Geschrieben am 26. Januar 2011 von für Musikmag

Soundcollage

Das Label Bureau B wiederveröffentlicht in schöner Regelmäßigkeit die wichtigen Platten der deutschen elektronischen Avantgarde vergangener Jahrzehnte, und auch sonst jede Menge gutes neues Kraut und Ambient. Tina Manske sagt danke.

Cluster: Cluster 71Alles muss wieder raus!

Im Jahr 1971 zum Beispiel erschien „Cluster 71“ von Cluster, der Band von Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius, und man kann mit Fug und Recht sagen, dass man solch eine Musik bis dato noch nicht gehört hatte. Das Debütalbum des Duos, das sich ein Jahr zuvor gegründet hatte enthält drei Stücke, keines davon hat einen Titel – die Angabe ihrer Länge in Minuten und Sekunden allein gibt den Tracks ihre Individualität. Aber was sind das für Tracks; „7:42“ beginnt fast unmerklich, ein leises Heraufdämmern eines Sounds, elektrifizierter Sonnenaufgang. Und so geht es weiter: Cluster verabschiedeten sich von gebräuchlichen Strukturen und Harmonien, begaben sich kompromisslos auf den Weg der Live-Improvisation, kannten keine Grenzen beim Gebrauch jeglicher Geräusche und ließen sich treiben in dem geglückten Versuch, Bestandteile von E- und U-Musik zu vereinen. Die Vorausschau, die sie dabei betrieben, kann man nicht genug bewundern: Am Ende von „15:43“ konnte man bereits Anfang der 70er-Jahre Techno-Sounds hören, Strukturen, die erst 15 oder 20 Jahre später zu ihrer Blüte kommen sollten.

Bildnisse der Künstlers Roedelius: Selbstportrait I

Neben seiner Arbeit mit Dieter Moebius, Michael Rother und Brian Eno nahm sich Hans-Joachim Roedelius zwischen 1973 und 1979 auch Zeit, um ganz allein auf Soundsuche zu gehen. Auf „Selbstportrait I“, erschienen 1979 beim Sky Label, macht Hans-Joachim Roedelius genau das, was der Titel besagt – er malt sich selbst in Musik. Alles auf den „Selbstportraits“ (Teil II erschien 1980) ist Introspektion, tastende Erkundung der eigenen Quellen und Wünsche. Die Stücke der „Selbstportraits“ sind fundamental anders als die Cluster-Arbeiten: lediglich mit einer Orgel bestückt, hin und wieder von einfachen Rhythmusgeräten begleitet, dazu Equalizer und Effektgeräte. „Kompositionsetüden unter Roedelius: Selbstportrait IIdem Eindruck der lieblichen Landschaft vorm offenen Fenster in lauen Sommernächten“ nannte Roedelius das – Ambient also. „Sanfte“ bzw. „Freundliche Musik“ sind die beiden Platten untertitelt, was sie sehr gut charakterisiert. Die Harmonien fließen bruchlos dahin, es lässt sich wunderbar meditieren zu diesen Stücken.

Roedelius: Geschenk des AugenblicksMelancholie

1984 dann, mit „Geschenk des Augenblicks“, ging Roedelius diesen Weg weiter, reduzierte noch radikaler – weg mit Orgel und Synthies, hin zum reinen Klavier, ab und an ist eine Gitarre oder eine Violine zu hören. Was seine Platten „Lustwandel“ und „Jardin au fou“ bereits angedeutet hatten, bringt er jetzt voll zur Geltung – und die Anhängerschaft seiner früheren elektronischen Experimente wahrscheinlich zum Heulen. Melancholisch ist die Grundstimmung der Platte, Einflüsse besonders der romantischen Klassiker sind nicht zu überhören. Die große Mehrheit des Publikums aber folgte Roedelius gern (oder entdeckte ihn erst jetzt): „Geschenk des Augenblicks“ ist sein bis heute erfolgreichstes Soloalbum.

Altes und neues

Für dieses Jahr sind bei Bureau B – abgesehen von einem neuen Album der legendären Faust (!), neuen Kollaborationen vom unermüdlichen Roedelius, einem neuen Album der Neo-Krauts Kreidler und einer Zusammenarbeit von Mani Neumeier (Guru Guru) mit dem Japaner Kawabata Makoto – noch mehrere Re-Releases von Hans-Joachim Roedelius zu erwarten, zunächst im März seine „Momenti Felici“. Ja, glückliche Momente, die schenkt einem dieses Label wirklich zuhauf.

Tina Manske

Cluster: Cluster 71; Hans-Joachim Roedelius: Selbstportrait I + II; Hans-Joachim Roedelius: Geschenk des Augenblicks. Alle erschienen bei Bureau B (Indigo).