Geschrieben am 23. April 2014 von für Musikmag

Soundcollage: Gefühlige junge Männer

Der empfindsame junge Mann, mit dem man aber auch Pferde stehlen kann, er ist wieder hoch im Kurs, auch in der Popmusik.

sohn_tremorsSOHN: Tremors

Wenn Toph Taylor alias SOHN beim Opener „Tempest“ zum ersten Mal in die hohe Tonlage wechselt, trennt sich die Spreu vom Weizen – entweder die Armhaare stellen sich auf oder eben nicht. Man wird sich aber darauf einigen können, dass SOHN eine Mischung aus balladeskem Singer/Songwritertum und elektronischen Postdub-Beats bietet, die man sonst selten findet.

Die Titel der Stücke auf „Tremors“ benötigen meist nicht mehr als ein Wort, doch SOHN ist ein sehr textbasiert agierender Musiker. Zeilen wie „I died a week ago/ there’s nothing left/ It’s caught on video/ the very last breath“ zeigen, dass hier jemand am Werk ist, der mit Worten umzugehen weiß. Aber wie gesagt, die basslastige („Fool“!) Elektronik kommt nicht zu kurz. Bestes Beispiel ist vielleicht „Paralysed“: lediglich begleitet vom Piano erzählt SOHN seine Geschichte des Verlassenwerdens und wie ihm das geliebte Gegenüber beständig die Kehle durchschneidet, während der elektronische Sound das nötige Schnittgeräusch hinzuliefert.

Ab „Veto“ wiederholen sich die Harmonien dann doch, und Taylor scheint am Ende seiner Möglichkeiten ankommen. Ein James Blake ist er halt nicht. Es mag aber vielleicht zuallerletzt auch daran liegen, dass SOHN genau auf der Tonlage liegt, die es mir möglich macht, lautstark mitzusingen, dass „Tremors“ mich zumindest in der ersten Hälfte so richtig glücklich macht.

chrisgarneau_wintergamesChris Garneau: Winter Games

Der Typ macht einen fertig: Kaum einer kann einen mit seinen mit sanfter Stimme interpretierten Songs so tief in die Erinnerungsschichten herunterziehen und gleichzeitig so wach machen wie Chris Garneau. „Tu peux parler en anglais si tu veux/ je m’en fou“, heißt es zu Beginn, und tatsächlich wird in der Folge auf englisch erzählt. Und Garneau ist ein sorgfältiger Erzähler. Vor bombastischen musikalischen Tableaus aus Bläsern und Streichern (wie sie auch seinem Bruder im Geiste Sufjan Stevens gut zu Gesicht stünden) lässt Garneau Geschichten aus seiner Jugend erklingen, Geschichten von Missbrauch und Einsamkeit: „Snow mounted up to the kitchen window… no footprints to follow to grandmother’s stone“.

Bereits vor fünf Jahren hat Chris Garneau seine Arbeit an „Winter Games“ begonnen. „Diese Platte handelt nicht von irgendwelchem trivialen Mist, sondern davon, wie Liebe schief geht, und wie deine Persönlichkeit in den ersten Jahren deines Lebens geformt wird. Es geht um den Sieg über elterliche Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch und familiäre Ablehnung“, sagt Chris Garneau über seine neue Platte. Und trotz dieser ernsten Themen ist „Winter Games“ wieder einmal zutiefst ermutigend. Beim immer wieder wunderbaren „Winter Song #1“ meint man sogar die Anfänge von „Weißt du wohin“ aus „Doktor Schiwago“ zu hören, und es ist keine Sekunde peinlich.

chetfaker_builtonglassChet Faker: Built On Glass

Anders als seine vorgenannten Zeitgenossen beruft sich Chet Faker weniger auf den aktuellen Trend zum Dubstep als auf den alten Ruf des Soul und des Jazz. Obwohl er dann in Songs wie „Cigarettes & Loneliness“ dann doch wieder zu ebendiesem Dubstep (courtesy of David Gray) findet, ist dieser doch sehr catchy gelagerte Song doch erst am Ende eines Albums zu finden, das in der halben Stunde zuvor sehr unspektakuläre, aber dabei nicht weniger beeindruckende Musik bietet.

„Built On Glass“ ist das sehr verheißungsvolle Debüt des Australiers Chet Faker, konstruiert mit einer Vinyl-Aufteilung mit sechs Stücken pro Plattenseite, und das auf sehr kluge Weise. Kaum ist mit „To Me“ eines der stärksten Stücke des Album verklungen, begrüßt eine männliche Stimme und zu Teil zwei mit der Aufforderung, uns doch schön zu entspannen. Und tatsächlich haben die Titel auf „Built On Glass“ genau diese Wirkung – sie machen aufmerksam, aber gleichzeitig fähig dazu, in die Zukunft zu schauen. Ein bisschen wie die Jackson Five in Zeitlupe. Schon nicht verkehrt, dass Faker selbst seine Musik „Future Beat“ nennt.

Tina Manske

SOHN: Tremors. 4AD/Beggars (Indigo); Chris Garneau: Winter Games. Clouds Hill (Rough Trade); Chet Faker: Built On Glass. PIAS/Future Classic (Rough Trade).

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