in musikalische Sprache, in Kadenzen und Klimaxe. Auch das präparierte Klavier, dessen Erfinder Cage war, kommt in Stücken wie „Prelude for Meditation“ zum Einsatz: Alltagsgegenstände werden in die Saiten des Pianos eingeführt und erzeugen somit perkussive Klänge.

John Cage: As It Is. ECM Records (Universal).

John Cage: Song BooksSong Books

Etwas gewöhnungsbedüftiger sind die Aufführungen der Kompositionen aus John Cages „Song Books“, die bei Subrosa gerade erschienen sind. Das Werk war Cages Hommage an die menschliche Stimme, und die hier vereinten Performances von Lore Lixenberg, Gregory Rose und Robert Worby loten die Tonleiter bis zum Anschlag aus. Die Stücke wurden in den 1970er-Jahren geschrieben, und wie nicht selten bei Cage war der Zufall ein Hauptbestandteil der Komposition. Das chinesische I Ging verriet ihm, wieviele Songs pro Songbook zu komponieren waren, nämlich 56 und 34. In nur drei Monaten schrieb er also 90 Songs für Solostimme, sozusagen einen pro Tag, und auch hierbei konsultierte er das I Ging mit jeweils drei Fragen pro Song, von deren Beantwortung die Struktur des Songs abhing (was für eine Art Solo ist es, auf welche Art und Weise werde ich es komponieren etc.). Zusammen ergeben diese Stücke ein Vorbild an Diversität, die man nur noch mit ihrem Bruder im Geiste vergleichen kann, dem „Solo For Piano“. Wie sagte Cage einmal ganz richtig: „You don’t have to call it music, if the term shocks you!“

John Cage: Song Books. 2 CD. Subrosa.

Inke Arns und Dieter Daniels: Sounds Like SilenceSounds Like Silence

Ein Hörstück von Inke Arns und Dieter Daniels widmet sich dem bekanntesten Werk von John Cage – seinem silent piece „4‘33‘‘“, einer Komposition in drei Sätzen mit kompletter Stille. Es feiert in diesem Jahr ebenfalls einen runden Geburtstag. Bei der Uraufführung im August 1952 markierte der Pianist David Tudor die Anfänge und Endpunkte der Sätze mit dem Anheben und Schließen die Klavierdeckels. Seitdem haben unzählige Musiker und Orchester ihre eigene Interpretation des Stückes vorgelegt. Aber Cage war nicht der erste, der sich mit Stille als Sound beschäftigte. Schon in den 1930er-Jahren legten Künstler wie Marinetti ähnlich gelagerte Arbeiten vor. Und natürlich hatte Cage Nachfolger: So filterte Matt Rogalsky in seinem Stück „Two Minutes Fifty Seconds Silence (for the USA)“ aus dem Jahr 2003 alle Töne aus George W. Bushs „Rede an die Welt“, in der er Hussein ein Ultimatum für den Abzug aus Afghanistan stellt. Eine gespenstische Aufnahme – nur die Echos von Bushs Stimme im Weißen Haus sind zu hören, und sie klingen wie Bombeneinschläge.

Die CD versteht sich als „Anthologie der Stille“. Der Titel „Sounds Like Silence“ benennt eine Doppeldeutigkeit: Stille kann ein Sound sein, aber Sounds benötigen auch die Stille als ihrem Gegenpart. Arns und Daniels teilen ihr Hörstück in sechs akustische, thematisch geordnete Räume ein. Sie betrachten dabei die Geschichte von Stille bei Aufführungen, bei Ausstrahlungen im Rundfunk, bei der Aufnahme im Studio etc. Die Arbeit bietet damit einen kurzweiligen und reichlich informativen Einstieg in die musikalische Konzeption von silence.

Inke Arns und Dieter Daniels: Sounds Like Silence. Cage/4‘33‘‘/Stille. 1912-1952-2012. Gruenrekorder. Radioeröffnung der gleichnamigen Austtellung des Hartware MedienKunstVereins im Dortmunder U (noch bis 6. Januar 2013). Zur ausführlichen Beschreibung bei gruenrekorder, inklusive einiger Hörproben. Direkt zum Ausstellungsführer.

Tina Manske

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