Geschrieben am 15. September 2017 von für Musikmag

Richard Kleist: Nick Cave – Mercy On Me

cave_kleistIdeale Comicfigur

Am 22. September wird Nicholas „Nick“ Edward Cave 60 Jahre alt – erstaunlich beinahe, vor allem, wenn man sich an die drogengeschwängerten Anfangsjahre seiner künstlerischen Laufbahn erinnert, als Cave mit Todessehnsucht und Destruktivität kokettierte. Im Lauf der Jahrzehnte wurde Cave zu einer Art „elder statesman“ des Pop (okay, im weitesten Sinne Pop: Blues, Gothrock, Gospel – nennt es, wie ihr wollt), ist überdies als Schriftsteller, Musiker, Poet, Komponist von Filmmusik und Drehbuchautor ein Allround-Künstler nach klassischem Bild.
Cave gilt inzwischen als seriöse Instanz – doch der Kampf mit den Dämonen, mit Gott, Satan, der Welt und dem Gewissen tobt noch immer in ihm, weshalb auch seine Platten der jüngeren Vergangenheit nicht an Intensität verloren haben. Das Album „Skeleton Tree“ von 2016 beispielsweise ist die so erschütternde wie kathartische Verarbeitung seiner privaten Tragödie; schwer zu ertragen, aber schlussendlich eine großartige Platte.
Nick Cave bringt als Mensch und Künstler einiges zur Legendenbildung mit – dass sich der Köln-/Berliner Comiczeichner Reinhard Kleist nach seinen Graphic-Novel-Biographien über Johnny Cash und Fidel Castro nun Nick Cave vorgenommen hat, passt perfekt in dessen Oevre (wenn es auch Stimmen gab, dass Cave eben noch nicht Cashs & Castros Ikonenstatus innehat – darüber ließe sich diskutieren): In „Mercy On Me“ arbeitet Kleist mit gewohnt starkem, schroffen Strich, erzählt das Leben Caves anhand eindrucksvoller Bilder, angefangen mit Kindheit und Jugend in Australien über die Jahre mit seiner Band Birthday Party in London, Umzug nach Berlin, Bekanntschaft mit Blixa Bargeld, die Erfolge mit den Bad Seeds – und immer wieder das innere Ringen um Text, um

nick cave

Wahrheit, Reinheit der Seele, Erlösung. Die Verquickung des Rockstartums mit quasi religiösen Momenten ist bei keinem zeitgenössischen Popkünstler so stark wie bei Cave und damit auch immer nah am Kitsch – was Cave zur idealen Comicfigur macht, was an dieser Stelle keine Despektierlichkeit, sondern vielmehr das „System Popstar“ ausdrücken soll. Zeichnerisch/künstlerisch ist das natürlich eine Gratwanderung, die Kleist ziemlich gut meistert (eindringliche Live- und Liebesszenen, Selbstzweifel und kreative Krisen an der Schreibmaschine, Drogentote, Auftritt Robert Johnson) – mit ein paar Einschränkungen: Die Eindeutschungen von Songlyrics hätte man bleiben lassen sollen (Fremdscham); der Quasi-Authentizitätsanspruch in Form von (fiktiven? überlieferten?) Dialogen und Situationen ist ohnehin problematisch. Dass Cave durch Kleists Buch dem Ikonenstatus ein großes Stück nähergekommen ist, sollte dagegen unbestritten sein.

Christina Mohr

Richard Kleist: Nick Cave – Mercy On Me
Carlsen Verlag, Hardcover, 328 Seiten
978-3-551-76466-9
www.carlsen.de
www.nickcave-comic.com

Gleichzeitig zu „Mercy On Me“ erscheint ein Skizzenbuch im LP-Format:

NICK CAVE AND THE BAD SEEDS – EIN ARTBOOK
von Reinhard Kleist
ISBN 978-3-551-76329-7
Hardcover, 96 Seiten
farbig, EUR 24,99