Geschrieben am 27. Juni 2012 von für Musikmag

Soundcollage: Elektro gestern und heute

Moebius + Tietchens: s/tNoch einen Zacken schärfer

– Das verbindende Element der heutigen Soundcollage ist Dieter Moebius. Er war Mitbegründer von Kluster, deren beiden Alben gerade neu aufgelegt werden. Gleichzeitig erscheint seine erste Zusammenarbeit mit Asmus Tietchens. Von Tina Manske

Das unbetitelte Album von Dieter Moebius und Asmus Tietchens kommt aus heiterem Himmel und ist eine ziemliche Sensation. Nicht, weil die Sounds so unerhört wären – unangepasste Geräusche und innovative Soundexperimente ist man von beiden ja gewohnt. Dieter Moebius hat mit seinen Bands Harmonia und vor allem Kluster/Cluster Geschichte geschrieben, Tietchens hat sich als geschätzter Solokünstler und Geräuschexzentriker (und fleißiger Schreiber kenntnisreicher Linernotes) einen Namen gemacht.

Nein, es ist die Selbstverständlichkeit, mit der hier zwei Mammute der deutschen Elektronikszene zum ersten Mal zusammenarbeiten und etwas wahrhaft Neues erschaffen, und man fragt sich die ganze Zeit: Warum haben sie das nicht schon früher gemacht? Gerüchteweise ist das Album die Einlösung eines Versprechens, das sich die beiden vor 35 Jahren gegeben haben. „Wir müssen mal eine Platte zusammen machen“, soll Moebius Tietchens damals aus dem fahrenden Auto zugerufen haben.

Egal ob’s stimmt oder nicht, dieses Album ist ein Glücksfall, und es ist ganz und gar auf der Höhe von 2012. Die dreizehn Stücke folgen keinem Rezept, keiner Agenda, es scheint, als hätte jede Idee eine Chance gehabt aufzutauchen. Das reicht von düsteren Sounds wie auf dem eher skizzenhaften Opener „Cremon“ über das obligate Fiepen zum ausufernden Krautrockbeat bei „Kattrepel“, über das wirklich famos stoische „Thorax“ bis hin zum träumerisch-verspielten „Lange Reihe“, das mit seinen über 10 Minuten Laufzeit so etwas wie das Rückgrat der CD bildet.

Kluster: KlopfzeichenVerspielt, das waren auch Kluster, das Projekt, das Dieter Moebius in den 70er-Jahren zusammen mit Hans-Joachim Roedelius und Conrad Schnitzler aus der Taufe hob. Man kann sich die Verstörung noch heute vorstellen, mit der die Zeitgenossen von Kluster 1970 das Erscheinen von „Klopfzeichen“ aufnahmen. Die Platte ist die erste Manifestation einer tiefen künstlerischen Überzeugung der drei beteiligten Künstler, dass Musik in völliger Anarchie und Freiheit entstehen solle. Ganz unabhängig war man dann aber doch nicht: Ein befreundeter Kirchenmusiker machte es möglich, dass Kluster überhaupt ins Studio kamen und machte auch den Weg frei zur Veröffentlichung der Platte bei einem kirchlichen Plattenlabel.

Ein echter Treppenwitz der Geschichte – so kamen denn auch die Texte zustande, die von Christa Runge über das erste Stück „Kluster 1“ mit energischer Stimme gesprochen werden. Sie sind ein Zugeständnis an den Verlag und Zeugnisse einer untergegangenen Zeit, nämlich der kämpferischen Friedensbewegung der 70er-Jahre, und auch die Musiker selbst sind heute der Meinung, es tue der Rezeption der Platte gut, wenn man als Hörer kein Deutsch versteht.

Kluster: Zwei OstereiTrotz dieser Irritationen ist „Klopfzeichen“ ein starkes Stück. Wenn im zweiten Teil die Stimmen schweigen und nur die Geräusche regieren, versteht man auch sofort, warum. Mit solcher Wucht waren Gitarre, Bass, Orgel, Cello, Flöte und Trommel bisher noch nicht bearbeitet und übereinandergeschichtet worden.

Was man hier hört, ist nicht weniger als die Erfindung der Industrial Music. Elektronische Instrumente übrigens sucht man hier vergeblich, alles wurde analog eingespielt und von Tonmeister Conny Plank schön auf Düsternis getrimmt. In dieselbe Kerbe schlug auch das Nachfolgealbum „Zwei Osterei“ aus dem Jahr 1971. Kein Wunder, entstanden die Titel doch in derselben Aufnahmesession wie „Klopfzeichen“. Dieses Mal sind im ersten Teil lyrische Texte u. a. von Hilde Domin und Kurt Marti dabei.

Doch „Zwei Osterei“ ist tatsächlich noch einen Zacken schärfer, kompromissloser, grenzenloser in seinem Anspruch. Songstrukturen, Rhythmik, musikalische Konventionen? – Pustekuchen. Kluster scherten sich einen feuchten Dreck um Erwartungshaltungen oder Hörgewohnheiten. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Bureau B uns gerade jetzt wieder an diese Brachialität erinnert. In einer Zeit, in der auch Alben wie das von Moebius + Tietchens trotz seiner relativen Harmlosigkeit zur Avantgarde zählen, wäre ein wenig mehr Mut auf Seiten der Künstler wieder wünschenswert.

Tina Manske

Moebius + Tietchens: s/t. Bureau B (Indigo). Zur Homepage von Dieter Moebius und Asmus Tietchens.
Kluster: Klopfzeichen; Zwei Osterei. Beide Bureau B (Indigo).

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