Tina Manske hat in Re-Releases wegweisender elektronischer Musik deutscher Provenienz reingehört – zwei überraschende Neuveröffentlichungen waren auch dabei.
Alte und neue Elektronik
Kurt Dahlke aka Pyrolator veröffentlichte 1987 seine Platte „Pyrolator’s Traumland“ (man bemerke die Internationalisierung im Apostroph!). Als seine vierte Soloplatte eröffnete sie ein neues Kapitel in der Karriere des Mannes, der das Kultlabel Ata Tak mitbegründet und als Mitglied von Der Plan und D.A.F. für den Erfolg von Postpunk in Deutschland entscheidende Impulse geliefert hatte. Auf „Pyrolator’s Traumland“ spielte Dahlke erstmals mit Gesang und charttauglichen Ingredienzen wie Saxophonsoli, wobei ihm wahre Popperlen gelangen (wie z. B. „E.V.E.“ oder das jazzige „Whiteness“), aber auch atmosphärisch-dichte Stimmungsbilder. Pop, das war bisher eigentlich seiner Band Der Plan vorbehalten, hier machte Dahlke eine Ausnahme. Erstaunlich, wie gegenwärtig das tolle Album übrigens auch heute noch klingt. Zu Zeiten der Erstveröffentlichung wurde „Traumland“ eine typische Kritikerplatte, vom Publikum weitgehend schulterzuckend links liegen gelassen. Das sollte sich nun endlich ändern.
Der Komponist und Konzeptkünstler Conrad Schnitzler sorgte, ebenfalls 1987, mit seinem Album „Congratulacion“ für gehobene Augenbrauen. Wie so oft ließ es sich Schnitzler nicht nehmen, die neuesten technischen Entwicklungen in seine Stücke einfließen zu lassen; hier profitierte er von der neuen CX 5 von Yamaha, die es ihm ermöglichte, analoge und digitale Klänge nebeneinander anzuordnen und in Windeseile die erstaunlichsten Tracks zu komponieren. Dass ihm das jede Menge Spaß gemacht haben muss, sieht man – abgesehen vom eigenen Spaß, den man beim Hören empfindet – an der Länge der Titel, die meist nicht die 3-Minuten-Grenze erreichen, bevor der nächste anfängt. Als wollte Schnitzler uns sagen: Es gibt so viele gute Ideen da draußen, ich will sie alle hörbar machen!
Von Asmus Tietchens Titel „Nachtstücke“, seiner ersten Soloplatte und erstmals veröffentlicht 1980, lässt man sich gern zu völlig falschen Annahmen und Erwartungen animieren. Keineswegs leise, beruhigend und auf die Nachtruhe vorbereitend sind diese Stücke, sondern geisterhaft, beunruhigend, manches Mal enervierend. Produziert wurden die „Nachtstücke“ von Peter Baumann, seines Zeichens Mitglied von Tangerine Dream. Und tatsächlich transportieren die Stücke eine gewisse Zurückgenommenheit, eine Milde, die auch Tangerine Dream eigen war. Mit Moog und Minimoog eingespielt suchen sie zwar nicht die Dissonanz, waren aber trotzdem mit ihrer Sanftheit ein Fremdkörper in der elektronischen Landschaft, die zu dieser Zeit in härtere Gänge schaltete. Ein schöner Titel zum Reinhören ist z. B. „Lichterwald“ mit seinem spukhaften repetitiven Muster.
Aber auch eine Premiere soll hier nicht verschwiegen werden. Mittlerweile sind ja alle Tietchens-Alben, die dieser zwischen 1981 und 1983 auf dem Label Sky veröffentlichte (seine sogenannte „Pseudo-Pop-Phase“), bei Bureau B wiederveröffentlicht. All das, was da nicht mit dabei war, Outtakes und Liegengebliebenes, kommt nun unter dem Titel „Der fünfte Himmel“ auf den Ladentisch. Und an der Qualität kann es nicht liegen, dass man Stücke wie „Fast Food“ oder „Zum Tee bei Frau Hilde“ erst jetzt käuflich zu erwerben sind. Vielmehr dürfte ihre vergleichsweise Exzentrik ein Grund für die verspätete Veröffentlichung sein. Für die Kalauer-Sprachspiele von „Würgstoffe“ und „Niedermacher“ soll sich, so hört man, der Künstler mittlerweile schämen, was aber keineswegs nötig ist, dafür machen die kleinen elektronischen Ausflüge viel zu viel Spaß.
Zu den innovativsten Kollektiven der deutschen Elektrogeschichte gehört die Zusammenarbeit zwischen Dieter Moebius (Cluster, Harmonia), Mani Neumeier (Guru Guru) und Jürgen Engler (Male). Im Jahr 1996 erschien das gemeinsame Album „Other Places“, eine Platte, die das Prinzip des Jazz in die Elektronik überführte. Alle neun Stücke wurden in einem Take aufgenommen, ohne nachträgliche Überspielungen. Das Ergebnis, das man jetzt auf dem Re-Release bei Bureau B nachhören kann, war repetitive, beinahe mantraartige Intensität mit bisher ungehörten Tönen. Besonderen Anteil an der bei aller Rafinesse eingängigen Musik hat das Live-Schlagzeugspiel von Mani Neumeier, das an rituelle Tänze denken lässt. Man kann es kaum glauben, dass „Other Places“ inprovisiert wurde, solche dunkle Magie geht von den Stücken aus.
Aber es kommt noch besser: In diesen Tagen, nicht weniger als 17 Jahre später, veröffentlichen Moebius Neumeier Engler das Nachfolgealbum. „Another Other Places“ ist der schöne Name der Platte, die genau dort anknüpft, wo der Weg Mitte der 90er-Jahre verlassen wurde. Und es ist, als hätten die drei ihre Zusammenarbeit niemals unterbrochen. Wieder sind es neun Stücke, die bestimmt sind von den markanten Drums und der spielerischen, ja fast humorvollen Herangehensweise an Melodien und Harmonien. So klingt der Titel „Wohlauf“ wie ein durchgeknalltes Kinderlied, „Wahnfried“ beschwört wiederum dunkle Gefühle herauf, die sich das Gewand neonfarbener Seifenblasen geben. Überhaupt ist „Another Other Places“ noch experimenteller und abenteuerlicher als sein Vorgänger und verlangt dem Hörer durchaus eine gewisse Mitarbeit ab. Die lohnt sich aber vollkommen.
Tina Manske
Asmus Tietchens: Der fünfte Himmel; Nachtstücke; Conrad Schnitzler: Congratulacion; Moebius Neumeier Engler: Other Places; Another Other Places; Pyrolator: Pyrolator’s Traumland; alle Bureau B (Indigo).